Vom Denkmal lernen

Bauhistorische Ikonen sind vor allem eins – Bestandsgebäude mit Zukunft. Diese zu ­gestalten und dabei auch die modernen Anforderungen an funktionierende Gebäude zu berücksichtigen, ist die Aufgabe einer Architektur, die das bauliche Erbe als kulturelle Ressource und schützenswerte Substanz begreift – auch jenseits des Denkmalschutzes.

Text: Winfried Brenne, Franz Jaschke, Fabian Brenne

Fassadenansicht der Bundesschule Bernau vor der Sanierung
Foto: Brenne Architekten

Fassadenansicht der Bundesschule Bernau vor der Sanierung
Foto: Brenne Architekten


Das Bürohaus aus den 1960ern, der Wohnblock aus den 1980ern: Noch immer reißen wir vorschnell ab, was wir nicht mehr lieben oder für das wir keine Verwendung mehr sehen. Dabei ist längst klar, dass wir uns diesen Luxus angesichts der Klima- und Energiekrise eigentlich gar nicht mehr leisten dürfen. Brenne Architekten gehen allerdings seit Anfang an einen anderen Weg. Uns beschäftigt der Bestand und seine Qualitäten – aber auch seine Mängel. Denn mit unserem Schaffensschwerpunkt auf der Sanierung und Modernisierung denkmalgeschützter Gebäude der Moderne und Nachkriegsmoderne beschäftigen wir uns meist genau dann mit einem Objekt, wenn es nicht mehr nützlich oder funktional ist, aber immer noch geliebt wird und der Nachwelt erhalten werden soll. Das macht uns zu Detektiven: Was genau ist eigentlich der Teil einer Architektur, der schützenswert ist und der für die Nachwelt erhalten werden sollte? Und was ist der Teil, der sich nach heutigen Erkenntnissen als Hypothek für die Gebäudesubstanz erwiesen hat und einer weiteren Nutzung im Wege steht?  Unterschiedliche Strategien, entwickelt anhand der Stärke und Schwächen der jeweiligen Objekte, führen dabei zu nachhaltigen Lösungen, die Substanz sichern und für die Nachwelt erhalten.

Zeitschichten – wiederentdecken: Bundesschule Bernau

Die ehemalige Bundesschule des ADGB in Ber­nau entstand 1929/30 nach dem Entwurf von Hannes Meyer und Hans Wittwer. Das Besondere an dem Gebäude ist die Übersetzung des gesellschaftlichen, pädagogischen und funktionellen Programms in eine von außen ablesbare Figur als „gebaute Pädagogik“ und die architektonische Ausbildung der einzelnen Baukörper mit einer einprägsamen Materialsprache im Inneren wie im Äußeren. Es handelt sich um eines der bedeutendsten Bauhausdenkmale außerhalb der Bauhausstadt Dessau.


Fassadenansicht der Bundesschule Bernau nach der Sanierung
Foto: Brenne Architekten

Fassadenansicht der Bundesschule Bernau nach der Sanierung
Foto: Brenne Architekten


Nach der Wende fand die Anlage keine langfris­tige Nutzung und verfiel, bis sich die Handwerkskammer Berlin dazu entschloss, hier ein Internat für das benachbarte Ausbildungsgelände unterzubringen und so quasi eine Nutzungskontinuität zu gewährleisten. Ursprünglich frei in eine Waldlandschaft mit einem kleinen Teich hineinkomponiert, befindet sich die Anlage heute inmitten weiterer Schul- und Bildungsbauten – wie auf einem Campus.             

Um die Nutzung als Internat zu ermöglichen, galt es, das Baudenkmal für die heutigen Anforderungen an die Unterbringung von Auszubildenden anzupassen. Mindestens ebenso wichtig war es jedoch auch, die Architektur von ihren zahlreichen Überformungen zu befreien und wiederherzustellen. Denn nicht nur die ehemals markante Eingangsseite mit den drei hohen Schornsteinen war bis zur Unkenntlichkeit verändert – die wechselvolle Geschichte hatte das gesamte Gebäude außen wie innen stark überformt.    

