Arbeiten wie in der Zukunft
Büroräume dienen längst nicht mehr nur der Verrichtung von Schreibtischtätigkeiten. Richtig gestaltet, dienen sie der Kommunikation, Begegnung und Kreativität – das gelingt oft gerade da, wo der Schreibtisch nicht länger mehr im Fokus der Raumplanung steht
Raum für Begegnung: Die Sparda Bank Berlin hat zusammen mit loop Architekten ihre Art der Arbeit und Kundenansprache neu gedacht
Foto: Philipp Jester
Wussten Sie, dass der Kondor das effizienteste Lebewesen ist, das mit minimalem Energieaufwand die maximal mögliche Strecke zurücklegt? „Was hat der Kondor mit unserem modernen Büro zu tun?“ Nun, herzlich willkommen zu unserer kleinen gedanklichen Expedition in die Büros der Zukunft.
Lassen Sie mich die Geschichte auflösen: Steve Jobs, der geniale Kopf hinter Apple, zog einmal in einem Interview diesen bemerkenswerten Vergleich. Der Mensch, so berichtete er, ist in seiner natürlichen Form keineswegs das effizienteste Lebewesen. Das ist der Kondor, der ohne Hilfsmittel kilometerweit segeln kann. Setzt man den Menschen jedoch auf ein Fahrrad, wird er plötzlich unschlagbar. Das Fahrrad ist ein einfaches, aber perfektes Werkzeug, das die menschliche Leistung potenziert – ein Werkzeug, das uns über uns hinauswachsen lässt. Jobs‘ Punkt war, dass Menschen Meister im Erschaffen von Werkzeugen sind. Damals sprach er über Computer als Werkzeug zur Steigerung unserer geistigen Fähigkeiten. Dem „bicycle of the mind“.
Die Zentrale der Sparda Bank Berlin wird zum Haus des Kunden mit Wohlfühlcharakter
Foto: Philipp Jester
Und hier liegt der Schlüssel zu unserem Thema: Das Büro und auch die Räume, in denen wir arbeiten, sind Werkzeuge. Nicht irgendein Werkzeug, sondern eines, das in seiner Form und Funktion perfekt darauf abgestimmt ist, unsere Produktivität, unsere Kreativität und letztlich auch unsere Freude an der Arbeit zu steigern. Unser „bicycle of the mind“, dass es uns erlaubt, mit dem Kondor gleichzuziehen. Aber genau wie beim Fahrrad müssen wir auch beim Büro zuerst wissen, wohin die Reise gehen soll, bevor wir uns in den Sattel schwingen.
Im Headquarter von Intersnack hat bkp Architekten mit dem Grafiker Moritz Blumentritt die Wandgestaltung genutzt, um aktivierende Räume zu schaffen
Foto: Annika Feuss Architekturfotografie
Büros sind heute sehr viel mehr als ein Ort der Arbeit. Arbeit hat sich vom Ort entkoppelt. Büros sind zu Werkzeugen geworden – und die Frage, die sich Architekten, Planer und Unternehmen heute stellen müssen, lautet nicht länger: „Wie sieht ein schönes Büro aus?“ Sondern vielmehr: „Wie gestalten wir Arbeitsräume, die uns über uns hinauswachsen lassen?“
In den vergangenen Jahren ist die Diskussion um New Work und die Zukunft der Arbeit allgegenwärtig geworden. Doch was bedeutet es eigentlich, „neu“ zu arbeiten? Ist es das hippe Start-up mit Sitzsäcken und Tischkicker? Das schicke Großraumbüro mit offenen Kommunikationsflächen? Oder vielleicht der Co-Working-Space, in dem sich Wissensarbeiter aus allen Disziplinen begegnen? Es ist keines davon – und doch kann es alles sein. Denn „Neues Arbeiten“ ist kein statisches Konzept, sondern eine fortwährende Suche nach dem, was Arbeit für uns bedeutet und wie Arbeit uns stärkt, nicht schwächt – was im übrigen einer der Kerngedanken Frithjof Bergmanns war, der den Begriff New Work in den 1980er-Jahren geprägt hat.
Activity Based Working
Grafik: wow tomorrow
Hier kommt die Herausforderung: Das Büro als Raum muss Antworten auf Fragen geben, die im Zweifel nicht einmal der Bauherr oder die Nutzer zu stellen wissen. Es reicht nicht mehr, einfach nur schöne Räume zu gestalten. Räume müssen heute als Kommunikationswerkzeug dienen, als Plattformen für Zusammenarbeit, als Anreize für Begegnung und Austausch – und ja, als Hafen und Ort der Inspiration. Aber dafür müssen wir zuerst eine zentrale Frage beantworten: „Wie will das Unternehmen künftig arbeiten?“ Denn im Gegensatz zu früher gehen heute neue Büros fast immer auch mit einer neuen Arbeitsweise einher.
