Wofür steht ihr?
Die PlanBude hat sich 2014 aus der autonomen Stadtteilversammlung „St. Pauli Selber machen“ gegründet, um einen Prozess der Wunschproduk­tion zu starten für die Neubeplanung des ehemaligen Areals der Esso-Häuser in Hamburg St. Pauli. Durch den PlanBude-Prozess hat sich die Nachbarschaft eine Vorstellung erarbeitet, was mit diesem Stück Stadt(-teil) passieren soll. Die über 3 200 Beiträge, die in einem halben Jahr über diverse Tools und Veranstaltungen mit Hilfe von künstlerischen und planerischen Methoden erarbeitet wurden, haben wir ausgewertet, zugespitzt und unter anderem zu einem St. Pauli-Code zusammengefasst. Mit diesen Ergebnissen sind wir als Anwält*innen des Prozesses in Verhandlung mit der Stadt und der Eigentümerin, die Bayerische Hausbau GmbH, über die Ausschreibung des städtebaulichen Wettbewerbs getreten. Bis heute vertreten wir die Ergebnisse der Wunschproduktion in der Entwicklung des Grundstücks.
Mit welchen Mitteln setzt ihr eure Ideen um?
Die PlanBude hat die ersten zwei Jahre im Auftrag des Bezirks Hamburg Mitte den Beteiligungsprozess als Auftragnehmerin durchgeführt. Die Mittel haben natürlich nicht für den aufwändigen Prozess ausgereicht, deshalb war ein Großteil der Arbeit der PlanBude ehrenamtlich. Außerdem haben wir durch das Recht auf Stadt Netzwerk in Hamburg und viele Kompliz*innen und Institutionen im Stadtteil profitiert. Durch die jahrelange Arbeit der Mieter*inneninitiative Esso Häuser, die für den Erhalt der Häuser gekämpft hat, hatte das Projekt eine hohe Aufmerksamkeit im Stadtteil.
Welche Rolle spielen Architekt*innen bei der Koproduktion?
Im Team der PlanBude arbeiten drei Personen ­Renée Tribble, Lisa Marie Zander und Volker Katthagen (bis 2016) mit einer Architekturausbildung. Natürlich hilft uns das räumliche Denken. Das planerische Know-how im Prozess war für die Verhandlungen mit der Stadt und der Eigentümerin über die Planungsschritte auf Augenhöhe hilfreich. Aber das eigentlich Spannende entstand in der Aushandlung im transdisziplinären Team. Unser Team aus Künstler*innen, Sozialarbeiter*innen, Kultur­arbei­ten*innen und Planer*innen hat das Konzept, die Veranstaltungen und Tools gemeinsam entwickelt und so konnten wir unsere Begriffe schärfen, eine eigene Sprache für den Prozess entwickeln und gegenseitig von unseren Expertisen profitieren.
Was kann mit Koproduktion in euren Augen erreicht werden?
Die PlanBude ist aus dem Anspruch und der Idee des Rechts auf Stadt entstanden: des Rechts der Menschen, die in der Stadt leben, sie jeden Tag ­gestalten und produzieren, darauf, mit ihrer Ex­pertise von Beginn des Planungsprozesses an mit einbezogen zu werden. Stadtentwicklung und Stadtplanung kann enorm profitieren von der Perspektive des Alltags, das heißt von der Perspektive der vor Ort Arbeitenden und Wohnenden. Sie kennen die Probleme oder Fragestellungen, vor denen ihr Umfeld gerade steht. Leider wird diese lokale Exper­tise häufig übergangen oder nicht gehört. Denn international agierende Wohnungsbauentwicklungsgesellschaften zielen häufig auf maximale Gewinnabschöpfung ab, die immer gleichen Veranstaltungen und Formate der Beteiligung finden an einem zu späten Zeitpunkt der Entwicklung statt oder die Meinung von Anlieger*innen wird nicht in die Planungen übersetzt. Im Fall der Neuplanung der Esso Häuser benötigte die Eigentümerin ein neues Planrecht, um ihr Vorhaben zu verwirklichen. Dadurch entstand ein Spielraum für die Stadt Hamburg, in diesem Fall des Bezirksamts Hamburg Mitte. Die Städtischen Vertreter*innen in Verwaltung und Politik konnten durch die Neu­aufstellung des Bebauungsplans viele Inhalte festlegen und mit der Eigentümerin in Verhandlung treten. Gemeinsam und aus dem Prozess der PlanBude heraus konnten zukunftweisend Freiräume auf Dächern geplant und der soziale Wohnungsbau maximal ausgereizt werden.  Innerhalb dieses Kräfteverhältnisses zwischen Stadtverwaltung und Politik, Eigentümerin und einem breiten Betei­ligungsprozess in der Nachbarschaft konnte so ein spannendes neues Stück Stadt ausgehandelt werden. Die PlanBude wird den Prozess weiterhin begleiten; die Bebauung soll im nächsten Jahr beginnen.
