Neue Perspektiven auf das Einfamilienhaus
Zwei Arbeiten prämiert 20.10.2025 |Die Plattform Nachwuchsarchitekt*innen hat vergangegen Woche die Preisverleihung des Nachwuchswettbewerbs gefeiert. Thema der Auslobung war "Die Zukunft von Einfamilienhäusern in Berlin und Brandenburg". Diese Typologie ist noch viel zu selten Gegenstand einer kritischen Analyse und oftmals im Fachdiskurs unterrepräsentiert. Mit dem diesjährigen Wettbewerb und den prämierten Arbeiten möchte die Plattform dazu beitragen, dies zu ändern.
Wettbewerbe zu Einfamilienhäusern gibt es heute kaum noch. Die Aufgabe entspräche auch nicht mehr dem Bild einer gemeinschaftsorientierten Gesellschaft. Dafür liegt der Fokus heute immer mehr auf Transformationsprojekten und neuen Wohnformen: weg von der Kernfamilie und hin zum dynamischen Gemeinschaftswohnen. Wo früher großflächige Siedlungen mit dem Versprechen eines modernen Lebens samt idyllischer Umgebung geplant und schnell hochgezogen wurden, wird heute für Verdichtung, Aufstockung und Transformation des Bestehenden plädiert. Gut so.
Ein- oder Zweifamilienhäuser sind jedoch nicht nur ein prägendes Element der gebauten Landschaft (sie machen laut Statistischem Bundesamt rund 75 % des Gebäudebestands in Deutschland aus), sie bleiben der Lebenstraum von mehr als der Hälfte der Deutschen. Im Kontrast dazu wohnen nur 34 % der Menschen in dieser Typologie. Wie nun also mit dieser Diskrepanz umgehen – und mit den über alle Wohnformen hinweg vorhandenen Herausforderungen wie Klimawandel, Flächenbedarf und nötigem (bezahlbarem) Wohnraum?
Im Rahmen eines Round-Table-Talks wurden am 14.10.2025 die prämierten Arbeiten präsentiert
Foto: www.plattformnachwuchsarchitekten.de
Um genau diesen Fragen Raum zu geben, hat die Plattform Nachwuchsarchitekt*innen einen Wettbewerb ausgelobt, der sich mit dem Einfamilienhaus im Kontext der Metropolregion Berlin-Brandenburg befasst. Hintergrund sei die Feststellung des enormen Potenzials von Einfamilienhausgebieten, welches jedoch immer noch zu selten Bestandteil konkreter Auseinandersetzung im architektonischen Diskurs sei. Dazu kommt auch noch ein entscheidender Punkt: In Einfamilienhausgebieten sind die Eigentumsverhältnisse im Vergleich zu urbanen Räumen sehr hoch. Das heißt: Spricht man von Transformation und Anpassung, sind viele einzelne Menschen gefragt, die oftmals ihr ganzes Leben damit verbracht haben, sich diesen Traum aufzubauen. Wie also damit umgehen?
Darauf eingehend stellt der Wettbewerb drei Kategorien auf: Zum einen sollte die Typologie des Einfamilienhauses „neu gedacht werden“, zum anderen sollte die Berlin-Brandenburgische politische Situation „auf den Punkt gebracht werden“, und schließlich sollten die Bewerberinnen ein „(Um)Bauprojekt mit nachhaltigem Potenzial“ entwickeln. Zur Wettbewerbsjury zählten: Prof. Nanni Grau (TU Berlin), der Architekt und Soziologe Torsten Klafft (Uni Hannover), Kerstin Faber (Bundesstiftung Bauakademie), Julia Lorenz und Helen Friedlein (NABU Landesverband Berlin e. V.) sowie der Preisträger des Nachwuchsarchitektinnen-Wettbewerbs 2024, Luke Hintemann.
Die eingereichten Arbeiten wurden auf drei Ebenen geprüft: einer gesamtpolitischen, einer kommunalpolitischen und einer individuellen Ebene. Damit sollten die Bewerberinnen über den Architektinnen-Beruf hinaus die Problematiken erkennen und einen Handlungsspielraum definieren. Prämiert wurden zwei Arbeiten, die „eindeutig und einstimmig“ alle Kategorien erfüllten und – so die Jury bei der Preisverleihung – „sich hervorragend ergänzen“.
Mit ihrer Abschlussarbeit, die mit dem ersten Preis prämiert wurde, setzen die Autorinnen bedachte Eingriffe auf unterschiedliche Maßstäbe innerhalb eines ausgewählten Gebiets im Berliner Speckgürtel
Foto: Hannah Steinborn und Jule Jünger
Ein erster Preis ging an die Abschlussarbeit „Der Traum ist Einfamilienhaus“ von Hannah Steinborn und Jule Jünger, beide Absolventinnen der TU Berlin. Ihre Arbeit „beleuchte in einer maßstabsübergreifenden Betrachtung die räumlichen und sozialen Mehrwerte dieser Gebiete. (…) Durch einen hohen Reflektionsgrad hat die Arbeit ein überzeugendes Zukunftsbild gezeichnet“, so die Jury. Ihr konkreter, wenn auch erfrischend utopischer, Schritt-für-Schritt-Plan für eine Veränderung der Einfamilienhausgebiete – samt neu konfigurierter Grundrisse und bedachter Eingriffe im Straßenraum – bringt dabei die Bewohner*innen und ihre Bedürfnisse in den Vordergrund, wenngleich die Architektur dabei eine entscheidende Rolle spielt.
Eine Anerkennung ging an die Arbeit von Luisa Fiedler, ebenfalls Studentin der TU Berlin. In ihrem Foto-Essay „Und hinter tausend Hecken … eine neue Welt“ dokumentiert sie die Gespräche, die sie mit 52 Bewohnerinnen eines Einfamilienhausgebiets führte, um durch einen methodischen Ansatz Geschichten, Eindrücke und Wünsche der dort lebenden Menschen zu sammeln und „daraus einen ersten Schritt Richtung echter Transformation zu machen“, so die Jury. So setzt sich ihre Arbeit an den Anfang des Transformationsprozesses, denn „das Hinterfragen der eigenen Wohnform war das eigentlich unerwartete Ergebnis meiner Feldforschung“, so Luisa Fiedler.
Die Preisträgerinnen (links im Bild) Jule Jünger und Hannah Steinborn
Foto: www.plattformnachwuchsarchitekten.de
Die Gewinnerarbeiten seien ein Beweis dafür, dass „die junge Architekt*innenschaft das Bewusstsein besitzt, den Berufsstand zu hinterfragen und den hier untersuchten Bestand in seiner materiellen wie individuellen Komplexität erkennt. Mit den kleinstmöglichen Eingriffen wurden überzeugende Vorschläge und Herangehensweisen ausgearbeitet“, so Torsten Klafft. Mit dem Nachwuchswettbewerb und der Veranstaltung sei ein weiterer wesentlicher Schritt getan. Die Anpassung von Einfamilienhausgebieten an die künftigen Herausforderungen bleibt ein Thema, das – statistisch betrachtet – immer noch die Mehrheit der hier im Lande lebenden Menschen betrifft und somit auch von ihnen mitgestaltet werden muss. Dabei können und müssen Planerinnen die helfenden Werkzeuge bereitstellen, um für alle einen passenden und besseren Lebensraum zu gestalten.
www.plattformnachwuchsarchitekten.de/wettbewerb
Zur prämierten Masterarbeit von Hannah Steinborn und Jule Jünger