HOME +-Energiehaus der HFT Stuttgart

Beim Wettbewerb für energieeffizientes Bauen treten 20 Teams aus aller Welt in Madrid an

Solar Decathlon Europe heißt der europäische Wettbewerb für energieeffizientes Bauen, für den sich insgesamt 20 Teams aus der ganzen Welt angemeldet haben, um sich in Kürze in Madrid zu messen. Unter den vier deutschen Teams ist auch die Hochschule für Technik (HFT) in Stuttgart. Nun haben die Studierenden ihr Modulhaus HOME + vorgestellt, mit dem sie am Wettbewerb teilnehmen werden. Von Rüdiger Sinn, Stuttgart

Die Studierenden der HFT haben sich viel vorgenommen, um beim ersten Solar Decathlon auf europäischem Boden ein gutes Ergebnis zu erreichen. Mit ihrem HOME +-Haus produzieren sie unter Wettbewerbsbedingungen am Standort in Madrid doppelt so viel Energie, wie sie verbrauchen.

Die Grundlage für das Energiespar-Haus ist ein konstruktiver Mix aus verschiedenen Energiesystemen in einem modulhaft aufgebauten Gebäude. Eine sogenannte feucht-adiabatische Kühlung sorgt während der Sommermonate für kühle Luft in dem 75 qm-Wohnhaus. Das geschieht im sogenannten Kühlturm rein mechanisch (durch die abfallende kühle Luft, die zuvor an feuchten Tücher vorbeistreift). Eine thermische Solaranlage (96 Prozent des Warmwasserbedarfs werden darüber gedeckt) und eine reversible Wärmepumpe (als zusätzlicher Sicherheitspuffer) versorgen das Haus mit Wärme, beziehungsweise – für diesen Standort wichtig – mit Kühlenergie. Das ausgeklügelte Energiesystem bietet aber noch mehr. Unter der Photovoltaik (PV)-Anlage, die auf dem Dach in Richtung Süden ausgerichtet ist (die Oberlichter werden mittels thermischer Vakuum-Röhrenkollektoren verschattet), verbirgt sich eine weitere thermische Kühlung. Diese spricht nachts an und speichert die Nachtkühle des Weltalls als kaltes Wasser in einem Rückkühlspeicher. Das Wasser wird danach durch Kühldecken im Gebäudeinneren geschickt, deren Speicherfähigkeit durch Platten mit einem besonderen Phasenwechselmaterial (PCM = Phase Change Material) optimiert wurde. So reagiert die Decke träge und gibt die Kühle bei Tag wieder ab, dann wenn die Kälte benötigt wird.

Das ausgeklügelte Energiekonzept ist in die Module des HOME +, eingebettet. Die vier demontierbaren Teile, die wie Wohncontainer wirken, sind massiv aus Schichtsperrholz gefertigt und durch eine Vakuumdämmung hoch gedämmt (nach Angaben der Betreiber rund acht bis zehn Mal so gut wie mit einer konventionellen Dämmung). An den Schnittstellen (Verbindungsmodule) zeigen sich die energetischen Feinheiten. Die drei Verbindungseinheiten gliedern nicht nur den optisch wie ein Kubus wirkenden Bau, die Verglasung sorgt dort auch für den Lichteinfall. Zudem befinden sich hier Lüftungsmöglichkeiten. In zwei der Verbindungselemente ganz normal über das Öffnen der Fenster und den Luftaustausch über Lamellen, im dritten Fall über den länglichen Lüftungsturm, der – wie oben beschrieben – einen wichtigen (energetischen) Bestandteil des Hauses einnimmt. Die Höhe des „Energieturmes“, der tatsächlich aber nur wenig über das Gebäude herausragt, bewirkt ein möglichst langes Vorbeistreifen der Luft an den feuchten Tüchern. Bei diesem Vorgang reichert sich die Luft mit Feuchtigkeit an und kühlt gleichzeitig ab, da das Wasser verdunstet (Energie wird der warmen Luft entzogen). „Für die Wettbewerbsbedingungen in Madrid ist das tatsächlich ideal“, erklärt Sebastian Fiedler, einer der beiden Projektverantwortlichen. „In Madrid haben wir relativ trockene Luft, deshalb können wir diese noch befeuchten und kühlen müssen wir sie sowieso.“

