Fliesenmosaik Nr. 1 gerettet: Eine Arbeit von Josep Renau in Halle/Saale

Halle an der Saale ist eine alte, geschichtsträchtige Stadt, große Namen sind mit ihr verbunden. Im Krieg 1939-45 kaum zerstört, fiel die histori­sche Bausubstanz in den Folgejahrzehnten einem blinden Modernisierungsdrang zum Opfer, der auch einen gesellschaftlichen Aufbruch markieren sollte. Beispielsweise durch die zunehmende Ansiedlung von Gewerbe und Industrie und der massenhaften Ansiedlung in neuen Wohnvorstädten, u. a. die „Chemiearbeiterstadt Halle-West“, die für rund 70 000 Menschen geplant worden ist.

Hier, gleichsam am Nerv städtebaulichen Sendungsbewusstseins der DDR-Ideologen, findet sich bis heute Kunst auf den Fassaden der Plattenbauten. Einiges wurde bereits abgerissen, manches verkrümelt sich im wahrsten Sinne des Wortes, anderes ist noch gar nicht entdeckt. Wofür nun Letzteres nicht gilt, sind die teils monumentalen Wandbilder von Josep Renau. Die wichtigen Werke baubezogener Kunst in der DDR sind heute nur noch in der Chemiearbeiterstadt (heute Halle-Neustadt) und in Erfurt erhalten. Tatsächlich gab es für Halle-Neustadt für jeden Wohnkomplex eine ideologisch orientierte Markierung, die über die Fassadenkunst transportiert werden sollte. 1968 beauftragte der Beirat für bildende Kunst und Baukunst hierfür Josep Renau, dessen zwei Treppenhausbilder für ein elfgeschossiges Lehrlingswohnheim die erste Großflächenarbeit und Außenbildgestaltung war. Die zwischen 1968 und 1974 entstandenen Arbeiten, je 7 x 35 m groß, tragen die Titel „Die vom Menschen beherrschten Kräfte von Natur und Technik“ und „Einheit der Arbeiterklasse und Gründung der DDR“. Renaus Arbeit „Marsch der Jugend in die Zukunft“ für die gegenüberliegende Mensa ist mit deren Abriss 1998 leider verloren gegangen.

Beide Fliesenmosaiken auf den Treppenhäusern waren stark geschädigt: Im Fliesenbild des Mosaiks und dessen Untergrund (Betonplatte und Mörtelbett) zeigten sich u. a. Haftungsverluste, partielle Hohl- und Fehlstellen sowie Brüche, Risse und Abplatzungen. Im oberen Teil der Fassade waren viele Fliesen total zerstört. Hier setzte das gemeinsame Projekt der Stadt und der Wüstenrot Stiftung an, in dem zunächst das rechte Mosaik bis Dezember 2022 aufwändig restauriert und am 25. April 2023 übergeben wurde.

Nach Probearbeiten im unteren Mosaikbereich  und der Begutachtung des Werks bis zur hundersten der insgesamt 232 Fliesenreihen und der Durchnummerierung aller 10 904 Fliesen wurden im Mai 2022 die Restaurierungsmaßnahmen am gesamten Mosaik gestartet. Das umfasste u. a. die Beseitigung partieller Hohllagen durch minimalinvasive Klebereinspritzungen. Wo dies nicht möglich war, wurden lose Fliesen abgenommen, Mörtelreste entfernt und die darunterliegenden Bereiche bis zur Betonfläche gereinigt. Im Anschluss wurden die entfernten Fliesen sicher verpackt, zur weiteren Bearbeitung in die Restaurierungswerkstätten gebracht und später an gleicher Stelle wieder neu verlegt. Die Oberflächen aller Fliesen wurden gründlich gereinigt, gebrochene Fliesen und abgeplatzte oder angegriffene Oberflächen wurden geklebt, gefestigt und retuschiert. Verlorene Fliesen wurden mithilfe der überlieferten Glasurrezepturen durch originalgetreu rekonstruierte Elemente ergänzt.

Nun glänzt der Bestand – jedenfalls auf seiner rechten Seite – wie vor Jahrzehnten, 600 000 € hat die Restauration gekostet, 80 000 € weniger, als ursprünglich veranschlagt. Dass Halle-Neustadt damit wieder ein Stück Geschichte hat retten können, hilft aber auch dem Bauwerk, das nach solcherart Behandlung fast schon denkmalstatuswürdig ist! So geht es eben auch. Be. K.

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