Marta, Herford

Brisante Träume

Eine Ausstellung im Marta, Herford, zu Geschichte und künstlerischen Rezeption der Weltausstellungen

Wer nach diesen ganz besonderen Tagen zwischen den Jahren den nötigen Schwung braucht, um in 2019 wieder in die Gänge zu kommen - intellektuell, diskursiv und durchaus auch motorisch - der sollte (und Sie bitte auch!) ins westfälische Herford reisen. Das dort seit vielen Jahren kunstdidaktisch und abwechslungsreich unterhaltsam tätige Kuratorenteam am Marta bietet noch ein paar Wochen lang eine kleine wie hochkomprimierte Schau zur künstlerischen Rezeption der Weltausstellungen in Paris, in New York, in Brüssel, Montreal und Osaka an.

Dabei geht es den Ausstellungsmachern nicht darum, die Geschichte der Weltausstellungen von der ersten in London 1851 bis zur kommenden in Dubai historisch vorzuführen, sie haben sich - zusammen mit dem Kunstmuseum Ahlen - die oben genannten fünf Expos zwischen 1937 und 1970 ausgewählt; man könnte sagen, die Klassiker dieses Ausstellungsformats. Während sich das Kunstmuseum Ahlen dann doch vor allem den historischen Zusammenhängen der Weltausstellungen widmet, wurden in Herford zeitgenössische KünstlerInnen eingeladen, ihre Arbeiten mit den Themen der Weltausstellungen damals zu einen Ganzen zu formen. Wobei das "Ganze" dann durchaus auch etwas offenes sein kann, eine Verzweigung, Ableitung, ein Umweg, eine Echokammer ...

„Die Künste als Botschafter der Nationen – seit über 150 Jahren beweisen die internationalen Weltausstellungen, dass Fortschritt nicht allein von Technik und Ökonomie bestimmt wird. Künstler*innen sind Gestalter der Zukunft,“ so Roland Nachtigäller, künstlerischer Direktor des Marta.

Fokussiert wird damit weniger auf die technischen Leistungen, auf die sozialen, die wissenschaftlichen und Forschungsaspekte der Ausstellungen, den Besuchern wird offenbar gemacht, dass die Expo-Geschichte auch für die Künste eine wichtige Funktion innehatte. So wird man Arbeiten, die im Kontext der jweiligen Weltausstellungen entstanden, als Indikatoren für die politischen und gesellschaftlichen Fragestellungen der damaligen Zeit verstehen müssen. So treten zahlreiche Exponate und Dokumente der fünf Weltausausstellungen in einen Dialog mit zeitgenössischen Werken. Be. K.

Paris 1937: IngenieurInnen des Lebens

Das etwa 10 x 15 Meter große Werk „Air, fer, eau“ (1937) von Robert Delaunay scheint den Marta-Dom fast zu sprengen. Die gigantische Ansicht der pulsierenden Stadt Paris mit Eiffelturm und Eisenbahn, die sich in einem dynamischen Treiben aus Formen und Farben auflösen, wird seit der Weltausstellung 1937 erstmals wieder in Europa ausgestellt. Mit diesem Werk bezieht sich Delaunay sehr deutlich auf das Expo-Motto „Kunst und Technik im modernen Leben“. Ihm gegenüberliegend zeigt Angela Fette (*1970, Düsseldorf) auf 25 Metern Länge die Wandmalerei „Musikmaschine“ (2018) mit skulpturalen Elementen, die mit Bezug auf das Vorbild Delaunay den Stil des Orphismus weiterführt und die Malerei als poetische Form begreift.

New York 1939/40: Demokratie und Zerstörung

Unter dem Motto „Die Welt von morgen bauen“ präsentierte die Expo die utopische Stadt „Democracity“, die einen Tag im Jahr 2039 vorzeichnete. Dieses Modell propagierte die Demokratie als Garant für gesellschaftlichen Fortschritt und war im zentralen weißen Kuppelbau der Expo zu sehen. Mit seinem „Dream of Venus“-Pavillon entwarf Salvador Dalí einen surrealistischen Gegenentwurf zum Expo-Motto. So waren die kunstvoll gestalteten „Tableaux vivants“ (lebende Bilder) deutlich erotisch aufgeladen und provokativ. Das Prinzip des Pavillons als temporäre Inszenierung greift auch Rob Voerman (*1966, Arnheim) mit „Entropic Empire“ (2018) auf: Im Innern seiner begehbaren, mit Karton verkleideten Installation befindet sich eine Sitzbank und ein Architekturmodell vom UNO-Hauptquartier in New York. Konzipiert vom ehemaligen Architektenteam um Le Corbusier und Oscar Niemeyer gilt der Funktionsbau bis heute als Symbol für Frieden und Völkerverständigung.

