Eröffnet: Centro Botín in Santander Am Samstag, 24. Juni 2017, wurde das El Centro Botín vom spanischen Königspaar eröffnet. Entwurf: Renzo Piano Workshop
Santander will ihn auch: den Bilbao Effekt. Die mittelgroße Stadt mit ehemaligen Werften und Bootsbau, mit immer noch Santander Bank, Badestränden und einem mäßig lebhaften Geschäftstreiben an der Nordküste Spaniens, will mit dem Neubau aus der Werkstatt Renzo Pianos an den Effekt anschließen, den seine - allerdings deutlich größere - Nachbarstadt im Osten, Bilbao, mit seinem Guggenheim Museum in die Welt setzte. Hier hatte Frank Gehry einen Museumsbau hingesetzt, der, 1997 eröffnet, der Stadt den ab dann sprichwörtlichen "Bilbao Effekt" schenkte: Prosperität und Lebendigkeit nach langen Jahren des Abschwungs der ehemaligen Industriestadt.
Nun also Santander, das viele Spanienreisende möglicherweise auf der Fahrt vom besagten Bilbao ins wiederum benachbarte Gijon oder das weiter fort liegende aber mythisch aufgeladene Santiago de Compostella aus dem Autofenster sich anschauten in voller Fahrt. Die Stadt liegt leicht abseits der Autobahn, im Norden der Bahia de Santander, die Strandpromenade vor der Altstadt schaut nach Süden.
Kunst vermitteln und Kunst in die Welt bringen
Hierhin, auf einen ehemaligen Fährterminalparkplatz, wollte die Fondacion Botín, hinter der die Bank Santander steht, einen Museums- und Akademie-/Atelierneubau haben, der Kunst zeigt und Kunst vermittelt und Kunst in die Welt bringt. Für den Neubau suchte die Stiftung einen Architekten mit Erfahrung im Museumsbau und möglicherweise auch mit einer starken Affinität zum Meer, den Schiffen ... Wer da nur infrage kommen musste war schnell klar: Renzo Piano.
Wir konnten uns im Vorfeld der Eröffnung den Neubau anschauen und waren eigentlich bis zur Abreise immer wieder dort; um die ständig sich verändernden Ansichten zu verarbeiten, die der mit knapp 280000 kreisrunden Fliesen bestückte Neubau in jedem Wetter und zu jeder Tageszeit für uns erfindet. Mit dem Architekten konnten wir ebenfalls sprechen, das exklusive Interview kommt in der August-Ausgabe der DBZ.
Flieg Centro, flieg!
Fliegen soll der Bau können, in jedem Fall aber die Aussicht auf die Bay nicht verbauen. Dabei war die schon verbaut denn vor dem Neubau standen hier die Autos Schlange. Auf dem Weg zur Fähre nach England oder sonstwohin. Piano stellte ihn auf Le Corbusier Piloti. Zwischen die beiden schwebenden Volumen hängt er Treppenlandschaften und - zentral in der Mitte - die Planta arriba. Eigentlich das gläserne Dach der darunterliegenden Landschaft unterhalb der mächtigen Schiffsbäuche hinterm Perlmutterkleid. Die Architekten nennen diese ebenfalls gläsern überdachte öffentliche Ebene "Pachinko ", so heißt ein japanisches Automatenspiel, das in Japan Millionen Spieler süchtig macht und dessen ganz besonderer - auch lautstark nerviger Sound - die Italiener offenbar an das erinnert, was auf dem Glasdeck passiert.
Unter dem westlichen Flügel, dem zweigeschossigen Ausstellungsvolumen, wurden das Café und der Empfang von Glaswänden eingefasst. Transparenz war dem Architekten wichtig, auch der Fahrstuhlschacht am östlichen Bauteil ist verglast. Die beiden, schiffsrumpfähnlichen Volumen sind in Sichtachsenrichtung Stadt - Wasser ebenfalls komplett geöffnet, ein Durchblick ist allerdings nur theoretisch möglich. Dafür gibt es Ausblicke vom Feinsten auf die Stadtsilhouette und die Bay.
Tageslichtdecke wie aus der Zeit gefallen
Dass Renzo Piano in der oberen Ausstellungsebene - aktuell mit einer Solo-Schau durch den deutschen Künstler Carsten Höller bespielt und in seiner ganzen Größe offengehalten - eine Lichtdecke installierte, die auf die seine ersten Galeriedeckenabschlüsse zurückgeht, die er beispielsweise beim Museum der Fondation Beyerler in Basel umgesetzt hat, sieht man ihr nicht an. Das wunderschöne, nach unten hin sichtbare, filigrane wie zugleich sehr robust wirkende Raumfachwerk erinnert an die Baukastensysteme Fritz Hallers und scheint wie aus der (Architekturmoden)Zeit gefallen zu sein. Vierlagig lässt das Deckensystem differenzierte Lichtsteuerungen zu, die nicht hinter einem dieser so häufig anzutreffenden textilen Diffusor ihre Arbeit macht.
Abgesehen vom der Aufgabe, den Bau fliegen und in den Baumkronen verschwinden zu lassen, wollte der Architekt ihn zudem als Teil des öffentlichen Parks verstanden wissen. So sind die meisten Flächen, Treppen und weit übers Wasser ragenden Stege rund um die Uhr öffentlich zuglänglich, eine Dachterrasse auf dem östlichen Volumen mit Auditorium und Arbeitsräumen lässt Blicke auf die Stadt, die Wasserkante und die Bay zu, am Tag wie Nachts. Nachts leuchten diese Flächen vornehmen, LEDs beleuchten die Bodenglasplatten von den Seiten und machen sie hell.
Selbst wenn nur die Hälfte käme wäre es ein Gewinn
Mit dem Neubau verbunden war die Tunnelung der vierspurigen Straße entlang dem ehemaligen Parkplatz und einem Park, der seinen Namen nicht verdiente. Rund 80 Mio. € ließ sich die Bauherrin die Tieferlegung der Schnellstraße kosten, sie war auch Bedingung seitens der Stadt. Damit rückt, wie schon in vielen anderen großen Städten dieser Welt gelungen, die Stadt wieder ans Wasser heran, der Park ist jetzt tatsächlich einer. 50 Mio. € kostete das Centro Botín, es soll der Stadt mehr Leben generieren, eben in der Art, wie es in Bilbao gelang. Dort allerdings stehen rund 11000 m² Ausstellungsfläche zur Verfügung, mehr als viermal so viel wie in Santander. Zudem hat das Museum in Bilbao einen großen Namen und wurde in einer Zeit gebaut, als von einem Bilbao-Effekt noch gar nicht die Rede sein konnte.
1 Mio. Besucher zieht die Kunstmaschine im Baskenland jährlich an, in Santander möchte man ein Fünftel. Das ist optimistisch. Doch selbst, wenn nur die Hälfte käme, der Neubau im Park ist ein Gewinn für die Stadt; kulturell und vor allem städtebaulich. Nach 35 Jahren fällt er der Stadt zu, es sei denn, die Stiftung kaufte ihn ein zweites Mal. Aber vielleicht spricht man 2052 ja auch vom Santander-Effekt und der meint etwas viel schöneres, als bloß den Zugewinn von Prosperität? Be. K.