Neben dem ausführlichen Sichten und Auswerten der gesamten Bandbreite der bauhistorischen Quellen und Bauakten lag ein weiterer Schwerpunkt auf der Befundung der Qualität und des Zustands der gestalterisch wirksamen Materialien vor Ort, um Zeitspuren zu identifizieren und sie nach Möglichkeit zu erhalten. Aufgrund der vielen Überlagerungen ergaben sich erst beim Bauen nach der umfänglichen Öffnung von Bekleidungen und der Entfernung auch massiver Bauteile wichtige neue Erkenntnisse mit weiter­gehenden Befunden, sodass erst mit weit fort­geschrittenem Bauzustand die Befundermittlung abgeschlossen werden konnte. Das bedeutet auch, dass sowohl die Planung als auch das Denkmalkonzept schrittweise immer weiter verfeinert und angepasst werden mussten und viele Entscheidungen im Bauprozess vor Ort getroffen wurden. 


Modernisiertes Erbe: feingliedrige Musterfenster im Bauhaus Dessau
Foto: Brenne Architekten

Modernisiertes Erbe: feingliedrige Musterfenster im Bauhaus Dessau
Foto: Brenne Architekten


In Bezug auf die Frage, welche nicht originalen Bauteile zur Wiedergewinnung der bauzeitlichen Architektur von Meyer und Wittwer abgebrochen werden sollen, um größtmögliche Authentizität und Originalität herzustellen, ergaben sich unterschiedliche Ansätze: Vor allem im Bereich des Hauptgebäudes blieben die 50er-Jahre-Ergänzungen teilweise erhalten, da sie mit ihrem roten Mauerwerk gut von den gelben, bauzeitlichen Fassaden zu unterscheiden sind. Dagegen wurden die Baukörperkonturen und Fassaden der Schülerwohnhäuser und des Schulgebäudes mit den gelben Ziegelfassaden und den bündig liegenden Sichtbetonelementen der Tragstruktur freigeschält und im bauzeitlichen Erscheinungsbild wiederhergestellt.         

Im Inneren der Wohnhäuser blieb zwar die Raumstruktur unangetastet, jedoch erhielt jedes Zimmer ein kleines Duschbad, um heutige Standards zu erfüllen. Die in den Wohnhäusern vorgefundenen Holz-Kastenfenster, die man zu DDR-Zeiten aus energetischen und vermutlich auch aus Gründen der Wohnbehaglichkeit eingebaut hatte, wurden durch Stahlfenster nach historischem Vorbild ersetzt. Da sowohl bei den Fenstern als auch bei den ursprünglich nicht gedämmten, massiven Beton-Fensterstürzen Kältebrücken bestehen, wurde außer der Isolierverglasung und der gezielten Innendämmung als Kompensationsmaßnahme ein einfaches Lüftungskonzept entwickelt, das mögliche Raumluftfeuchte auf ein Minimum reduziert.   


Detail Fenster Bauhaus,
warmgewalztes Stahlprofil, 1926, M 1:2

Detail Fenster Bauhaus,
warmgewalztes Stahlprofil, 1926, M 1:2


In ähnlicher Weise wurde mit effektiven Maßnahmen im Detail auf die bauzeitlich brisanten Bauteile in energetischer Hinsicht eingegangen, so zum Beispiel im Speisesaal mit seinen großflächigen Verglasungen und Glasbausteinen im Dach oder in der Turnhalle mit den noch original vorhandenen Schiebetoren, mit denen sich die ganze Breitseite komplett öffnen lässt. Auch hier konnte das Original erhalten und mit einer inneren Neuverglasung die Anforderungen an Energie und Sicherheit erfüllt werden. Sich so behutsam und respektvoll einer augenscheinlichen Ruine zu nähern, hat dazu geführt, dass die Bundesschule heute wieder in ihrer ursprünglichen Funktion und kulturellen Bedeutung erkenn- und nutzbar ist. 

