Gestalten mit dem, was ist
Es ist nur überschlägig gerechnet, doch das Ergebnis ist anschaulich: Würde man alle Dinge, die der Mensch produziert hat – ohne Abfälle – in einen Würfel packen und dicht pressen, hätte der eine Kantenlänge von gut 3 000 km. Ein solcher Würfel wäre so gerade noch trocken auf dem europäischen Kontinent abzustellen. 10 000 Dinge besitze jeder Mensch, wurde uns schon glaubhaft vorgerechnet. Wenn man sich vor Augen hält, dass viele so gut wie gar nichts besitzen, wächst diese Zahl bezogen auf die Dingebesitzenden um ein vielfaches Weiteres.
Grund genug, einmal zu schauen, wie sich unser Dingekult auf unser Leben auswirkt, wie die Produktion der Dinge Ökosysteme verändert, soziale Gefüge definiert, wie Kulturgeschichte von Dingen geformt und zukünftiges Miteinander mit unseren Dingen möglich/unmöglich ist.
Das Designmuseum Disseny HUB in Barcelona, selbst Besitzer verlässlich inventarisierter, schier unzähliger Artefakte, ist dieser Frage des Wirkmechanismus mit seiner (Dauer-)Ausstellung „Matter Matters“ einmal gründlich auf den Grund gegangen. Die auf der Ausstellung aufbauende und zur Lektüre empfohlene Publikation, die kein Katalog, eher Kommentar und Vertiefung zugleich ist, nähert sich der Materialfrage/Dingefrage über acht Kapitel, die jeweils verschiedene Materialienperspektiven bieten: Es gibt u. a. den Blick auf die Petrochemie, die Pflanzen- und die Tierwelt, auf das Mikrobiologische, die Mineralien, auf das Digitale und/oder Immaterielle. Jedes Kapitel reflektiert sein Thema dabei mittels einzelner, in ihrer Qualität/Dichte/Novität sehr unterschiedlicher Essays über die aktuellen ökologischen und sozialen Krisen. Neben den Texten läuft – scheinbar unverbunden – eine Dingepräsentation mittels Abbildungen unterschiedlichster Artefakte, die jeweils kurz erläutert werden. Wir sehen kunstvoll handwerklich hergestellte Gegenstände aus einer scheinbar noch heilen (materialnaiven?) Vergangenheit und Design-/Kunstarbeiten aus einer (materialkritischen) gebrochenen Gegenwart.
In der Gesamtschau liegt uns ein Mikroausschnitt aus unserer Produktewelt vor, der ahnen lässt, wie schwer es werden wird, wenn wir, ohne einschneidenen Verzicht, ohne die Absicht, in Zukunft beispielsweise Dinge zu teilen (Dinge-Almende) eine Weltgesellschaft zu werden, die im Jahr 2050 CO₂-neutral sein möchte … und auch sein muss. Dass wir mit diesem Buch ein weiteres Ding (zuviel?) in der Welt haben – weitere Dinge, denn Einzelobjekte machen hier keinen Sinn –, sollte zu denken geben. Die hervorragende Gestaltung allerdings und das Ding an sich (Dingewelt) lassen nur äußerst schmale und ziemlich wackelige Wege an dieser Publikation vorbei; doch wir Buchbesitzerinnen können lesen, rezipieren und weitergeben. Be. K.
Matter Matters. Designing with the World. Hrsg. v. Olga Subirós. Ajuntament de Barcelona mit Actar Publishers, Barcelona/New York 2025, 396 S., mehr als 500 Farbabb.
40 €, ISBN 978-1-63840-175-9
