TTT. Tempo, Technologie und Toleranz
Neue Bundesbauministerin gibt Ausblick auf die kommenden 100 Tage 19.05.2025 |In der Politik sind die ersten 100 Tage im Amt eine Art Schonzeit. Nun hat die neue Bundesbauministerin Verena Hubertz (SPD) den Spieß umgedreht: In ihrer ersten Rede im Bundestag nimmt sie vorweg, was sie in den 100 kommenden Tagen alles umzusetzen gedenkt. Es gehe nicht darum, in Schönheit zu sterben, sondern schnell, effizient und bezahlbar zu bauen. Bauland müsse unbürokratisch erschlossen werden, der Planungsweg abgekürzt werden.
Meistens ist das mit den 100 Tagen so, dass dieser Zeitraum dazu dient, erste Ergebnisse daraus zu erzeugen, was versprochen wurde. In der Politik sind die 100 ersten Tage im Amt eine Art Schonzeit: Lasst sie oder ihn erst einmal im Amt ankommen und hier damit beginnen, die verkündete Agenda umzusetzen, vielleicht auch zu verändern, anzupassen ... zu optimieren?
Nun hat die gerade erst wenige Tage im Amt seiende Bundesbauministerin, Verena Hubertz, den Spieß umgedreht: Sie nimmt vorweg, was sie in den 100 Tagen die kommenden werden, alles umzusetzen gedenkt. Das kann man als Ungeduld beschreiben, oder auch als waghalsig, denn meist kommt es im Amt ja anders.
Nun also die erste Rede der Ministerin im Bundestag, die irgendwie alles anders, vor allem schneller, gleichzeitig aber auch alles wie gehabt umsetzen will. Zwar vermisst man (dem Himmel seis gedankt!) die "400000", doch einen Wohnungsbau-Turbo soll es geben, es werde mit der "Brechstange" gearbeitet. Es gehe nicht um in Schönheit sterben - meint sie damit etwa die Baukultur? - sondern um schnell, effizient und bezahlbar. Neues Bauland müsse unbürokratisch erschlossen werden, die Planungswege sollen abgekürzt werden. Bauwirtschaft als Motor der deutschen Wertschöpfungsmaschine ... und (leider) zieht sie die Automobilindustrie als Vorbild für gelingendes Wirtschaften heran, ein Industriezweig, der sich gegen seinen Niedergang seit Jahrzehnten mit immer neuen (aber immer gleichen) Modellen, Innenausstattungen und Mehrschichtlackierungen zur Wehr setzt.
Nun, auch wenn die Ministerin die 100 Tage irgendwie vorzieht, lassen wir ihr die Zeit. Ihr und ihrem Team.
Neue Bundesbauministerin Verena Hubertz (SPD)
Foto: Markus C. Hurek
Hier nun die Rede vom 15. Mai vor dem Deutschen Bundestag:
"Ich habe in meinem Leben schon einige Aufgaben gehabt: Gründerin, Unternehmerin, Bundestagsabgeordnete, stellvertretende Fraktionsvorsitzende. Doch keine Aufgabe – das kann ich sagen – erfüllt mich so sehr mit Freude, wie als Ihre Bauministerin dafür zu sorgen, dass die Bagger in diesem Land wieder rollen.
Für mich schließt sich damit in gewisser Weise ein Kreis; denn mein Vater hat in meiner Heimat Konz früher in einer Fabrik an Baggern geschraubt. Heute sorgt seine Tochter dafür, dass die Bagger nicht nur rollen, sondern dass wir alle gemeinsam gut und gerne wohnen in diesem Land. Denn Wohnen ist die soziale Frage unserer Zeit. Das sagt irgendwie jeder, aber für mich ist das keine Floskel. Wohnraum muss bezahlbar sein! Das ist für mich Anspruch und Auftrag zugleich.
Wohnen ist zu teuer, und das treibt uns als Gesellschaft auseinander. Ich will deswegen, dass wir mehr bauen, und ich will, dass wir preiswerter und nachhaltiger bauen. Und wenn wir über nachhaltiges Bauen reden, dann bedeutet das für mich unter anderem, aus dem waldreichsten Bundesland, Rheinland-Pfalz, kommend, auch: Bauen mit Holz.
Ein Magazin hat nach meinen Amtsantritten einen ganz interessanten Artikel mit folgender Überschrift geschrieben: „Von Burger King ins Bauministerium“. Ein bisschen schmunzeln musste ich darüber schon, aber der Kern ist: Ich habe während meines Studiums damals bei Burger King Pommes verkauft, nicht weil ich wollte, sondern weil es notwendig war, damit ich mein Gehalt aufstocken konnte und die WG finanzierbar blieb. Ich möchte diese Zeit nicht missen. Die Wahrheit ist aber auch: Ein Nebenjob oder ein Job reichen heutzutage an einigen Orten nicht mehr aus für guten Wohnraum. Wohnen, Eigentum, Miete und damit ein Stück zu Hause für jeden Einzelnen gehen verloren, wenn Quadratmeterpreise in die Höhe schießen. Und ich möchte nicht in einer Gesellschaft leben, in der Wohnen zum Luxus wird. Ich finde nicht, dass Wohnen ein Markt wie jeder andere ist. Ich will, dass Wohnen ein funktionierender Markt ist, wo nicht nur die Rendite entscheidet, und ich will als Bauministerin dafür sorgen, dass Wohnen für alle bezahlbar bleibt, von der Auszubildenden bis zum Rentner.
