Tiffany Shop, Stuttgart
Wie eigentlich nehmen Kundinnen und Kunden eine
Marke wahr? Jenseits von Anzeigen und Werbespots sind die Fassaden der zugehörigen Shops der erste Kontakt, den sie mit dem jeweiligen Unternehmen haben. Das niederländische Architekturbüro MVRDV hat sich deshalb intensiv mit der Markengeschichte des Juwelierhändlers Tiffanys auseinandergesetzt als es dazu eingeladen wurde, den Auftritt der Stuttgarter Filliale neu zu gestalten.
Stuttgarter Schönheit: Die Neugestaltung der Fassade spielt mit den Erkennungsmerkmalen der Dynastie – diamantenförmige Kacheln changieren wie Favril-Glas in Tiffany-Blau
Foto: Tiffany & MVRDV, Tiffany Stuttgart, Gionata Xerra Studio
Beim Klang des Firmennamens blitzt Glamour auf – Audrey Hepburn und Truman Capote kommen einem in den Sinn, luxuriöse Diademe und Colliers, die vibrierende Dekadenz des coolen 1960er-Jahre-New-York. Doch die Geschichte des Unternehmens reicht noch wesentlich weiter zurück, als das kollektive Gedächtnis uns weis machen will. Bereits 1837 eröffnete Charles Lewis Tiffany seine erste Filiale in Manhattan. Er begründete eine innovationsfreudige Juwelierdynastie, führte selbst das härtere und leicht rötliche Sterlingsilber in den USA ein, sein Sohn erfand das irisierende Favrile-Glas, das man von den Art-déco-Tiffany-Lampen her kennt.
Durch Verdichtung und Auflockerung des Kachel-
musters lässt die 3D-Fassade auch Ein- und Durchblicke in den Verkaufsraum zu
Foto: Tiffany & MVRDV, Tiffany Stuttgart, Gionata Xerra Studio
„Als Tiffany uns Ende 2020 zum Redesign ausgewählter Filialen rund um den Erdball eingeladen hat, hat uns vor allem der Markenmythos dieses Unternehmens fasziniert“, erinnert sich Aser Giménez Ortega, Leiter der Sparte Innenarchitektur von MVRDV in Rotterdam. „Es war uns schnell klar, dass wir nicht einfach nur ein Konzept entwickeln wollten, nach dessen Muster sämtliche ausgewählte Filialen umgemodelt werden. Wir wollten an jedem Standort etwas Einzigartiges schaffen, dass die schillernde Geschichte des Unternehmens widerspiegelt und spezifisch für den Ort ist.“
Ästhetik ist alles andere als nur Fassade
Den Auftakt machten 2023 die Filialen im Changi Airport in Singapur, deren Fassade ein 3D-Muster aus recyceltem
Meeresplastik erhielt sowie die Filiale im chinesischen Shanghai, deren Fassade mit knapp 7 000 funkelnden Glasdiamanten überzogen werde – jeder davon rund 1,5 kg schwer, „da sie Teil eines sehr angesagten Shoppingcenters ist, wollten wir hier etwas sehr instagrammable schaffen, dass die jungen Leute anzieht und zum Glamour-Image des Unternehmens beiträgt“, sagt Ortega. Dieses sei zwar legendär, aber, bevor der Luxuskonzern LVMH die Marke 2021 übernommen habe, ein wenig angestaubt gewesen. „Deshalb wollten wir über die Standorte verteilt eine Geschichte erzählen, die unterschiedliche Aspekte des Mythos in Szene setzt. Den Glamour in Shanghai, das Bewusstsein für die Umwelt in Cancn und Singapur, die Präzision und Innovationskraft in Stuttgart.“
Unikate: Acht verschiedene Kacheltypen passen sich den Rahmenprofilen, Türen und Übergängen an
Foto: Tiffany & MVRDV, Tiffany Stuttgart, Gionata Xerra Studio
In und um die Baden-Württembergische Landeshautstadt residieren Mercedes, Porsche, Bosch, Siemens und zahlreiche international tätige Mittelständler. Ingenieurskunst und Innovation gehören zum stolzen Selbstverständnis der Region. „Wir dachten uns deshalb, dass sich dieses Selbstverständnis der Region auch in unserer Fassade widerfinden sollte: Wir entwickelten einen Farbverlauf auf Grundlage des Tiffany-Blaus und wollten eine technische Lösung, die überrascht und begeistert“, sagt Aser Giménez Ortega. Wie der Schliff von Diamanten einzigartig und hochpräzise sei, so sollten auch die Fassadenelemente jedes für sich individuell gestaltet und doch mit höchster handwerklicher Kunst gefertigt sein. „Der Clou sollte jedoch die scheinbar schwebende Montage sein, die Passanten verzaubert und die Frage aufwirft, wie das eigentlich gemacht wurde.“ Gleichzeitig mussten MVRDV bei der Entwicklung der Fassade auf den hohen Sicherheitsstandards eines Juweliergeschäfts Rücksicht nehmen. Und wollten auch die Nachhaltigkeit der Konstruktion im Blick behalten.
