„La Tendenza“ – „Aldo Rossi – Teatri“

Zwei Ausstellungen über die Postmoderne

In dem schwimmenden "Teatro del Mondo", das Aldo Rossi für die Biennale in Venedig 1979 realisiert hat, haben kaum Darstellungen stattgefunden und nach dem kurzem Auftreten in der venezianischen Lagune und der anschließenden Fahrt über das adriatische Meer bis nach Dubrovnik, ist es wieder auseinander gebaut worden. Trotzdem hat das ephemere kulissenartige Gebäude wie kaum ein anderes Projekt die italienische Architektur der zweiten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts Ikonenartig geprägt.
Einige der Originalzeichnungen des Teatro del Mondo, sowie verschiedene Modelle und Skizzen sind zur Zeit in gleich zwei Ausstellungen in Paris und Venedig zu sehen und zeugen dafür, dass die "postmoderne" Architektur, zu der man auch Aldo Rossi zählt, inzwischen in seiner historischen Perspektive betrachtet wird.
In Paris sind die Pläne von Rossi zusammen mit vielen anderen Projekten von italienischen Architekten aus der Zeit zwischen 1965 und 1985 ausgestellt. Als Titel der Pariser Auswahl von Skizzen, Zeichnungen und Ölbilder, die zum großen Teil aus dem Archiv des Centre Pompidou stammen, wurde der Begriff "La Tendenza"  (die Tendenz), in Anlehnung an die gleichnamige Gruppe, die von Aldo Rossi mitgegründet wurde, gewählt.
Aber eigentlich hat eine wahre Gruppe nie richtig bestanden. Die "Tendenza" war eher eine freie Vereinigung von Architekten, die jedoch kaum zusammen gearbeiteten haben und auch keine bindenden theoretischen oder formalen Prinzipien folgten. Vielmehr handelte es sich um eine "lockere" Gemeinschaft von Architektur-Denkern, die in erster Linie die Beziehung zwischen Architektur und Stadt in den Vordergrund stellten, sowie einen Bezug zu der Architektursprache der Vergangenheit suchten. Aber diese Zugehörigkeit bedeutet keineswegs das Aufgeben einer starken Individualität und Selbstbehauptung. Zwar ist die Überholung der Moderne, als abstrakte, funktionalistische und zeitlose Architektursprache gewissermaßen ein gemeinsamer Nenner, aber die Formen und Akzente, die dieser Umbruch annimmt, sind sehr unterschiedlich.
Unter diesen lockeren Vorgaben vereinen sich so Architekten, die durchaus unterschiedliche Ansätze in den Vordergrund der eigenen Arbeit stellten und zu sehr unterschiedlichen formalen Ergebnissen kamen. Wenn bei einigen Architekten, wie zum Beispiel bei Carlo Aymonino oder Mario Ridolfi mehr die sozialen Aspekte der Architektur und die Notwendigkeit für das Wohnproblem neue Ansätze zu finden im Vordergrund stehen, erscheint bei anderen, wie Paolo Portoghesi oder Aldo Rossi die Frage nach einer neuen Formsprache für die gegenwärtige Architektur besonders wichtig zu sein. Andere wiederum, wie Antonio Monestiroli oder Franco Stella, kann man kaum zu der postmodernen Architektur zählen und auch der "Bruch" mit der Moderne ist nicht so radikal. Wieder andere, wie die römische Gruppe GRAU und Franco Purini, versuchen einen dritten Weg, bei dem die Suche nach einer zeitgemäßen Architektursprache sich weder auf historische Formen bezieht, aber auch keine Kontinuität mit der Moderne aufzeigen möchte.
Unter allen ist jedoch Aldo Rossi derjenige, der auf die Architekturauffassung von mehreren Generationen von Studenten und Architekten den größten Einfluss gehabt hat. Dies ist auf der einen Seite mit der vertraulichen und allgemein verständlichen Formensprache der einfachen Geometrie zu erklären, aber sicher auch durch den Erfolg seiner theoretischen Schriften, insbesondere das 1966 veröffentlichte Buch "L'architettura della città" (Die Architektur der Stadt). Hier schildert er durch die Beschreibung der italienischen Städte seine Auffassung einer Architektur, die Teil eines städtischen Gefüges ist und so mit den vielen Schichten der Geschichte im ständigem Dialog ist. Eine Stadt, die sich in Analogie zu einem Gebäude ständig wandelt und sich den neuen sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Bedingungen anpassen muss. Dafür muss sie formal so ausgebildet sein, dass in der Zeit in der gleichen Hülle auch andere Funktionen aufgenommen werden können.
