Architekturen als fragile Körper

Die Künstlerin Dorothea Nold setzt sich in ihren bildhauerischen Arbeiten mit baulichen Strukturen auseinander, die sie in organische Körper überführt. In ihrer vergangenen Ausstellung in der BcmA Galerie in Berlin scheinen sich die Skulpturen zu biegen und im Sand zu versinken. Mit ihrer Kunst hinterfragt sie die Beständigkeit der gegenwärtigen Architektur, ihre Veränderbarkeit sowie die Beziehung von Körpern und ihrer gebauten Umwelt.

Wir sitzen gerade in Ihrer Ausstellung im Sand, der gleichzeitig Ruhe und Spannung in den Raum bringt. Wie kam es zu dieser Inszenierung der Keramikarbeiten?

Ich denke, dass das Architekturale etwas in den Menschen auslöst. Mit dem Sand wollte ich den Eindruck verstärken und eine utopische Ebene hinzufügen. Die Arbeiten scheinen sich zu bewegen, tun es aber nicht. Der Sand spielt mit den existentiellen Fragen, die sich mir immer wieder stellen: Wo kommen wir her? Wo gehen wir hin? Und wo ist der Punkt, an dem die Dinge kippen? Der Zustand, in dem sich die Welt gerade befindet, ist schwer zu beschreiben. Er ist sehr transformativ, gleichzeitig passieren auch Dinge, die kaum begreifbar sind.

Was sehen wir denn hier? Abstrakte Türme, Skelette von Architekturen?

Diese keramischen Arbeiten sind eine Zusammenführung von vielen Architekturformen, die global auftauchen. Ich verstehe Architektur als etwas Soziales, Transformatives, mit einem großen Einfluss auf uns Menschen und auf die Art und Weise, wie wir agieren. Ich habe in China 2008 ein Erdbeben miterlebt und dabei gesehen, wie sich Gebäude auf und ab bewegen können. Das war für mich der Impuls, Architektur nicht nur als vermeintlich stabil, sondern als eher instabil wahrzunehmen. Ich habe das in diesen Objekten metaphorisch aufgegriffen.

Hat Sie eine bestimmte Architektur bei diesen Arbeiten inspiriert?

Ursprünglich haben sich die Arbeiten aus vielen Reisen entwickelt. Ich schaue mir dabei immer Architektur und die Inszenierung des Gebauten an und dokumentiere das fotografisch. Die Formen sind ein Kondensat aus meinen Beobachtungen. Ich hatte in der Vergangenheit massivere und statischere Arbeiten. Die Arbeiten in dieser Ausstellung sind ganz anders. Ich habe während einer Recidency im EKWC (European Ceramic Workcentre) sehr viel experimentiert.  Sie sind viel mehr in Bewegung und vieles habe ich dem Brennprozess überlassen.

Welche Art von Gebäuden haben Sie auf Reisen fotografiert?

Es sind oftmals Gebäude, von denen man nicht weiß, ob sie schon fertig sind, ob sie noch gebaut werden oder ob es sich schon um Ruinen handelt. Teilweise arbeite ich auch mit der Gegenüberstellung von Formen. Auch das Thema der Vergänglichkeit spielt eine große Rolle, aber auch das Temporäre und das Instabile. Ich bin immer auch angezogen von Gegenden, in denen die Botanik und die Architektur als Einheit gesehen werden.

Ist Instabilität nicht eine negative Eigenschaft?

Ich erfasse das eher als beweglich, organisch, menschlich. Meine Formen versinnbildlichen den transformativen Charakter von Architektur und schaffen einen größeren Raum. Es muss nicht alles um mich herum in Bewegung sein. Es ist eher ein Gedankenmodell, in dem Sinne, dass offene Strukturen offeneres Handeln ermöglichen und dazu einladen. Das Unvorhergesehene fasse ich nicht als etwas Negatives auf. Kontrolle abzugeben und die Dinge sich selbst zu überlassen kann zu etwas Gutem führen.

In welchem Zusammenhang steht die Zerbrechlichkeit dieser Skulpturen mit Ihrem Blick auf die gebaute Umwelt?