Brüssel 1958: Der mikroskopische Blick

„Fortschritt der Menschheit durch Fortschritt der Technik“ – die Brüsseler Expo brachte mit ihrem Blick auf die molekularen Strukturen der Welt das 102 Meter hohe „Atomium“ hervor, das die friedliche Nutzung der Atomkraft vermitteln sollte. Eines der umstrittensten Projekte jener Expo war jedoch der silberne Philips-Pavillon von Le Corbusier: Basierend auf der Idee eines elektronischen Gedichts war im Innern der zeltartigen Architektur eine Multimediashow aus Licht, Farben und Sound zu sehen. Auch bei Tim Berresheim (*1975, Aachen) verschmelzen verschiedene Medien und Dimensionen zu einem Gesamtkunstwerk. Seine farbintensiven, illusionistischen Bildwelten, die der Künstler mittels hochkomplexer Rechenprogramme generiert, lassen sich teilweise erst mittels einer 3D-Brille vollständig erfassen.

Montreal 1967: Aufbruch zu den Sinnen

Mit dem Motto „Der Mensch und seine Welt“ stellte die Weltausstellung in Montreal das individuelle Erlebnis in den Vordergrund, während die Grenzen zwischen Architektur und Installation zunehmend unscharf wurden. So initiierte Hugo Kükelhaus im deutschen Pavillon mit seinem „Naturkundlichen Spielwerk“ neue Formen der Mitmachkunst und auch in der kinetischen Kunst wird Energie als Phänomen erfahrbar: „Die Große Stehende“ (1966) von Otto Piene beeindruckt auch über 50 Jahre später mit ihrem Lichtspiel. Ganz in der Tradition der Weltausstellungen untersucht auch Nikolaus Gansterer (*1974, Wien) die Beziehung zwischen Kunst und Wissenschaft.In seinen „Maps of Bodying“ (2017) werden die Zusammenhänge von Wahrnehmen und Denken sichtbar. Auf Postkarten werden die Besucher*innen zu philosophisch-poetischen Gedankengängen über Wahrnehmung, Zeit und Raum verführt.

Osaka 1970: Träume von einer anderen Zukunft

Die erste Weltausstellung auf dem asiatischen Kontinent folgte dem Leitmotiv „Fortschritt und Harmonie für die Menschheit“. Der Pepsi-Pavillon war eine Kollaboration zwischen Wissenschaftlern, Ingenieuren und Künstlern rund um die E.A.T.-Gruppe. Im Außenbereich begrüßten die Besucher*innen bewegliche Skulpturen von Robert Breer, während in seinem verspiegelten Innern Performances sowie eine Laser-, Licht- und Klangshow präsentiert wurden. In einer kompletten Rauminstallation zeigt das Künstlerkollektiv Konsortium (Lars Breuer *1974, Köln – Sebastian Freytag *1978, Köln – Guido Münch *1966, Düsseldorf) historische Dokumente und Filmaufnahmen aus Osaka, die mit Bildern von der Nuklearkatastrophe im japanischen Fukushima 2011 aktualisiert werden.

 

Brisante Träume. Die Kunst der Weltausstellungen. Noch bis zum 10. Februar 2019. Mit Katalog

Marta Herford
Goebenstraße 2–10, 32052 Herford
Tel. +49.5221.994430-0

 
geöffnet
Di–So und an Feiertagen 11–18 Uhr

Die Ausstellung ist ein Kooperationsprojekt mit dem Kunstmuseum Ahlen. Beide Ausstellungsteile ergänzen einander, stehen aber gleichzeitig für sich. Das Gesamtkonzept entstand in Kooperation mit Dr. Thomas Schriefers, Köln. Die Ausstellung wird gefördert durch die Kulturstiftung des Bundes und den Mondriaan Fonds. Weitere Unterstützer der Ausstellung in Form von Materialgaben sind JAB Anstoetz, Fine Print Digital Druck, Düsediekerbäumer Metallbau und Edeka Wehrmann.

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