Authentizität – bewahren: Bauhaus Dessau

Kann man ein Welterbe wie das Bauhaus Dessau verbessern und dabei doch sein Erscheinungsbild erhalten und dem Denkmalschutz gerecht werden? Ständig wachsende Betriebskosten, bedingt durch hohen Heizenergiebedarf, und die stetig steigenden Energiepreise führten zu ersten Überlegungen, wie eine energetische Sanierung gelingen kann. Neben dem Wunsch nach geringeren Betriebskosten stand auch die Hoffnung auf ein besseres Raumklima.


Detail Fenster Bauhaus,
zusammengetztes Stahlprofil, 2011, M 1:2

Detail Fenster Bauhaus,
zusammengetztes Stahlprofil, 2011, M 1:2


In mehreren Stufen erarbeiteten die Verantwortlichen energetische Konzepte; die Suche der passenden planerischen Lösung übertrug man 2009 dem Büro Brenne Architekten. Das Ziel: die Eingriffe auf ein denkmalverträgliches Maß zu beschränken und doch im Vergleich zum aktuellen Stand möglichst viele Energieeinsparungen zu realisieren. Da die Gebäudehülle des Bauhauses zu einem Großteil aus Glasflächen besteht, sind hier die größten Energieverluste zu verzeichnen. Durch die Stiftung Bauhaus Dessau wurde hierzu eine Bewertung der Glasflächen des Bauhausgebäudes vorgenommen. Die Glasflächen teilte man dabei in drei denkmalpflegerische Kategorien ein: erhalten – untersuchen – verändern. So war bald klar, welche Bereiche unter bestimmten Bedingungen verändert werden können.

Durch die Erarbeitung eines Gesamtenergiekonzepts des Büros Transsolar Energietechnik GmbH aus Stuttgart sollte erreicht werden, dass die Maßnahmen für eine denkmalkonforme und nachhaltige, realisierbare und innovative Gebäudesanierung nicht nur auf rein bauliche Maßnahmen beschränkt sind, sondern dass auch die Nutzung des Gebäudes in die Maßnahmenformulierung mit einfließt. So konnten ganz gezielt die Bau­elemente ertüchtigt werden, bei denen der größte energetische Handlungsbedarf und die größten Effekte zu erzielen waren und denkmalpflegerische vertretbare Eingriffe darstellten. Hierbei war ein intensiver Abstimmungsprozess zwischen der Unteren und der Oberen Denkmalschutzbehörde sowie auch mit Icosmos notwendig.


Nischenprodukt: Im DHM Berlin nutzten Brenne Architekten die tiefen Fensternischen für die Installation dezentraler Lüftungstechnik
Foto: Brenne Architekten

Nischenprodukt: Im DHM Berlin nutzten Brenne Architekten die tiefen Fensternischen für die Installation dezentraler Lüftungstechnik
Foto: Brenne Architekten


Da die denkmalgeschützte Vorhangfassade des Werkstattflügels nicht verändert wurden durfte, entschied man sich – aufgrund der nur zeitweiligen Nutzung –  das Werkstattgebäude im ­Winter auf 16 °C zu temperieren und die Mit­arbeiter:innen in den gegenüberliegenden Teil des Gebäudes umzuziehen, wo einfach bessere klimatische Bedingungen für Arbeitsplätze zu schaffen waren. Das sparte bereits 50 % des Heizwärmebedarfs und reduziert die konstruktiven Maßnahmen zur energetischen Sanierung auf ein Minimum.

