Kirchlein für Trucker und uns andere auch

schneider + schumacher architekten übergeben Autobahnkirche Siegerland bei Wilnsdorf

Autorastplätze und so genannte Autohöfe versprechen in der Regel eines: Ungemütlichkeit, vielleicht auch zu teures und zu schlechtes Essen. Selten, dass man länger bleiben wollte, und die, die bleiben müssen, für eine Nacht, halten sich meist in ihren Lastwagen auf.

Im Gegensatz zu Raststätten liegen Autohöfe meist ein wenig mehr abseits, bieten eine breitere Infrastruktur für die, die hier bleiben müssen und sind überhaupt fast soetwas wie eine künstlich gefertigte Stadt; oder eher: wie ein Dorf. Hotels, Fastfoodanbieter und manches mal auch Zockerpaläste neben Waschstraßen und riesigen, irgendwie kaum erfassbaren geschweige denn erkennbaren Ordnungen, wer wie und wo für wie lange sein Auto parken darf.

An einem solchen Ort, mitten im wunderschön bewaldeten Siegerland gelegen, an der Ausfahrt Nr. 23 der Bundesautobahn A 45, wurde jetzt eine kleine Kirche gebaut und den Nutzern übergeben; Ute Pohl, eine der beiden Vorsitzenden des eigens gegründeten „Fördervereins Autobahnkirche Siegerland e. V.“, sprach anlässlich der Projektvorstellung am vergangenen 13. Mai von „Zielgruppe“. Was diese Zielgruppe ausmacht? Rastsuchende ganz allgemein, Gläubige „jeglicher Glaubensrichtung“ (Ute Pohl. Sie meinte allerdings in erster Linie die der christlichen Kirchen). Gerne auch Motorradfahrer (auch mit Kutte) oder die in gleicher Weise der Kirche ferne stehend scheinenden Trucker.

Eine Million Autobahnkirchenbesucher gibt es in Deutschland jährlich, sie verteilen sich auf jetzt 40 Kirchen entlang des Autobahnnetzes. Und weil, wie Ute Pohl glaubt, an der stark befahrenen „Nord-Süd-Achse“ noch keine Kirche stand, haben sie und ihr Mitstreiter, Hartmut Hering, einen Architektenwettbewerb ausgelobt. Davor wurden fleißig und mit steigendem Erfolg Klinken geputzt, die Amtskirche oder die Gemeinde Wilnsdorf gaben nichts (letztere immerhin das Baugrundstück).

Im März 2009 gewann schneider+schumacher den Wettbewerb, Baubeginn war im März 2011 mit einem skulpturalen Beton-Fundament als Basis für die darüber liegende Kirche in Holzständerbauweise. Die äußere Form ist abstrakt, eine dreidimensionale Umsetzung des überall an den Straßenrändern und Ortseinfahrten für den Gottesdienstbesuch werbenden Kirchen-Piktogramms. Man betritt die Kirche über einen Steg (Stahlbau, verplankt), der sich zu einem überdachten Eingang schließt. Im Inneren öffnet sich ein Raum, dessen Gestaltung überrascht: Ist die äußere Form wie das scharf gefaltete Papier einer kunstvollen Origami-Skulptur, steht im Inneren eine aus OSB-Platten geschnittene, unregelmäßige Kuppelform. Die öffnet sich zum Altarbereich, der wie im klassichen Kirchenbau den Chor bildet, hier eher eine Seitenkapelle, da der Andachtsraum nicht (axial) gerichtet ist. Dennoch liegt der Chor in Ostrichtung. In diese Erweiterung fällt von oben durch eines der beiden Oberlichter in der Turmspitze difuses Licht, das den Raum hinter dem filigranen Holz-Gewölbe ausfüllt und ihn beinahe transzendiert in das, was eine (gut gemachte) Kirche auszeichnet: Sakralität. Durch das nach Osten weisende zweite Oberlicht fällt also Morgenlicht durch die Holzrippen der Gewölbekonstruktion, beide Lichtquellen werden durch ein paar wenige Lichtspots unterstützt.