Auf der Innenseite der Fassade wiederholt sich das Diamantenmuster
und trägt zur Plastizität des Gesamteindrucks bei
Foto: Tiffany & MVRDV, Tiffany Stuttgart, Gionata Xerra Studio
Löcher im Sicherheitsglas?
Ausgangspunkt für die Überlegung war deshalb, dass MVRDV die bestehenden Aluminiumriegel und Sicherheitsscheiben in ihr Design einbeziehen wollten. So konnten sie unnötige Bauabfälle vermeiden, mussten sich aber etwas Neues überlegen, um die knapp 3 000 Keramik-Diamanten an der Fassade zu befestigen. „Die Aufgabe klingt einfacher, als sie tatsächlich ist“, erklärt Ortega. „Denn man kann nicht einfach 2 829 Löcher in eine 165 m² große Sicherheitsglasfläche bohren, um die inneren und äußeren Fliesen miteinander zu verschrauben und so einen schwebenden Eindruck zu erzielen – ohne deren Integrität nachhaltig zu gefährden.“ Eine Klebelösung war daher unumgänglich. „Das wäre eigentlich nicht unsere erste Wahl gewesen, da wir viel Wert auf die Rückbaubarkeit und Recyclingfähigkeit unserer Projekte legen. Aber wir haben schließlich ein besonderes Silikon gefunden, dass die bautechnisch geforderte Stabilität geboten hat und gleichzeitig mit einer Klinge wieder abgeschabt werden kann, wenn das Ende des Lebenszyklus erreicht ist.“
Individualisten: MVRVD hat bereits zuvor weitere Shops für Tiffanys gestaltet und sich dabei immer auf regionale Besonderheiten bezogen – wie bei diesem Shop im mexikanischen Badeort Cancún, für dessen Korallenfassade Elemente aus recyceltem Meeresplastik zum Einsatz kamen
Foto: MVRDV Tiffany Facade Cancún, Tiffany and Co
Feines Porzellan, robustes Porzellan
Für die technische Umsetzung der Porzellanfliesen holten sich MVRDV mit Koninklijke Tichelaar aus dem niederländischen Makkum eine der ältesten noch aktiven Fliesenmanufakturen an Bord, die jede Fliese einzeln von Hand im Schlickergussverfahren herstellte. „Als Reminiszenz an das Favril-Glas von Luis Comfort Tiffany wollten wir dabei einen changierenden Effekt erzielen, der in einem organischen Verlauf von Tiffany-Blau zu einem weißen Hellblau übergeht.“ Im Ergebnis entwickelte MVRDV 9 unterschiedliche Abstufungen sowie 5 verschiedene, plastische Fliesenformen, die je nach Positionierung an der Fassade unterschiedliche Funktionen erfüllen mussten. „Die Erdbodennahen erhielten zum Beispiel eine Flache Seite, damit sie nicht aufsetzen, andere erhielten Aussparungen, damit sie das Profil der vorhandenen Fensterrahmen aufnehmen und verdecken können.“
Der Haken mit dem Haken
Wie genau der Mechanismus funktioniert, mit dem die Fliesen schließlich an die Fassade gebracht wurden, darüber bittet sich Tiffany Stillschweigen aus – aus Sicherheitsgründen. Jedoch so viel sei verraten: Es geht um einen Klick-Mechanismus und eine reversible Arretierung. Das sei MVRDV und dem Juwelier gleichermaßen wichtig gewesen, um bei eventuellen Schäden einzelne Elemente einfach, günstig und ressourcenschonend austauschen zu können. „Bei diesem Schritt war die handwerkliche Expertise natürlich extrem wichtig“, sagt Ortega. „Aber zum Glück arbeitet Tiffanys weltweit mit handverlesenen Betrieben zusammen, die unsere und deren Lust an Innovation und Handwerkskunst teilen.“