Die Architekt:innen begannen mit Marktrecherchen nach schmalen, thermisch getrennten Stahlprofilen und unternahmen vielfältige Versuche, mit den verfügbaren Profilen die Detailausbildung der Fens­ter am Bauhaus darzustellen. Jedoch stellten sie immer wieder fest, dass mit den am Markt verfügbaren Profilen die Feinheit der Blend- und Flügelrahmen und das Spiel der Öffnungsflügel nicht ohne Einbußen im Erscheinungsbild und in der Materialität umzusetzen sind. Schon seit Längerem führte man Gespräche mit der Montanstahl AG aus Stabio/CH zur Entwicklung und Herstellung von thermisch getrennten Tür- und Fensterprofilen aus warmgewalzten Stählen. Der Durchbruch ergab sich jedoch, als die Montanstahl AG den Kontakt zur Firma MHB B. V. aus den Niederlanden herstellte, die ein Patent für thermisch getrennte Stahlprofile aus vollen Flachprofilen und thermi­scher Trennung aus glasfaserverstärktem Kunststoff («SL30-ISO») hält. Die Produkte werden ­unter Verwendung von lasergeschweißten Halbzeugen der Firma Montanstahl hergestellt.


Schema Fenster und Lüftung DHM, o.M.
Illustration: Brenne Architekten

Schema Fenster und Lüftung DHM, o.M.
Illustration: Brenne Architekten


Das System war jedoch auf niederländische Bautraditionen zugeschnitten, wie nach außen aufgehende Fenster, und war nur bedingt auf die Bedürfnisse in Dessau übertragbar. Die Architekt:innen und MHB B. V. modifizierten die Profile gemeinsam in einem intensiven Prozess und konnten damit die Fülle an Vorgaben umsetzen. Schlussendlich entstanden Lösungen, die nicht nur energetische Verbesserungen ermöglichen, sondern auch verlorene bauzeitliche Profilausbildung und Qualitäten wiederbringen. Die Innovation der Profile von MHB B. V. liegt in der Flexibilität der Profilausbildung, bedingt durch das Zusammensetzen aus Vollflachstählen, lasergeschweißten U-Profilen und dem thermisch trennenden Steg aus glasfaserverstärktem Kunststoff. Die Breite der Flachstähle und ihre Lage zur thermischen Trennung sind dabei variabel. Diese Variationsfähigkeit hat es im Entwicklungsprozess ermöglicht, die Profile auf die speziellen Eigenheiten der Bauhausfenster zuzuschneiden.

Dank der Profile konnten auch die bauzeitlichen Beschlagsysteme wiedergewonnen werden, bestehend aus sichtbaren Baskülverschlüssen und Klappflügelbeschlägen. Man goss sie in Gestaltung und Ausführung unverändert gegenüber der bauzeitlichen Ausführung nach. Auch die für die Innenansicht wichtige Verkittung der Verglasung konnte entsprechend bauzeitlichem Vorbild ausgeführt werden.

Mit den erreichten Werten ist eine starke Verbesserung des Raumklimas und der Nutzungsqualität der Räume gewährleistet, verbunden mit einer spürbaren Komfortsteigerung gegenüber den Bestandsfenstern mit ihren Undichtigkeiten. Um dem Denkmalschutz gerecht zu werden, erhielten die Fensterlaibungen im Ateliergebäude lediglich einen hochwertigen, rein mineralischen Dämmputz. Die bauzeitliche, nicht thermisch getrennte Stahl-Unterkonstruktion der Fensterbänder im Nordflügel versah man im Zuge der Sanierung mit einer Begleitheizung in Form von selbstbegrenzenden Heizbändern. Zusätzlich sensibilisierte man die Nutzer:innen zum richtigen Lüftungsverhalten und installierte in Teilbereichen eine elektronische Feuchteüberwachung mit optischen Signalen, die zum Lüften auffordern. 