Außer dem Chor und den von den Architekten gebauten Möbeln (alles aus OSB), die wie die Außen- und Innenhaut der Kirche mit weißer Farbe überzogen sind, wurden die Sitzmöbel (Hocker ohne Lehne!) und natürlich die Kuppelkonstruktion hölzern sichtbar belassen.

Die komplette Kirche wurde in Holzständerbauweise im Bereich der Außenwände und einer Holzbinderkonstruktion für das Dachtragwerk bzw. die Turmbauten erstellt. Ein Großteil der Bauteile wurde bereits im Werk vorgefertigt. Die Holzkonstruktion der Wände und des Dachtragwerks sind im Zwischenraum gedämmt. Die Innen- und Außenseiten der Holzkonstruktion werden mit OSB-Platten verkleidet. Die Brückenwände bestehen aus einer Holzfachwerkkonstruktion. Die komplette Fassade der Kirche und der Verbindungsbrücke wurde mit einer Polyurethan-Sprühabdichtung (in weißer Farbe) versehen. So werden, so die Architekten, einerseits die Außenflächen des Holzes gegen Feuchtigkeit und Beanspruchung geschützt, andererseits erhält die Kirche ein homogenes Erscheinungsbild.

Das Gewölbe

In dem eigentlich quadratischen Grundriss der Kirche entstehen durch die halbkreisförmige Ausbildung der Innenkuppel in den Randzonen Freiflächen, die außerhalb des Sichtbereiches des Besuchers als Sakristei und auch als Nebenräume (z. B. Stuhllager) genutzt werden. Die Innenkuppel besteht aus 66 vertikal und horizontal zueinander verlaufenden, halbkreisförmigen Holzspanten, welche wiederum aus ca. 650 Einzelteilen zusammen gesetzt sind. Die Holzrippen werden über die in die Platten eingebrachten Schlitze ineinander gesteckt. Dadurch erhält die Konstruktion eine Eigensteifigkeit und trägt sich selbst. Eine Fixierung am Fußboden ist nur punktuell über Stahlwinkel notwendig.

Die Einweihung und Eröffnung der 40. Autobahnkirche Deutschlands findet am 26. Mai 2013 statt. Danach wird sich zeigen, ob der Bau mehr als nur interessierte Architektenkollegen anzieht; Trucker, Kuttenträger, Spieler und all die anderen Sünder, denen hier in der 40. Autobahnkirche Deutschlands ein wirklich schöner Ort geschaffen wurde. Und uns anderen natürlich auch! Und wer Sorge hat, sich an diesem spirituellen Ort zu sehr zu verlieren – vielleicht gar dem Auto abzuschwören oder schlimmeres – dem sei versichert, dass die entfernt rauschende Autobahn niemals stille ist, auch in dem Kirchlein ist ihr beständiges Rufen zu hören, Gott sei dank! Be. K.


Technische Daten:

Bauherr: AutobahnkircheSiegerland e.V. Vorsitzende: Herr Hartmut Hering, Frau Ute Pohl
Architektur: schneider+schumacher Planungsgesellschaft mbH
Projektarchitekt: Michael Schumacher
Projektleiter: Hans Eschmann
Bauleitung: Kerstin Högel
Mitarbeiter am Projekt: Michael Schumacher, Hans Eschmann, Kerstin Högel, Alexander Volz, Ragunath Vasudevan, Elmar Lorey, Jana Heidacker
Vergabeform: Wettbewerb 03/2009
Tragwerksplanung/Baupysik: B+G Ingenieure Bollinger und Grohmann GmbH
Haustechnik: rpb ingenieure GmbH
Vermessung: Dipl.-Ing. J. Seelbach
Grundstücksgröße: ca. 500m²
BGF/ oberirdisch: ca. 240m²
NF: ca. 240m²
BRI oberirdisch: ca. 2.050m³
Gebäudeabmessungen: Kirche, ca. 14,00 x 14,00m zuzgl. Zugangsbrücke
LPH s+s: 1 – 8

Bauzeit: 03/2011 – 05/2013

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