Kant mit Garage

In Berlin wartet ein Baudenkmal ganz gelassen auf das Ergebnis eines Gutachtens

Die Kantstraße im Berliner Stadtteil Charlottenburg im Bezirk Charlottenburg-Wilmersdorf ist ein vielbefahrene, in beide Fahrtrichtungen dreispurig ausgebaute Verkehrsachse, deren grüner Mittelstreifen einmal der städtischen S-Bahntrasse diente. Manche kennen die Straße, die zwischen Breitscheidplatz und Suarezstraße gut 2300 m lang dichten Autoverkehr aushält, vom Theater des Westens oder dem die Straße neuerdings im Osten abschließenden „Zoofenster“ (Mäckler Architekten). Und dass das erste wirkliche Hochhaus im damaligen Westen der Stadt den Straßennamen wie ein Signet auf dem Dach trägt („Kant-Dreieck“, von Josef Paul Kleihues) deutet darauf hin, dass hier ein Name ortsbildprägend wirkt. Immanuel Kant ist der Namensgeber seit 1887.

Weniger bekannt ist den Meisten vielleicht, dass an dieser Verkehrsachse auch eine der ersten und heute wohl auch eine der letzten deutschen Hochgaragen zu finden ist, deren Identität wiederum an den Namen des Philosophen gekoppelt ist: Kant-Garagen.

Diese, zwischen 1929 und 1930 als konzeptionell moderne Stahlbetonkonstruktion realisiert, ausgedacht von den Architekten Hermann Zweigenthai, Bruno Lohmüller, Oskar Korschelt, Jakob Renker und Richard Paulick, wird bis heute und ohne längere Unterbrechungen als das genutzt, als was sie gebaut wurde: als Zufluchtsort für Autos und deren Fahrer. Nun ja, damals ganz sicher, da war der Fünfgeschosser inmitten eines im Weltkrieg 1939-45 zerbombten Neoklassizismus ein Hingucker, ein Ausflugsziel, eine noble Adresse für noble Karossen. Heute wird unten immer noch getankt, dahinter und darüber finden sich rund 200 abschließbare Boxen (die meisten im Originalzustand), in denen sich dieses oder jenes befinden mag: Ferrari oder Porsche, Mercedes oder Jaguar auch mal ein kleinbürgerliches Exemplar dieser immer weniger wertgeschätzen Spezies Maschine; sei sie im Ganzen vorhanden oder als Teilesammlung für eine Restaurierung … wenn mal wieder Zeit dafür ist).

Und so, wie das Automobil zum Auto, zum Fahrzeug wurde, das man heute durchaus nicht mehr besitzen muss, um groß und wichtig zu erscheinen, sind auch die Parkgaragenbauten nicht mehr mit diesem besonderen Nimbus behaftet … es sei denn, Herzog & de Meuron erfinden diesen Architekturtypus einfach ganz neu (1111Lincoln Road, Miami Beach). Womit dann auch der Abstieg eines Gebäudes in der Wertschätzung von Eigentümer und Nachbarschaft einhergeht, die Kant-Garagen an der Kantstraße modern seit Jahrzehnten vor sich hin. Und weil die Straße eine ziemlich sehr gute Geschäftslage in Berlin innehat, ist es nicht verwunderlich, wenn der Eigentümer, die Pepper Immobilien, einen Antrag auf Abriss und Neubau gestellt hat. Für ein Gebäude, das seit 1991 unter Denkmalschutz steht.

Dem Antrag wurde nach heftigen Protesten von Architekten- und Ingenieursseite aber auch von seiten der Politik und des Denkmalschutz nicht stattgegeben, er wurde von der zuständigen Bezirksverwaltung zurückgewiesen. Jetzt hat der Eigentümer noch die Möglichkeit, dieser Zurückweisung beim Landesdenkmalamt zu widersprechen, doch hier dürfte eine Stellungnahme des fachlichen Beitrats, des Landesdenkmalrats aus dem Jahr 2010 schon die Weichen gestellt haben: Danach ist die „Kantgarage nicht nur ein herausragendes Denkmal des Neuen Bauens, sondern auch ein einzigartiges – und hier ist der Ausdruck wirklich wörtlich zu nehmen – technisches Denkmal für den Automobilismus in Deutschland.“ Eines der letzten, gerade in den vergangenen Jahren wurde zahlreiche Parkhäuser aus den 20er/30er Jahren in Deutschland wegen ihres maroden, weil eben ungepflegten Zustandes abgerissen (so 2011 die „Parkgarage am Zoo“ von Hans Bielenberg und demnächst vielleicht die kleine feine „Holtzendorff-Garage“ (Berlin, 1928/29) von Johannes und Walter Krüger, die seit 2011 unter Denkmalschutz steht, aber mit jedem weiteren Tag zunehmend verfällt).

Doch was machen mit einem Denkmal, das bis heute dem gleichen Zweck dient, der aber längst nicht mehr unserem Lebensalltag entsprechen möchte? „Car Kosmetik“ wie auf Deck 5? Oder die obligaten wie difusen Kulturimplementate, die immer gut sind für eine Weiternutzung von Industriebauten? Oder sollte man die Garagen nicht einfach verfallen lassen und mit diesem Verfall eine Art Abschied zelebrieren, der auf der Kantstraße im Smog und Stillstand der Engpässe überall gegenwärtig ist? Zu teuer. Also erhalten. Zur Zeit wird ein weiteres Gutachten über den baulichen Wert erstellt wie sicherlich auch über die bauhistorische Bedeutung der Garage. Die Abweisung des Abrisses ist keine Lösung, die Kantstraße wartet. Be. K.


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