Funktionalität im Original erhalten:
Student:innenbude nach der Sanierung in Haus 9 des Studentendorfs Schlachtensee
Foto: Mila Hacke

Funktionalität im Original erhalten:
Student:innenbude nach der Sanierung in Haus 9 des Studentendorfs Schlachtensee
Foto: Mila Hacke


Zukunftsfähigkeit – erfinden: Deutsches His­torisches Museum

Dass Projekte im Denkmalbestand immer dann besonders erfolgreich sind, wenn die im Gebäude vorhandenen Qualitäten erkannt und genutzt werden und dass bei allem Respekt vor dem Vorhandenen und aller Behutsamkeit im Umgang mit der Substanz die Architektur nicht zu kurz kommen muss, zeigt das Beispiel der Sanierung des Deutschen Historischen Museums in Berlin.

1998 lobte der Bund einen Realisierungswettbewerb zum Umbau des Zeughauses aus, mit dem Ziel, hier die künftige Dauerausstellung des Deutschen Historischen Museums einzurichten. Ein vorliegender erster Entwurf mit abgehängten Decken und aufgeständerten Fußböden zur Unterbringung der neuen Gebäudetechnik war vom Bauherrn als ungeeignet erkannt worden – denn er hätte die innere Wirkung des Zeughauses grundlegend verändert und dem Gebäude seinen Charakter genommen. Die Vermeidung solch tiefgreifender Veränderungen war auch die Forderung der Denkmalpflege, verbunden mit dem Wunsch, die verschiedenen Architekturfassungen und Spuren der 300jährigen Geschichte zu erhalten und sichtbar zu machen, zumal es sich um eines der letzten repräsentativen Barockgebäude im Herzen Berlins handelt.

Die Wettbewerbsaufgabe bestand darin, das Gebäude so zu konditionieren, dass es den Standard moderner Museen erfüllt: Sie umfasste technische Vorgaben wie Vollklimatisierung der ­Ausstellungsbereiche, die Schaffung unter­schiedlichster Lichtszenarien und alle Sicherheitsanforderungen an Brandschutz, Entrauchung, Einbruchschutz etc. Gleichzeitig war die innere Organisation des Gebäudes zu optimieren. Ziel war eine Vergrößerung der Ausstellungsfläche, die Schaffung weiterer Archiv- und Depotflächen, eine verbesserte Besucher:innenführung sowie die Optimierung der Erschließung für Menschen mit Behinderung. Zu viel für ein Gebäude aus einer Zeit, als Barrierefreiheit und Vollklimatisierung noch Fremdwörter waren?

Es braucht nur den richtigen Ansatz: Wir fragten uns: Welches Potenzial bieten die ungewöhnlich tiefen Fensternischen des Hauses? Und welche Ressource stellen die mit bis zu 1,20 m ­über­dimensionierten Außenwände dar? Auf diese Weise wurde die Nische entdeckt – als späterer Standort einer dezentral organisierten Gebäudeklimatisierung. Bei unserem Fachplaner Matthias Schuler (Transsolar) fiel diese Idee auf fruchtbaren Boden und fand in der gemeinsamen Überlegung sehr schnell zur Präzisierung. In gestalterischer Hinsicht sahen wir darin zudem die Chance, bauliche Eingriffe zu reduzieren – und damit den Ansatz einer behutsamen Hinzufügung im Sinne einer bescheidenen und dennoch eigenständigen Architektursprache innerhalb des baugeschichtlichen Kontexts. Dass für die Idee geworben und zunächst einiges an Überzeugungsarbeit geleistet werden musste, zeigt sich schon in der Beurteilung der Jury: „Das vorgeschlagene Lüftungssystem wird als innovativ gewürdigt, wenn auch die Funktionstüchtigkeit noch nicht in allen Einzelheiten erkennbar ist ...“.

