DBZ-Heftpartner Atelier Kaiser Shen, Stuttgart

Potenziale im kreislaufgerechten Holzbau

Der Baustoff Holz ist im Trend. Angesichts eines wachsenden Umweltbewusstseins in großen Teilen der Gesellschaft überrascht diese Entwicklung kaum. Holz überzeugt neben seiner sinnlichen Qualität vor allem durch zwei unschlagbare Vorteile: Es ist ein nachwachsender Rohstoff und bindet dabei CO₂ aus der Atmosphäre. Doch reicht es aus, einfach das „richtige“ Material zu wählen, um die Bauwende herbeizuführen? Gehört man automatisch zu den „Guten“, wenn man statt mit Stahlbeton mit Holz baut? Oder ist es nicht allzu bequem, lediglich das Baumaterial auszutauschen und dabei die lineare Bauwirtschaft unkritisch fortzuschreiben?

Die Muster der linearen Bauwirtschaft wiederholen sich: Ausgedienter Bestand wird durch einen Neubau ersetzt, der wiederum nach Ablauf seiner Nutzungsdauer rückgebaut wird. Die meisten Baustoffe landen in diesem linearen Prozess auf der Deponie und das verbaute Holz wird häufig „thermisch verwertet“. Das darin über Jahrzehnte gespeicherte CO₂ entweicht dabei schlagartig in die Atmosphäre – einer der beschriebenen Vorteile von Holz ist somit dahin.

Dass sich der Holzbau besonders gut für kreislaufgerechte Prozesse eignet, versuchen wir im Atelier Kaiser Shen und am Lehrstuhl „Kreislaufgerechter Holzbau“ des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT) nachzuweisen. Uns interessiert der gesamte Lebenszyklus eines Bauwerks. Wir fragen uns: Befindet sich ein Gebäude jemals in einem endgültigen Zustand – oder befinden wir uns nicht vielmehr stets bloß in einer Momentaufnahme der Geschichte? Nach diesem Verständnis überlagern sich in der Architektur immer verschiedene Zeit- und Bedeutungsebenen.

Unsere erste Frage lautet daher stets: Lässt sich der Bestand erhalten? Bieten die räumliche Struktur und das Tragwerk ein Potenzial des Auf- und Weiterbauens? Ästhetische Präferenzen sind dabei zunächst zweitrangig. In mehreren Projekten konnten wir nachweisen, dass sich besonders Holz für ein pragmatisches und damit wirtschaftliches Weiterbauen eignet. Dabei begeben wir uns bewusst auf einen Prozess mit offenem Ausgang und lassen uns vom Prinzip des „Kintsugi“ leiten. In dieser fernöstlichen Technik erfahren zerbrochene Porzellanschüsseln durch die Reparatur eine unverwechselbare Ästhetik. Bauen im Bestand bereitet so Freude und bringt überraschende Ergebnisse hervor.

Auch im Neubau sollten zukünftige Zeitschichten mitgedacht werden. Tragwerk, Fassade, Gebäudetechnik und Innenausbau haben unterschiedliche Lebensdauern. Deshalb fügen wir in unseren Projekten die einzelnen Schichten so, dass sie repariert und ausgetauscht werden können. Das Holztragwerk ist robust und durch einen anständigen konstruktiven Holzschutz oft über Jahrhunderte standhaft. Ob als Skelettbau oder mit tragenden Wandscheiben: Die Struktur sollte möglichst viele Nutzungsszenarien ermöglichen. Die Fassade hingegen ist der Witterung ausgesetzt, altert in Würde und wird ebenso wie Technik und Innenausbau eines Tages ersetzt werden müssen.

Beim kreislaufgerechten Bauen mit Holz ist es entscheidend, diese Lebenszyklen mitzudenken. Durch reversible Fügungen wird das Haus so zum Materiallager. Wir träumen von einer Zukunft, in der rückgebaute Bauteile in einer Kaskadennutzung in die Kreislaufwirtschaft zurückfließen – eine Zukunft, in der das (Teil-)Rückbauen von Gebäuden aufgrund der darin enthaltenen Ressourcen Geld einbringt und nicht Geld kostet. Im Forschungsprojekt „Domino Zirkular“ untersuchen wir Fügungspunkte zwischen altem und neuem Holz – und sind auf der Suche einer daraus entstehenden neuen Ästhetik.

Das Potenzial des modernen Holzbaus ist enorm. Dennoch sollte Holz nicht lediglich andere Baumaterialien substituieren und damit in der linearen Bauwirtschaft verhaftet bleiben. Die eigentliche Chance liegt im Schließen von Kreisläufen. So wird die Stadt zum Materiallager und zum dauerhaften CO₂-Speicher.

Es ist ein wunderbarer Moment, am derzeitigen Architekturdiskurs teilnehmen zu dürfen. Wir befinden uns mitten in der Bauwende – und freuen uns darauf, gemeinsam im Team das darin liegende gestalterische Potenzial zu erkunden.

Hören Sie dazu auch unseren Podcast mit T.T. Prof. Florian Kaiser
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