Diese Grundsätze finden sich auch in der Ausstellung in Venedig wieder, wo neben dem "Teatro del Mondo" auch die weiteren Theaterprojekte von Rossi gezeigt werden. Bei den Wiederaufbauten der Opernhäuser in Genua und in Venedig, wird klar wie Rossi den Bauten eine neue Schicht hinzufügt und so die rekonstruierten und restaurierten Teile ergänzt um dem Bau eine neue Identität zu geben, ohne die Vergangenheit auszulöschen. In der venezianischen Ausstellung in den schlichten Salzspeichern, die für die Stiftung des Malers Emilio Vedova von Renzo Piano restauriert wurden, ist das formale Spiel der Maßstäbe besonders einleuchtend dargestellt. Neben den faszinierenden Handzeichnungen und -kollagen, sind kleine Holzmodelle und übergroße Espresso-Kaffeemaschinen ausgestellt: so werden die Objekte aus dem Haushalt zu Kirchtürmen und zu Bühnenbilder, in denen sich das städtische Leben abspielt.
Auffallend ist in beiden Ausstellungen, dass unter den vielen teilweise raffinierten Bleistift- und Tuscheskizzen, Öl- und Aquarellzeichnungen nur sehr wenige Aufnahmen von gebauten Projekten zu sehen sind. Einige Architekten, wie Massimo Scolari und Arduino Cantafora, von dem die 1984 für die IBA Berlin realisierten großen Leinwände "L'altra Berlino" (das andere Berlin) für die Ausstellung restauriert wurde, haben sich schon zu Anfang ihrer Karriere für eine ausschließlich gemalte Architektur entschieden.
In Paris sind neben den Zeichnungen auch eine Vielzahl von Büchern, Zeitschriften und Manifesten in den Ausstellungsvitrinen aufgereiht. Es überkommt einen so der Zweifel, dass das Interesse der Architekten der "Tendenza" mehr den raffinierten Zeichnungen und den theoretischen Überlegungen und Auseinandersetzungen galt, als für das Bauen an sich.
Die Ausstellungsstücke erwecken den Eindruck aus einer elitären, etwas weltfremden "Akademie" zu stammen, die sich von den politischen und wirtschaftlichen Kompromissen, die das Bauen in einem Land wie Italien stärker als in anderen Ländern beeinträchtig, fern halten wollten. Auch schien man den technischen Vorgaben und Bedingungen des Bauens nicht eine angemessene Bedeutung zu geben. Dies ist durch den teilweise schlechten Zustand, in dem sich heute viele Bauten aus der Zeit befinden, bezeugt.
In den gleichen Jahren, in denen die faszinierenden Bilder und Zeichnungen entstehen und die raffinierten theoretischen Thesen aufgestellt werden, boomt in Italien die Baukonjunktur. In den Jahren nach dem 2. Weltkrieg werden in Italien Flächen und Volumen verbaut, wie kaum in den Jahrhunderten zuvor. Die Gürtel um die italienischen Altstädte expandieren zu Wohnghettos und hunderte von Kilometern Küstenlandschaften werden ohne jegliche urbane und architektonische Qualität verbaut. An diesem Bauboom haben sich die Architekten der "Tendenza" kaum beteiligt und auch nur einen sehr geringen Einfluss gehabt.

Die Ausstellung La Tendenza ist noch bis zum 10. September zu sehen.

Ort: Centre Georges Pompidou , Place Georges-Pompidou, 75004 Paris
Zeit: außer dienstags, 11-21 Uhr

Die Ausstellung Aldo Rossi – Teatri ist noch bis zum 25. November zu sehen.

Ort:
Fondazone Vedova , Dorsoduro 42, 30123 Venedig
Zeit: außer dienstags, 10.30-18 Uhr

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