Lisa Marie Zander (*1992)
ist Teil des PlanBude-Teams. Sie beschäftigt sich mit der Aneignungsfähigkeit von Architektur und der Demokratisierung von Planungsprozessen durch künstlerische Strategien und Methoden. In Hamburg studierte sie Architektur und experimentelles Design. 2020 hat sie mit Freunden ihr eigenes Urban Design Büro (www.projektbuero.city) gegründet und arbeitet unter anderem an dem Gestaltungsleitfaden für das sog. Dragonerareal in Berlin und dem Bau eines Werkhauses im Rahmen der IBA Thüringen.
St. Pauli-Code
1. Unterschiedlichkeit statt Homogenität: St. Pauli ist ein Quartier, das sich durch unterschiedliche Lebensentwürfe, kulturelle Hintergründe, Gender-Orientierungen oder erotische Vorlieben, die vom Mainstream abweichen, auszeichnet. Dies tritt häufig auch sehr deutlich, symbolhaft und drastisch hervor, bestimmt Straßenzüge, Lokale und Fassaden – ganz anders als in der sonst diskret auftretenden Hansestadt.
2. Kleinteiligkeit: Kleinteiligkeit ermöglicht, dass solche unterschiedlichen Läden, Lokale und Begegnungsräume entstehen und trotz Widersprüchlichkeit dicht nebeneinander liegen, sich stapeln und miteinander kommunizieren.
3. Günstig statt teuer: Bis vor kurzem war St. Pauli der ärmste Stadtteil im Westen der Bundesrepublik. St. Pauli ist immer noch einer der ganz wenigen Stadtteile Hamburgs, wo sich unterschiedlichste Klassen begegnen – weil auch die Leute mit weniger Geld hier ausgehen und wohnen. Auch die kulturelle Vielfalt konnte hier aufgrund günstiger Mieten für Läden und Wohnungen entstehen; durch die rasant steigenden Mieten ist dieses Gleichgewicht gefährdet. Das Viertel hat dadurch nicht nur Bewohner*innen verloren, sondern auch Originalität.
4. Originalität und Toleranz: Persönlich geprägte Läden, hier Gewachsenes, Originales soll in die neuen Gebäude zurückkehren. Das gleiche gilt für die ehemaligen Mieter*innen der Wohnungen, wie auch für Leute, die aus St. Pauli verdrängt werden. Genau das, was die Reeperbahn und den Kiez einst auszeichnete, verschwindet heute zusehends. Die Abweichung wird trivialisiert aufgeführt, aber seltener gelebt als früher.
5. Aneignung und Lebendigkeit: Gefragt sind schmuddeliger Glamour und Lebendigkeit: angeeignete, plakatierte oder getaggte Wände, ein durch die Praxis der Bewohner*innen und Ladenbesitzer*innen geprägter Außenauftritt – statt designter Hochglanzfassaden. Die bisherige Investorenarchitektur der letzten 10 – 20 Jahre hat es nicht geschafft, dass „St. Pauli“ sich in diesen Gebäuden fortsetzt. Gefragt ist deswegen kein Retortendesign, sondern lebendiger Ausdruck.
6. Experiment und Subkultur: Die Reeperbahn kriegt schlechte Noten von den St. Paulianer*innen – zu vorformatiert, überraschungslos und eingeschränkt ist das Vergnügen. Direkt an der Reeperbahn fehlen Orte, an denen Kultur nicht nur aufgeführt, sondern neu erfunden wird. Experimente, Subkultur und Kulturproduktion statt einer vorgefertigten Trivialkultur sind gewünscht.
7. Freiraum ohne Konsumzwang: Neben diesen Experimenten werden auch öffentliche Orte gefordert, die zu Orten des Gemeinsamen, der Begegnung, des Austauschs und der Interaktion werden können, ohne dass diese durch Konsumzwang eingeschränkt werden. Orte, an denen nichts „geboten“ wird außer hohe Aufenthaltsqualität und eine anregende Umgebung sowohl für die Nachbarschaft wie auch die Besucher*innen.
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