Auf Wunsch des Bauherrn, aber auch zur eigenen Sicherheit, waren wir deshalb gefordert, unsere Idee schrittweise zu überprüfen und aus dem Experimentierstadium herauszuführen. Die „Serien­reife“ des geplanten Nischen-Klimageräts (statt eines Prototyps) war von Seiten des Auftraggebers zur Grundbedingung einer Umsetzung gemacht worden. Also richteten wir im Zeughaus für einen 1 : 1-Feldversuch mithilfe einer raumhohen, über die gesamte Gebäudetiefe von 25 m reichende Abtrennung einen Testraum her, in dem Sommer- und Winterbedingungen mit allen beeinflussenden Faktoren wie plötzlichem Feuchtigkeitseintrag und ähnlichem ein Jahr lang getestet wurden.

Nach der einjährigen Testphase war nicht nur nachgewiesen, dass sich mit den fassadenweise gegenüberliegenden Nischengeräten ein stabiles Raumklima ohne kurzfristige Schwankungen herstellen lässt. Der Hersteller der Geräte hatte diese derweil auch zur Serienreife entwickelt. Als Brüstungsgeräte zur Raumtemperierung waren sie zwar schon auf dem Markt, das Novum stellte jedoch die gleichzeitige Be- und Entfeuchtungsmöglichkeit dar.

Parallel zur Entwicklung der technischen Anforderungen arbeiteten wir an der Detailausbildung des Gesamtelements. Für das Hinzufügen der erforderlichen neuen Elemente wie die Geräteverkleidung und die Luft- und Lichtlenkende Verglasung sowie das Lightshelf entwarfen wir eine sich wie selbstverständlich einfügende Form, die der Landeskonservator zur Eröffnung des Gebäudes als die „Kunst des kleinstmöglichen Eingriffs“ charakterisierte. Nicht nur mit Blick auf Architektur und Denkmalpflege, sondern auch in Sachen Wirtschaftlichkeit hat sich das Umbaukonzept in der Gesamtbilanz bewährt: Die dezentrale Klimatisierung erlaubte es, die Technikzentrale deutlich zu verkleinern und auch auf großvolumige Kanäle für den Transport und die Verteilung von klimatisierter Luft konnte verzichtet werden – was zu einer deutlichen Energie und Kosteneinsparung führte. Dadurch konnten die Ausstellungsflächen erweitert und zusätzliche Flächen für Archive im Dachgeschoss geschaffen werden – und die Authentizität des Gebäudes wurde gewahrt, die weitere Nutzung und damit der Erhalt gewährleistet.

Transformation – weiterbauen: Studentendorf Schlachtensee

Der beste Garant für den Erhalt historischer Gebäude und die Sicherung der Gebäudestruktur ist die Aufrechterhaltung der Nutzungskontinuität. Im Falle des denkmalgeschützten Studentendorfs Schlachtensee – von 1957 bis 1959 geplant und realisiert von der Architektengemeinschaft Hermann Fehling, Daniel Gogel und Peter Pfankuch – konnte diese Kontinuität ab 2012 durch eine behutsame Sanierung durch Brenne Architekten hergestellt werden.

Die Grundstruktur der Häuser mit großzügigen öffentlichen Bereichen und Gemeinschaftseinrichtungen in den Kernzonen sowie den außenliegenden Budenspangen bot auch nach fast 60 Jahren Nutzung ein durchdachtes attraktives Wohnkonzept für Student:innen. Veränderte Bedürfnisse studentischen Wohnens betrafen im Besonderen die sanitären Einrichtungen und die Möglichkeiten zur Selbstverpflegung. Die in den Kernzonen untergebrachten Sanitäranlagen entsprachen in Ausstattung und Anzahl nicht den heutigen Standards und wurden neu konzipiert und ergänzt. Das Angebot an Gemeinschafts­küchen wurde durch die Vergrößerung der kleinen Teeküchen und durch die Umnutzung von Gemeinschaftsräumen erweitert.

