Wem gehört die Stadt?
Der Film von Anna Ditges zeigt Bürger in Köln in Bewegung und Möglichkeiten zeitgenössischer Partizipation. Von Bettina Schürkamp 22.01.2018Heliosstraße 35-37 ― Seit dem Jahr 2009 hat sich diese Anschrift in Köln-Ehrenfeld zu einem zentralen Standort der Designausstellung „PASSAGEN“ entwickelt, die seit 1989 jährlich begleitend zur Internationalen Möbelmesse an fast 200 Orten in Köln Designpositionen vorstellt. Der „Design Parcours Ehrenfeld“ rückt mit etwa 70 Präsentationen hierbei das kleinteilige Stadtquartier ins internationale Rampenlicht, das sich in den letzten Jahrzehnten von einem Arbeiterviertel zu einem lebendigen Standort der Kreativwirtschaft rund um das ehemalige Industrieareal der Firma Helios AG (1882-1905) entwickelt hat. Dieser weit über Köln bekannte Treffpunkt der Kreativ- und Architektenszene ist einer der Schauplätze, an denen die Kölner Filmemacherin Anna Ditges ihren Dokumentarfilm „Wem gehört die Stadt. Bürger in Bewegung“ drehte, der seit dem 19. Februar bundesweit in ausgewählten Kinos gezeigt wird und im Rahmen der Reihe „Kleines Fernsehspiel“ realisiert wurde.
Die Regisseurin filmte mit ihrer Kamera in den Jahren 2011 und 2012 den Protest der Bürger gegen ein geplantes Einkaufszentrum mit 20.000 Quadratmetern Verkaufsfläche auf dem rund vier Hektar großen Industrieareal. Mehr als 750 Anwohner kamen zur ersten Informationsveranstaltung, die schließlich in die erweiterte Bürgerbeteiligung „HELIOS FORUM“ mündete. Was war passiert? Die Bauwens Unternehmensgruppe hatte im Jahre 2006 das Gelände erworben und die Entwicklung zum Einkaufszentrum mit der Wirtschaftsförderung und dem Stadtplanungsamt der Stadt Köln abgestimmt. Im „Einzelhandels- und Zentrenkonzept Köln 2010“ ist dementsprechend dieser Bereich nahe zum Bahnhof Köln-Ehrenfeld als Bezirksversorgungszentrum gekennzeichnet. Als die Pläne für das Einkaufszentrum bekannt wurden, schlossen sich besorgte Bürger und Geschäftsleute zur „Bürgerinitiative Helios“ zusammen, um alternative Vorschläge für die Neuordnung des Industriegeländes zu erarbeiten.
Ein Treffpunkt für Planungswerkstätten war die Heliosstraße 35-37 mit den Ausstellungsräumen des Büro Voggenreiter, das seit 1990 das Interior Design Festival „PASSAGEN“ veranstaltet und zusammen mit Kay von Keitz die Architekturbiennale „plan“ organisiert. Im Jahr 2008 gewann Sabine Voggenreiter mit ihrem Projekt „Design Quartier Ehrenfeld“ (DQE) den vom Wirtschaftsministerium NRW aufgelegten Landeswettbewerb „Create.NRW“ als Teil des EU-NRW-Programms „Regionale Wettbewerbsfähigkeit und Beschäftigung 2007–2013“. Auf die persönliche Einladung des Eigentümers Paul Bauwens-Adenauer hin, eröffnete sie 2009 die DQE-Zentrale in der ehemaligen Industriehalle an der Heliosstraße.
Ein Ziel des Projektes war es experimentelle Handlungskonzepte von „unten“ aus der Bevölkerung heraus zur räumlichen und inhaltlichen Strukturierung des Quartiers Ehrenfeld zu entwickeln. Entstanden ist ein enges Netzwerk von 600 Bürgern und Akteuren, die am Bürgerbeteiligungsverfahren mitwirkten, welches das städtebauliche Leitbild „Belebtes Stadtquartier für Alle“ entwickelte. Mit dem Beschluss vom November 2012 beschloss der Stadtentwicklungsausschuss die Umsetzung der Ergebnisse des moderierten Bürgerbeteiligungsverfahrens mit der kappen Feststellung ― „Alternative: Keine, …“.
In diesen Tagen beginnt der Abriss der ersten Gebäude rund um die DQE-Ausstellungshalle, die bis kurz vor der Architekturbiennale „plan15“ zunächst geschlossen bleibt, danach wieder für mehrere Jahre genutzt wird und erst in einem späteren Bauabschnitt für ein neues Kulturgebäude niedergelegt werden soll. Auf der Grundlage der Ergebnisse der Bürgerbeteiligung realisiert in den nächsten Jahren das Büro Ordner & Ordner Baukunst eine städtebauliche Konzeption mit Wohnungen, einem Kulturkomplex und einer Inklusiven Universitätsschule (IUS) in städtischer Trägerschaft.
Auch wenn die vielfältige Welt von Ateliers, Probenräumen, Ausstellungsräumen und Clubs, die Anna Digtes in sehr persönlichen Interviews dokumentierte, verschwinden wird, so ist dennoch eine starkes Wir-Gefühl in Ehrenfeld entstanden, das den weiteren Bauprozess mit Projekten begleiten soll. Rund um den denkmalgeschützten Helios Leuchtturm sollen umfangreiche Grünanlagen mit Durchwegungen entstehen, die mit den Bürgern im DQE-Projekt „Urbane Agrikultur & Produktive Stadtlandschaft“ mit Gemeinschafts-, Mieter- und Schulgärten“ entwickelt werden sollen. Bei der Premiere des Films blickten Bürger, Investoren, Stadtplanungsamt und Politiker mit viel gegenseitigem Zuspruch auf dieses nicht nur für Köln modellhafte Beteiligungsverfahren zurück.