Die Kraft des Zielbildes: Wie wollen wir arbeiten?
Die psychologische Wirkung von Pflanzen und Grün im Raum ist oft entscheidender als eine mögliche Verbesserung der Luftqualität, hier ein Beispiel der Firma Freund GmbH
Foto: Michaela Bergsteiger
Die ersten Schritte auf diesem Weg beginnen nicht mit der Auswahl von Möbeln oder dem Anordnen von Nutzungen. Sie beginnen mit einer ehrlichen, vielleicht sogar radikalen Selbstreflexion. Was wollen unsere Bauherren mit ihrer Arbeit erreichen? Wie wollen sie miteinander umgehen? Was sind ihre Werte, und wie kann der Raum, in dem sie arbeiten, diese Werte verkörpern und fördern?
Bevor wir uns in die Details der Raumgestaltung stürzen, müssen wir also einen Schritt zurücktreten und klären: Wie wird die hybride Zusammenarbeit aussehen? Denn erst dann können wir wirklich anfangen, den Raum zu gestalten.
Hieraus ergibt sich ein gänzlich neues Leistungsbild für Architekten und Planer. Ich werde Ihnen im Folgenden verschiedene Aspekte dieses neuen Leistungsbildes zeigen. Der erste – und wichtigste – Aspekt ist das gemeinsame Erarbeiten eines Zielbildes, einer Vision der Zusammenarbeit mit dem Auftraggeber.
Nehmen wir das Beispiel der Sparda Bank in Berlin, die zusammen mit loop ihre Art der Arbeit und Kundenansprache neu gedacht haben. Statt in einem typischen Verwaltungsgebäude zu residieren, entschied sich die Bank, ihre Verwaltung in das Haus der Kunden zu verwandeln und zusätzlich auch Co-Working Spaces für ihre Mitarbeiter zu schaffen. Diese Entscheidung war nicht nur ein architektonischer Kniff, sondern Ausdruck einer bewussten Entscheidung, die Arbeitsweise und die Interaktion mit Kunden und Mitarbeitern fundamental zu überdenken. Hier wurde das Zielbild neu definiert: Der Raum soll ein Ort des Dialogs und der Zusammenarbeit sein, nicht nur eine „Verwaltungszentrale“.
Das Büro wird so nicht nur zum physischen Raum, sondern zum Ausdruck eines neuen Selbstverständnisses. Es wird zum Werkzeug, das uns hilft, unsere Ziele effizient und kreativ zu erreichen. Dieses Zielbild geht weit über den reinen Raum hinaus. Es beschreibt die Art der künftigen Zusammenarbeit, der internen Kommunikation, aber auch eine vielleicht neue Art der Kundenansprache. Auch das ist neu. Doch ist es eine logische Konsequenz im Zusammenspiel aus Raumwirkung und der komplexer gewordenen Arbeitswelt.
Man kann nicht nicht kommunizieren
„Man kann nicht nicht kommunizieren“, sagte einst der Kommunikationswissenschaftler Paul Watzlawick. Jedes Verhalten ist Kommunikation – ob wir wollen oder nicht. Und genau hier kommt die Raumgestaltung ins Spiel.
Denken Sie an die drei Hauptkanäle der Kommunikation: Inhalt (was wir sagen), Tonalität (wie wir es sagen) und Körpersprache (was unser Körper dabei ausdrückt). Dabei transportieren wir nur etwa 7 Prozent unserer Botschaft über den Inhalt – das ist nicht viel. Über 50 Prozent unserer Botschaft transportieren wir über Gestik und Mimik. Wenn Sie nun an die uns vertrauten Kacheln einer Videokonferenz denken – dem Alltag vieler im Homeoffice – erkennen wir schnell das Problem: Ein Großteil dieser Information geht verloren. Wir sehen nur einen Ausschnitt, hören oft nur gedämpften Ton und können die Energie im Raum nicht spüren.
Hier liegt die große Chance des physischen Büros – ein Grund, warum viele Unternehmen aktuell versuchen, ihre Mitarbeiter zurück ins Büro zu bekommen, in vielen meiner Projekte übrigens auch klar definiertes Ziel der Geschäftsführung.
Mythen über „Neues Arbeiten“ entlarven: Was wirklich zählt
Viele Unternehmen begehen den Fehler, das Büro als Selbstzweck zu betrachten. Sie investieren in teure Designs und stylische Möbel in der Hoffnung, dass ein schöner Raum allein die Mitarbeiter zurück ins Büro zieht und die Probleme der Zusammenarbeit und der schwindenden Bindung löst. Doch hier liegt ein Missverständnis vor: Ein neues, schönes Büro hat keine ausreichende Sogwirkung, um Mitarbeiter zurückzuholen, wenn die zugrunde liegenden Fragen der Zusammenarbeit nicht geklärt sind.
