„Zusammenspiel von platzsparender Konstruktion und Anbausystem“

Gundula Schieber
zum Thema „Leichte Ingenieurkonstruktionen“

Louis Sullivans Aussage „form follows function“ verjährt nie. Wie zeitgemäß dieses Zitat wirklich sein kann, zeigt sich in der Diplom­arbeit von Gundula Schieber, die in ihrem Projekt „Highrice“ einen architektonischen Ansatz entwickelte, um die Ernährung der Weltbevölkerung sicherzustellen. Das Gebäude ist dabei reine funktionale Konstruktion und ermöglicht – durch seine platzsparende elementierte Bauweise – in der Großstadt, direkt beim Konsumenten, Reis anzubauen.

 

Sie haben eine vertikale Farm zur Lösung des Welternährungsproblems entworfen. Welche Analyse lag dem Entwurf zugrunde?

Ausgangspunkt meiner Arbeit war die kritische Betrachtung der aktuellen Agrarproduktion im Hinblick auf die Entwicklung der Ressourcen und der Bevölkerung. In Anbetracht der stetig wachsenden Bevölkerung und dem veränderten Nahrungsmittelkonsum wird die Nachfrage nach Nahrungsmitteln in den nächsten Jahren deutlich ansteigen. Bei gleichbleibender Bewirtschaftung rechnen Fachleute im Jahre 2050 erstmals mit einer Agrarflächenknappheit. Während Länder wie Deutschland einen hohen Anteil an fruchtbaren Flächen und konstante Bevölkerungszahlen haben, ist der Flächenmangel durch die ungleiche Verteilung der Weltbevölkerung und Ressourcen in Ländern wie China bereits heute spürbar. Durch vertikale Farmen könnten in Städten wie Shenzhen Nahrungsmittel ressourcenschonend direkt beim Konsumenten in den Metropolen produziert und so weite umweltschädliche Transportwege vermieden werden.

 

Wie haben Sie Ihre Erkenntnisse architektonisch umgesetzt?

Ziel der architektonischen Umsetzung der Arbeit war es, einen ersten Prototyp für die chinesische Stadt Shenzhen zu entwickeln, der den umweltschädlichen Reisanbau optimiert und gleichzeitig mit der Architektur Identität für das neue künstliche Produkt aufbaut.

Neben dem Anspruch einen funktionalen Ablauf bei mi­nimiertem Verbrauch an Fläche, Wasser und Energie zu generieren, welche die Hauptprobleme beim traditionellen Reisanbau darstellen, sollte die Architektur Besuchern die Möglichkeit bieten, diese neue Anbauform mitzuerleben und Vertrauen zum Produkt aufzubauen. Durch die Wahl des automatisierten, vertikalen Anbaus wandert die Reispflanze während ihrer 120 Tage Wachstum einmal durch das gesamte Gebäude und erhält damit in jeder Wachstumsphase die bestmöglichen Bedingungen. Das entwickelte Schienensystem geht durch die ansteigenden Geschosshöhen auf die je­weilige Pflanzenhöhe ein und ermöglicht die optimale Ausnutzung der Grundfläche und des Bauvolumens. Durch die Nutzung der Abfallprodukte zur Energiegewinnung und die Weiterverarbeitung mit anschließendem Verkauf direkt im Gebäude wird ein geschlossener Kreislauf erzeugt.

 

Wie sieht die Konstruktion aus?

Das Gebäude gliedert sich in ein aufgelöstes elementiertes Stahltragwerk, welches sich zwischen vier aussteifenden Stahlbetonkernen aufspannt. Zwischen der Tragstruktur wandern die beweglichen Pflan­zenmodule aus Aluminiumprofilen entlang der Führungsschienen durch das gesamte Gebäude. Die Wurzeln hängen dabei in der Luft und werden über ein Aeroponicsprühsystem 24 h mit einem Nährstoffmix besprüht. Über Auffangbecken wird das kondensierte Wasser wieder in den Kreislauf zurückgeführt. Neben dem Auffangbecken versorgt in jeder Ebene eine energiesparende LED-Lichtdecke die Pflanzen mit dem passenden Licht. Durch das Zusammenspiel von platzsparender Konstruktion und Anbausystem entsteht ein ökonomisches Gebäude, das sich bewusst als technisches Bauwerk präsentiert und die Konstruktion und Technik den Besuchern offen zeigt.

 

Inwiefern lässt sich Ihr Entwurf auf andere Standorte adaptieren und welche Vorteile ergeben sich aus der vertikalen Anbauweise?

Aufgrund der platzsparenden Anbaustruktur mit Kunstlicht benötigt das Gebäude keine definierte Himmelsausrichtung. Während sich dieser Baukörper an eine Restfläche in der ­chinesischen Stadt anpasst, wäre „Highrice” dank des geschlossenen Anbaus auch in extremen Klimazonen in unterschiedlichen Dimensionen denkbar. Neben der effizienten Ressourcennutzung könnten Nahrungsmittel in unseren Metropolen an 365 Tagen im Jahr geschützt vor Umwelteinflüssen ohne den Einsatz von Schäd­lingsbe­kämpfungsmitteln mit hoher Qualität produziert werden. In meinen Augen wird der vertikale Anbau nie unsere konventionelle Landwirtschaft ersetzten, er könnte jedoch durch die Produktion direkt beim Konsumenten an Problemstandorten eine sinnvolle Ergänzung darstellen.


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