Um die Selbstverantwortung der Nutzer:innen zu stärken, wurden die Buden zu unterschiedlich großen Wohnbereichen (Wohngemeinschaften) mit zugeordneten Bädern und Gemeinschaftsküchen zusammengeschlossen und zur Erweiterung der Wohnangebote durch Einzelapartments ergänzt. Die Einzelzimmer bot trotz der kleinen Grundfläche einen gut durchdachten Wohnbereich, der mit festen Einbauten wie Einbauschrank, Einbauregal und Holz-Paneelwand sowie loser Möblierung durch Bett, Schreibtisch und Schubladenschrank ausgestattet war. Tischlermäßig überarbeitet und nach Befund hellgrau und weiß lackiert, durften die festen Einbauten bleiben, lediglich die mobilen wurden ersetzt.

Vor Beginn der Arbeiten wurden alle Wand-, Decken- und Bodenoberflächen, die Ausstattungselemente sowie die Fassade und Fenster durch eine Restauratorin untersucht. Die Befunde, im Besonderen der Farbfassungen in den Eingangshallen, Gemeinschaftsräumen und Buden offenbarten eine ungeahnte Farbigkeit der Wand- und Deckenoberflächen. Die Edel-Kratzputze der Fassaden wurden zusätzlich labortechnisch analysiert, sodass die Putze in Farbigkeit, Ausfallkörnung und Effektzuschlägen nachgestellt werden konnten.

Aufgrund der einfachen Bausubstanz der Nachkriegszeit, mit 24 cm starkem Außenmauerwerk unter Verwendung von Hohlblocksteinen aus Ziegel-Splitt-Beton (Kriegsschutt-Recycling) und Sichtbeton-Attiken, wurde die Umsetzung einer Fassadendämmung schon frühzeitig mit der Denkmalpflege thematisiert. Da die Fenster aufgrund der umfassenden Schädigung und nur noch rudimentären Erhaltung – die Innenflügel der ehemaligen Verbundfenster fehlten durchgängig – nicht erhalten werden konnten und die Kratzputzflächen teilweise bis auf den Grundputz abgewittert waren, wurde einem Wärmedämm-Verbundsystem mit max. 4 – 6 cm Dämmstoffstärke und dickschichtigem, durchgefärbtem, mineralischem Edel-Kratzputz zugestimmt. Maßgabe war hierbei, dass mit der erneuerten Fassade die bauzeitliche Proportion, Plastizität und Feingliedrigkeit wiedergewonnen werden konnte.

Der verwitterte Fassadenputz wurde komplett entfernt und der Untergrund durch das Aufbringen eines Ausgleichsputzes für das Anbringen des Wärmedämm-Verbundsystems vorbereitet. Aufgrund der denkmalpflegerischen Forderung nach einer geringen Dämmstoffstärke wurden Phenolharz Dämmplatten mit sehr geringer Wärmeleitfähigkeit (0,022 W/(m·K)), B1 Qualität (schwer entflammbar) und hoher Langlebigkeit gewählt, die als System mit Armierungsputz und mineralischem Kratzputz verarbeitet werden können. Die Edelkratzputze wurden entsprechend Farbbefunden und Laboranalysen nachgestellt und durch Fachfirmen verarbeitet. Die kontrastierenden und teils intensiv farbigen Kratzputzfassaden, in Weiß, Schwarz, Grün und Violett, mit unterschiedlichen Effektkornzuschlägen, weißer und grauer Quarzkies, gebrochener Kalkstein und Glimmer, bieten je nach Tageszeit und Lichteinfall ein sich änderndes, lebendiges Fassadenbild. Zur Gewährleistung eines optimalen Raumklimas in den Studentenbuden kam eine dezentrale Belüftung mit Wärmerückgewinnung zum Einsatz. Die Lüfter konnten denkmalverträglich in ein Regalfeld des Bestandsregals hinter dem Fensterpaneel untergebracht werden. Das Regalfeld wurde durch eine Blende geschlossen und in den Regalseiten Lüftungsschlitze angeordnet. Durch die hinterlüftete Eternitverkleidung des Paneelfeldes in der Fassade wird die Zu- und Abluft geführt, sodass in der Fassade keine zusätzlichen Elemente sichtbar werden.