Bevor ein Unternehmen entscheidet, ob es seine Mitarbeiter zurück ins Büro holt oder sogar vollständig auf remote setzt, sollten grundlegende Fragen gestellt werden: Welche Probleme sollen gelöst werden? Ist das Büro überhaupt die richtige Antwort oder gibt es bessere Ansätze?
Für uns als Planer sicherlich eine gewagte Frage, die eine “bittere” Antwort bereithalten kann. Diese Sorge möchte ich Ihnen jedoch etwas nehmen: Noch keines meiner Projekte wurde nach dieser Frage gestoppt, bei keinem Projekt wurde der Raum anschließend weniger intensiv betrachtet. Im Gegenteil. Häufig wurde der Fokus erweitert, neben dem Raum auch die interne Zusammenarbeit betrachtet und weitere Projekte angestoßen. Der Architekt ist heute mehr denn je Berater und Zukunftsgestalter.
Praktische Ansätze für die Gestaltung moderner Arbeitsräume
Um moderne Arbeitsräume effektiv zu gestalten, bedarf es folglich einer tiefgehenden Auseinandersetzung mit den tatsächlichen Bedürfnissen und Zielen eines Unternehmens und seiner Mitarbeiter. In den vielen Projekten, die ich in den vergangenen Jahren zunächst als Architektin, später als New Work Consultant begleiten durfte, haben sich immer wieder fünf Aspekte herauskristallisiert, die den größten Hebel auf das positive Ergebnis haben, die oft über das klassische Leistungsbild eines Architekten hinaus gehen.
1. Gute Bedarfsermittlung: Wofür brauchen wir das Büro?
Bevor ein neues Büro gestaltet wird, sollte zunächst eine umfassende Bedarfsermittlung durchgeführt werden. Dabei geht es jedoch zunächst nicht um die Anzahl der Arbeitsplätze oder räumlichen Zusammenhänge, wie es in der Architektur klassischerweise der Fall wäre.
Es geht darum, früher anzusetzen und die grundlegende Frage zu klären: Wofür brauchen wir das Büro überhaupt? Wie wollen wir in Zukunft zusammenarbeiten? Es geht darum, Themen wie die (hybride) Kommunikation, Führungsstil und Unternehmenskultur zu betrachten. Hier können Mitarbeiterbefragungen, Interviews, Workshops oder ähnliches probate Mittel sein. Wichtig ist, diese Themen auch als Architekt mitzudenken und die Aufgabe der Bedarfsermittlung nicht nur nach HOAI, sondern nach neuen Prinzipien zu denken.
Auch hier erweitert sich das klassische Leistungsbild des Architekten oder aber ein “New-Work-Fachplaner” wird für diese ergänzenden Fragen involviert.
Das Büro der Zukunft ist kein statischer Ort mehr, sondern ein dynamischer Raum, der sich den sich verändernden Anforderungen der Mitarbeiter und der Organisation anpassen muss. Eine klare Vision, wie das Büro zur Unterstützung der Unternehmensziele beitragen kann, ist der erste und wichtigste Schritt in der Planung.
2. Übersetzen des Bedarfs in den Raum
Erst jetzt geht es darum, wie der Raum die in der Bedarfsermittlung definierten Ziele, die Art der Zusammenarbeit und die erarbeitete Kommunikationsstrategie unterstützen kann. Hier kommt die Expertise der Planer ins Spiel, um ein Raumkonzept zu entwickeln, das die Erreichung der Unternehmensziele optimal unterstützt. Dabei geht es nicht darum, Räume für den Status quo abzubilden, sondern um Räume, die Mitarbeiter fördern und ihnen helfen, besser zu arbeiten. Ein Raum sollte also nicht nur den aktuellen Anforderungen entsprechen, sondern auch die zukünftige Entwicklung der (Zusammen-) Arbeit unterstützen.
3. Activity-Based Working
Das klassische Büro mit seinem festen Schreibtisch für jeden Mitarbeiter ist überholt. Vergleichen wir es mit unserem zu Hause, so ist das klassische Büro das Studentenapartment unter den Wohnungen, in dem alle Aktivitäten – Lernen, Schlafen, Kochen – in einem Raum stattfinden. Während die meisten Menschen später in eine Wohnung oder ein Haus umziehen, das spezifische Räume für verschiedene Tätigkeiten bietet – eine Küche zum Kochen, ein Schlafzimmer zum Schlafen – halten wir in unseren Büros oft am Konzept des festen Schreibtisches fest. Ein Activity-Based-Working-Ansatz teilt das Büro in verschiedene Zonen auf, die jeweils optimal für bestimmte Tätigkeiten ausgelegt sind, sei es konzentrierte Einzelarbeit, kreative Gruppenarbeit oder informelle Gespräche. Durch die gezielte Zuordnung von Tätigkeiten zu spezifischen Arbeitsorten können wir „Task-Hopping“ reduzieren, Konzentration und Kreativität steigern, zufällige Begegnungen provozieren und die Kommunikation verbessern – wenn wir die Wirkung des Raums verstehen und nutzen.