Das hat sogar auch noch einen positiven zweiten Effekt. Denn wenn wir bauen, dann kurbeln wir auch unsere deutsche Wirtschaft an. Die Bauindustrie ist die Lokomotive unserer Wirtschaft. Rund 12 Prozent unseres BIPs sind Bauinvestitionen. Und wenn wir jetzt über Sondervermögen in Höhe von 500 Milliarden Euro sprechen, die wir zusätzlich investieren wollen, dann müssen wir auch über BauGB, über Planungsbeschleunigung, Raumordnung und Stadtentwicklung sprechen. An dieser Stelle möchte ich die Möglichkeit nutzen, um mich beim Ministerium für das schöne Willkommen letzte Woche herzlich zu bedanken. Das waren ganz viele tolle Gespräche und vor allen Dingen viel Arbeit, die in den letzten Jahren geleistet wurde und auf die wir jetzt gemeinsam aufbauen können.
Was braucht es für mich? Das sind drei Themen: Tempo, Technologie und Toleranz.
Ich erkläre es gerne. Tempo. Die Genehmigungsverfahren dauern manchmal länger als der Bau selbst; das kann man niemandem mehr erklären. Wir müssen ran an unsere Gesetze. Nicht mit der Kettensäge, sondern mit klugen Juristen und Ingenieurinnen will ich unsere Vorschriften entschlacken. Und mit Bankerinnen schaffen wir auch zusätzlich Möglichkeiten bei der Finanzierung. Denn wenn wir die Baukosten und die Finanzierungskosten senken, wird es für alle günstiger.
Bei der Technologie ist einiges möglich. Nicht mehr "Stein auf Stein"; das muss nicht mehr sein. Serielles Bauen, 3D-Druck, Holzbau für Hochhäuser – das sind keine Zukunftsvisionen, das ist schon Realität an vielen Stellen. So wie wir durch die Automatisierung Weltmeister bei der Automobilindustrie sind, müssen wir die Technologie auch im Baubereich nutzen und dorthin übertragen.
Die Toleranz ist wichtig; denn wenn wir bauen, dann müssen wir auch bauen wollen. Jeder kennt vielleicht Beispiele, wo man sagt: Ja, mehr Bauland wäre gut, aber doch bitte nicht in meinem Hinterhof. – Diese Kultur können wir uns nicht mehr leisten. Deswegen müssen wir auch schnell neues Bauland ausweisen. Wir müssen Dachgeschosse aufstocken; wir müssen nachverdichten, damit wir alles in die Waagschale werfen. Deswegen: Tempo, Technologie und Toleranz. Daran können Sie mich messen.
Ich möchte ein ambitioniertes Tempo angehen. Schon in den ersten 100 Tagen soll ein Gesetzentwurf vorgelegt werden. Und wir starten mit dem Wohnungsbau-Turbo. Die Einführung des § 246e Baugesetzbuch ist die Brechstange, die wir brauchen. Das schafft die Möglichkeit für die Kommunen, schnell zu bauen, anstatt in Schönheit zu sterben. Genau das möchte ich pragmatisch mit Ihnen allen umsetzen.
Aber wir wollen nicht nur schneller bauen, sondern auch bezahlbar wohnen. Mit meiner Kollegin, Bundesjustizministerin Stefanie Hubig, habe ich mich schon darauf verständigt: Die Mietpreisbremse wird verlängert. Das ist ganz oben bei uns auf der To-do-Liste.
Der soziale Wohnungsbau ist eine wichtige Säule für bezahlbares Wohnen. Über 3,5 Milliarden Euro jährliches Fördervolumen sind ein klares Signal, eine Investition in unser soziales Miteinander. Der Bund packt gemeinsam mit den Ländern und den Kommunen an. Und da geht mit Sicherheit noch ein Stück mehr. Wenn wir über "Zuhause" sprechen, dürfen wir aber auch die Nachbarschaft nicht vergessen – die Orte der Begegnung, barrierefrei und einladend, sodass sich Kinder wie ältere Menschen gerne dort aufhalten – so wie in Koblenz-Neuendorf, wo ich letzte Woche den Tag der Städtebauförderung eröffnen und erleben durfte. Und das war echt toll; denn da, wo früher ein alter Weg war, wo Menschen Angst hatten, wo es dunkel war, ist jetzt der "Grüne Boulevard" entstanden. Es gibt einen Cage-Soccerplatz, und die Kita wurde auch erweitert. Das ermöglicht unter anderem die Städtebauförderung, für die mein Ministerium die Gelder verdoppeln will. Lassen Sie mich zum Schluss kommen. Der Koalitionsvertrag ist noch nicht der Weisheit letzter Schluss. Deswegen fordere ich Sie hier alle gemeinsam im Haus mit auf: Wir müssen Kreativwerkstatt sein, um eines der größten Probleme unseres Landes zu lösen. An Ihrer Seite steht ein hochmotiviertes Ministerium für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen – für gesellschaftlichen Zusammenhalt, für Zukunftsbau und für uns alle. In diesem Sinne freue ich mich auf die Zusammenarbeit mit Ihnen."