Für mich koexistiert die Zerbrechlichkeit - der Kippunkt des Statischen - mit Wandelbarkeit. Fragilität kann etwas sehr Bewusstes und Schönes haben. Die Objekte scheinen im Sand zu versinken, tun es aber nicht. Das hat für mich einen Bezug zur Frage nach Sicherheit in der gebauten Umwelt, die aus meiner Sicht trügerisch ist. Innerhalb der ökonomisierten, klaren Formen gibt es keinen Raum mehr für Organisches. Und damit auch keine Räume, wo einfach nichts sein kann.

Gibt es denn auch klare Referenzen in Ihren Arbeiten, auf die Sie verweisen?

Die Arbeiten funktionieren eher atmosphärisch. Ich habe mir in der Vergangenheit schonmal Gebäude angeeignet, wie das Teatro Massimo. Dabei habe ich das Innere nach Außen gestülpt, was auf die Umkehrung von Machtverhältnissen verweist. In diesen Arbeiten geht es aber darum, Körper entstehen zu lassen und um meine Auffassung, dass auch der Körper eine Architektur ist. Ich wohne in meinem Körper. Und ich wünsche mir eine Architektur, die nicht nur politische Formen und Machtstrukturen vermittelt, sondern den Körper und seine Bedürfnisse in den Mittelpunkt stellt.

Warum wählen Sie die Keramik als Ausdrucksmittel für diese Themen?

Das besondere an Keramik ist, dass sie ein Stück Kulturgeschichte ist und als Material auch aus dem Bauen kommt. Ich bin zwar statischen und baulichen Grundsätzen unterworfen, kann aber innerhalb dieser Grenzen frei modellieren. Unter den hohen Brenntemperaturen entstehen gewollte, zufällige Deformationen, von denen diese Arbeiten hier auch leben.

Wie sind Sie denn zur Auseinandersetzung mit Architektur gekommen?

In der Bildhauerei geht es immer um die Auseinandersetzung mit Volumen und Raum. Und wenn ich Raum denke, denke ich immer Architektur. Gleichzeitig ist Architektur auch die unmittelbare Welt, die mich umgibt - baulich, sozial, politisch.

In einem früheren Projekt haben Sie fiktive Bauschilder entworfen und in den Stadtraum gestellt. Was war Ihre Idee dabei?

Mich stört die Baupolitik in Berlin und die langweiligen Formen, die gebaut werden. Die Schilder waren ein Versuch, dem etwas entgegenzusetzen. Mein Gedanke war natürlich, dass die Häuser, die ich dazu entworten habe, sofort als absurd und nicht echt verstanden werden. Die meisten Leute haben das aber nicht verstanden. Viele Leute haben mich über die Telefonnummer, die auf dem Bauschild zu sehen war, angerufen und wollten das tatsächlich kaufen. Das hat mir gezeigt, das es eine Offenheit für Architektur gibt, die ganz anders aussieht. Jemand hat auch auf das Plakat „eat the rich“ geschrieben. Auch von dieser Seite hat man das Projekt also als echt empfunden. Ich fand es schon interessant, dass der Baupolitik erstmal alles zugetraut wird.

Wie ordnen sich diese beiden Arbeiten mit Architekturbezug in deinen künstlerischen Ansatz insgesamt ein?

Generell ist meine Arbeit eine Auseinandersetzung mit dem Wunsch nach mehr Lebendigkeit und Wandelbarkeit. Ich verorte mich klar feminis­tisch und beschäftige mich damit, welche Räume es gibt und wie genau sie genutzt werden. Ich denke, dass so, wie wir bauen, es einfach wahnsinnig viele Menschen ausschließt.

Ihre Arbeiten finden ja eher methaphorische und auch humorvolle Antworten auf diese Fragen. Haben Sie sich schon einmal vorgestellt, wie so ein organischer Raum tatsächlich aussehen könnte?

Ich verwehre mich bewusst, konkret zu werden. Es gibt eigentlich keine Utopien mehr, weil immer  sofort ein Realitätsbezug gefordert wird. Die Herausforderungen, die sich gerade an die gebaute Umwelt stellen, machen es aus meiner Sicht nötig, dass erstmal alles denkbar ist.

Interview: Natalie Scholder/DBZ
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