4. Die Wirkung des Raums
Wie wir arbeiten, verändert den Raum, den wir benötigen. Umgekehrt beeinflusst der Raum, in dem wir arbeiten, unsere Arbeitsweise erheblich.
Ein Spaziergang im Wald entspannt und steigert die Konzentration, weil unser Körper in der Natur Adrenalin und Cortisol – unsere Stresshormone – abbaut, bei Frauen übrigens stärker als bei Männern. Unser Stressniveau sinkt, wir können uns besser konzentrieren. Dieses Prinzip lässt sich auch im Büro anwenden: Grüne Pflanzen und natürliche Materialien können das Wohlbefinden der Mitarbeiter verbessern und ihre Leistungsfähigkeit steigern.
Ein praktisches Beispiel: In einem Projekt installierten wir eine riesige Mooswand – tatsächlich totes Moos. Ein Jahr später berichteten die Mitarbeiter begeistert, dass sie sich in diesem Raum am wohlsten fühlten und die Luftqualität dort am besten sei. Obwohl das Moos die Luftqualität physisch nicht beeinflussen konnte, hatte es doch die Wahrnehmung und das Wohlbefinden positiv verändert. Solche Elemente des biophilen Designs können Räume schaffen, die nicht nur funktional, sondern auch inspirierend und beruhigend wirken. Aber auch Licht, Raumweite, Blickbeziehungen etc. haben einen Einfluss auf Kreativität, Konzentrationsfähigkeit und unsere Arbeitsweisen.
5. Büro neu lernen: Partizipation und Autonomie fördern
Ein neues, gut durchdachtes Büro ist daher eine solide Grundlage, aber seine wahre Wirkung entfaltet das Büro erst durch die Art und Weise, wie es von den Nutzern angenommen und genutzt wird. Hier spielt Partizipation eine entscheidende Rolle. Es geht zunächst darum, ein gemeinsames Verständnis für die Zusammenarbeit im Team zu schaffe – der Mensch ist ein Resonanzwesen, ein gemeinsames Ziel verbindet– und anschließend den Mehrwert für jeden einzelnen Nutzer sowie das Team als Ganzes aufzuzeigen. Denn das Projekt als Ganzes, aber auch die einzelnen Nutzungen und Bereiche müssen für die Mitarbeiter im Unternehmen Sinn ergeben. Andernfalls wirkt selbst ein neues Büro eher demotivierend und hat negative Auswirkungen auf Zufriedenheit.
Für Architekten bedeutet dies, dass das Einbeziehen der Mitarbeiter zum elementaren Bestandteil eines Projekts wird, begonnen bei der Bedarfsermittlung bis hin zur späteren Nutzung.
Wenn sich Mitarbeiter zum einen mit dem Projekt identifizieren können, zum anderen aber auch ein derartiges Grundverständnis von Arbeitsweisen, Kommunikation und dem Zusammenhang zum Raum erlangen, kann das neue Büro wirklich zu einem “bicycle of the mind” werden.
Fazit: Der Raum als Kommunikationswerkzeug
Das Büro der Zukunft mag vielleicht nicht wie ein Wald aussehen (obwohl, wer weiß?). Aber es wird ein Ort sein, der uns hilft, effizienter zu arbeiten, kreativer zu denken und besser zu kommunizieren.
Deutlich wird: Büros sind komplexe Bauwerke geworden. Andere Typologien, wie Krankenhäuser, sind offensichtlich komplex. Doch die neue Art zu arbeiten braucht Architekten, die gleichzeitig auch Experten für Kommunikation, Change Management, Prozesse und Unternehmenskultur sind, um bestmögliche Büros für ihre Bauherren entwickeln und einführen zu können – Fachplaner für New Work also. Für eine messbare Produktivitätssteigerung, weniger Kommunikationsprobleme und eine höhere Unternehmensbindung. Ihre Bauherren und deren Mitarbeiter werden es ihnen danken.
Autorin: Martina Rahmfeld ist Architektin, zertifizierte New Work Facilitator BDVT und Gründerin der
New Work Company wow tomorrow.
www.wowtomorrow.de
Foto: wow tomorrow