Die Sichtbetonattiken wurden mit Kerndämmung und entsprechender Bewehrung vor die Bestands­attiken betoniert und vervollständigen die authentische Materialität. Durch die Verwendung der hochwertigen Dämmstoffe wurde für die Kratzputzfassaden ein U-Wert von 0,33 W/(m²·K) und für die Sichtbetonattiken von 0,60 W/(m²·K) erreicht. Als Ersatz für die filigranen bauzeitlichen Stahl-Verbundfenster kamen Profile der Serie OS2 von Fa. Secco Sistemi zum Einsatz, die in ihrer Schlankheit und Profilierung sowie durch eine Sonder-Glashalteleiste die Wiedergewinnung des bauzeitlichen Erscheinungsbildes in der Außen- und Innenansicht ermöglichten. Die zweifarbige Pulverbeschichtung – innen weiß und außen schwarz – bringt auch die befundete bauzeitliche Farbgebung zurück. Trotz der schlanken Profile konnte durch Einsatz einer dünnen Dreischeiben-Isolierverglasung (Ug 0,7 – 1,1 W/(m²·K)) ein ­Uw von 1,3 bis 1,6 W/(m²·K) erreicht werden.

Der Dachaufbau wurde komplett erneuert und mit einem Standardaufbau für Bitumendächer versehen: Bitumen Dampfsperrbahn, 12 cm PIR-Hartschaum (g 0,024) mit Aluminiumverbund­folie, Polymerbitumen-Schweißbahnen als Abdichtung und Deckbahn mit Schiefersplitt, entsprechend bauzeitlicher Ausführung. So wurde bei den Dächern ein U-Wert von 0,19 W/(m²·K) erreicht. Die Attikaverblechungen wurden mit der bauzeitlichen Profilierung hergestellt und vervollständigen das Fassadenbild durch den ursprünglichen schmalen Abschluss. Die baulichen Maßnahmen zur energetischen Sanierung der Gebäudehülle erreichten trotz der hohen Ansprüche an Materialität und die Erhaltung des bauzeitlichen Erscheinungsbildes, durch die Wahl der Dämmung und Qualität der Fensterkonstruktionen die Anforderungen zur Förderung im Rahmen des KfW Effizienzhaus Denkmal Programms.

Die mögliche Reduktion des Endenergiebedarfs nach Sanierung wurde mit bis zu 60 % berechnet. Ungeachtet der Einsparpotenziale sorgen die Sanierungsmaßnahmen für eine wesentliche Steigerung des Nutzerkomforts, höhere Behaglichkeit bei gesundem Raumklima, ein attraktives, gestaltetes Umfeld, eine nachhaltige und denkmalgerechte Aufwertung und damit verbundene langfristige Sicherung der Vermietbarkeit und somit auch den Erhalt des Gebäudeensembles.

Sicherlich, der Aufwand ist größer und planungsintensiver als es Abriss und Neubau oft wären. Öffnet man jedoch eine ehrliche Rechnung, die auch die Lebenszykluskosten sowie die Umweltfolgekosten einpreist, fällt die Kosten-Nutzungsrechnung schon im Denkmal weit günstiger aus, als mancher glaubt. Überträgt man diese Arbeitsweise auf den nicht geschützten Bestand, bei dem Planer:innen naturgemäß weit größere Freiheiten in der Planung und Implementierung neuer Techniken besitzen, muss man den Spieß eher umdrehen und einen Nachweis fordern, warum Abriss und Neubau die angeblich günstigere Variante sind.


Autoren: Winfried Brenne, Franz Jaschke,
Fabian Brenne
www.brenne-architekten.de
Foto: Jan Ahrenberg

Autoren: Winfried Brenne, Franz Jaschke,
Fabian Brenne
www.brenne-architekten.de
Foto: Jan Ahrenberg

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