Einen Haken mit dem Haken gab es allerdings doch: Das Bekleben einer Fassadenverglasung mit Halterungen für Keramikfliesen ist in Deutschland nicht geregelt – auf eine allgemeine Bauart oder die anerkannten Regeln der Technik konnten sich die Bauausführenden also nicht verlassen. Weshalb sie zunächst eine Zulassung im Einzelfall beantragen mussten. Die Berechnung der Statik gab der beauftragte italienische Metallbauer Mestieri deshalb an das Mainzer Ingenieurbüro Verrotec weiter – das sollte den Nachweis erbringen, dass die rund 5 cm straken Sicherheitsgläser unter der Last der je 1,7 kg schweren Keramikelemente nicht kollabieren würden. Bei 70 bis zu knapp 260 Elementen je Scheibe kamen dabei maximal 440 kg zusätzliche Last zusammen. Das ist selbst für hartes Panzerglas eine relevante Größe. Der gewählte, teilvorgespannte Glasaufbau erwies sich jedoch in den Berechnungen des Büros als robust genug, um diese Aufgabe zu stemmen. Dabei prüfte Verrotec zunächst die Spannung und Verformung des Aufbaus bei Eigen-, Wind-, und thermischen Lasten und prüfte erst im Anschluss, ob die Keramikelemente Einfluss auf die Festig- und Steifigkeit der Konstruktion haben würden. Erst als sie dies verneinen konnten, führte der Metallbauer den Nachweis, dass die benötigte Klebefuge mit einem Zwei-Komponenten-Silikonkleber nach den geltenden technischen Baubestimmung realisierbar ist. Dieser Nachweis diente schließlich als Grundlage für einen Antrag auf Zulassung im Einzelfall.
Das Schöne an dem Projekt sei, dass es den Kern der Marke über die Fassade in den öffentlichen Raum überträgt, und sich gleichzeitig geradezu zurückhaltend und rücksichtsvoll an den Bestand fügt, ohne ihn zu beschädigen oder in seiner Struktur zu verändern. Damit bringe MVRDV die Marke in das 21. Jahrhundert. „Unser Ziel war es, den Zauber von Tiffany einzufangen und ihm einen räumlichen Ausdruck zu verleihen. Die Werte, aber auch die Faszination des Unternehmens spiegeln sich an der Fassade“, sagt Aser Giménez Ortega. „Durch deren Transparenz schaffen wir zudem Einblicke in einen Sehnsuchtsraum, der nicht nur Schmuck anbietet, sondern der für Lebensträume wie Hochzeiten und andere festliche Anlässe steht. Es hat wirklich Spaß gemacht, Teil dieser Reise zu sein.“ Und die sei noch nicht vorbei. Im kommenden Jahr steht ein weiteres Projekt mit Tiffany an, mehr dürfe er allerdings nicht verraten. Kleine Geheimnisse gehören eben auch zum Firmen-image. So wie Einschlüsse im Edelstein, die ihm Charakter verleihen. ⇥Jan Ahrenberg/DBZ
Dorotheenquartier Stuttgart handelt es sich um eine Ingenieursaufgabe im Detail: Hier wurden auf die klassische Glasfassade kleinteilige Keramikdiamanten strukturell aufgeklebt. Aus planerischem und baurechtlichem Kontext eine interessante Planungsaufgabe.«
Baudaten:
Objekt: Tiffany & Co. Filiale Stuttgart
Standort: Stuttgart
Typologie: Ladenfassade
Eigentümer: Tiffany & Co.
Nutzer: Tiffany & Co.
Architektur: MVRDV, www.mvrdv.com
Projektteam: Jacob van Rijs, Fokke Moerel, Aser Gimenez Ortega, Elien Deceuninck, Monica Di Salvo, Simone Costa, Natalia Lipczuk, Basak Gunalp, Tatiana Gurduza
Generalunternehmer: SOMEC Mestieri Group,
www.mestierigruppo.com
Fassadenfläche: 165 m²
Bauzeit: Juli bis November 2024
Fachplanung:
Keramik: Koninklijke Tichelaar Makkum, www.tichelaar.nl
Statik: Verrotec GmbH, www.verrotec.de
Beleuchtung: METIS Lighting, www.metislighting.it