Das Haus ist genau für diese mediterranen Bedingungen ausgelegt. „Am Standort Madrid produzieren wir doppelt so viel Energie, wie wir verbrauchen“, rechnet Jan Cremers von der HFT vor. Er ist mit Fiedler verantwortlich für die Realisation des Projektes. Und selbst am Standort Stuttgart – unter sehr viel schlechteren klimatischen Bedingungen – würde das Haus noch mehr Energie produzieren als verbrauchen. „Es ist deshalb auch Vieles möglich“, sagt Cremers und spricht auf die Möglichkeit an, mit dem Haus in Serienproduktion zu gehen. Bislang sind die Entwicklungs- und Produktionskosten allerdings noch zu hoch. 1,4 Mio. Euro mussten an Sponsorengelder zusammenkommen, um das Projekt zu finanzieren. „Die Baukosten liegen jetzt noch sehr hoch, bei ca. einer halben Million Euro, da es sich um einen Prototyp handelt. Durch diverse Maßnahmen ließen sich diese Kosten jedoch bei einer Weiterentwicklung sehr deutlich reduzieren“, ist sich Cremers sicher.

Dass das Haus oder das Konzept des Hauses in Produktion geht und zukunftsfähig ist, daran haben die Konstrukteure von der HFT keinen Zweifel. Möglichkeiten zur Verwendung und Orte zur Aufstellung gibt es für sie en masse. „Die vielen Flachdächer in Stuttgart oder in anderen Städten bieten sich dafür zum Beispiel an. Gerade dort, wo eine Nachverdichtung des urbanen Raumes schwierig ist“, sagt Sebastian Fiedler. Aber auch Orte, die nicht an eine zentrale Energieversorgung angeschlossen sind, könnten sich als Standort eignen. Hier ist das Bild von dem Kubus am Strand im Gedächtnis, wie es in der Projektvorstellung als möglicher Standort gezeigt wird.

In den nächsten drei Wochen wird das energieautarke Haus unweit des Campus der HFT fertig gestellt und Tests unterzogen. Dann geht es mitsamt der studentischen Mannschaft nach Madrid. Dort muss es von den Studierenden in zehn Tagen wieder aufgebaut werden und unterliegt dann den realen Bedingungen. Danach entscheidet eine Jury, ob das Haus den geforderten Kategorien standhält. Neben der Architektur und der Konstruktion gibt es für die Kategorien „Solar“ (Solarsysteme, Elektrische Energiebilanz), „Komfort“ (Komfortbedingungen, Haushaltsgeräte), „Sozial & Ökonomisch“ (Kommunikation und soziales Bewusstsein, Industrialisierung und Marktfähigkeit) und „Strategie“ (Innovation und Nachhaltigkeit) Punkte. Beim Thema Nachhaltigkeit sind die Erbauer jetzt schon stolz, dass ihr Haus bereits nach 20 Jahren über eine positive Energiebilanz (miteingerechnet ist hier die Herstellung des Hauses – also die sogenannte „graue Energie“) verfügt. Zudem seien alle Baustoffe ohne weiteres trenn- und recyclebar, betont Cremers.

„Wir wollen natürlich siegen“, sagt Sebastian Fiedler, „aber“ – und da bestätigt Fiedler die Aussage des Dekans der Hochschule – „wir haben auch jetzt schon gewonnen!“ Dabei betrachtet er zum einen die Wettbewerbsziele – die Studenten sollen an die Thematik des energieeffizienten Bauens herangeführt werden und Projekte entwickeln, die zukunftsfähig sind – und zum anderen den Nutzen für die HFT: Das fakultätsübergreifende Projekt hat Studierende der Architektur, des Bauingenieurswesens, der Nachhaltigen Energietechnik (sence = sustainable energy competence), Innenarchitektur, Bauphysik und Infrastrukturmanagement zusammengeführt. Dazu kommt die enorme Praxisorientierung. Seit Januar haben im Schnitt zehn Studierende die Module bei einer Holzbaufirma vormontiert. Zum Kernteam gehören rund 15 Studierende, weit über 200 seien darüber hinaus in irgendeiner Weise am Projekt beteiligt gewesen. Das Projekt hat sich also auch für die Studierenden gelohnt: „Wenn die später in die Praxis gehen, dann sind sie fit“, prognostiziert Jan Cremers zufrieden.

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