Rechtsprechung

Zu klein dimensioniertes Rückkühlsystem stellt mangelhafte Leistung des Fachplaners dar!

(OLG Frankfurt, Urteil vom 05.06.2020 - 29 U 67/19; BGH Nichtzulassungsbeschwerde mit Beschluss vom 24.02.2021 zurückgewiesen - VII ZR 100/20)

Bisher galt, dass der mit der Planung beauftragte Architekt oder Ingenieur keinen verschuldensunabhängigen Vorschuss nach § 637 Abs. 3 BGB schulde. Zwar hatte der Bundesgerichtshof (BGH) 2018 klargestellt, dass der Besteller vom Planer vor der Beseitigung der Mängel eine Befreiung von den Verbindlichkeiten verlangen kann, allerdings wurde dies dogmatisch auf einen Schadensersatzanspruch aus Vorfinanzierung gestützt. Ein verschuldensunabhängiger Anspruch des Bestellers gegenüber dem Planer auf Vorschuss blieb diesem bisher verwehrt.
In der vorliegenden Entscheidung hat das Oberlandesgericht Frankfurt mit Billigung durch den BGH die Ansprüche eines Bestellers nun auf § 637 Abs. 3 BGB gestützt:

Der Besteller war Eigentümer mehrerer untereinander verbundener Bürogebäude. Er ließ diverse Neu- und Umbaumaßnahmen planen und durchführen. Teil davon war die Errichtung von zwei viergeschossigen Büropavillons. Die Klimatisierung dieser beiden Neubauten sollte über das vorhandene Gesamtkühlsystem der Bestandsgebäude erfolgen. Die bestehenden Kältemaschinen des Gesamtkühlsystems waren leistungsmäßig so dimensioniert, dass sie die Kühlung von weiteren Gebäuden übernehmen konnten. Allerdings war es dafür erforderlich, die gesamte Anlage an die veränderten Gegebenheiten anzupassen. Die bei Betrieb der Kältemaschinen abgegebene Arbeitswärme wurde vor den baulichen Maßnahmen über einen Kühlturm abgeführt. Dieser sollte jedoch zurückgebaut werden, so dass planerisch für die Abführung der Abwärme Vorsorge zu treffen war. Der Besteller beauftragte einen Ingenieur als Fachplaner mit der Planung der Gesamtmaßnahmen unter Einschluss eines Rückkühlsystems. Der Fachplaner empfahl den Einbau von vier Rückkühlern à jeweils 309 kW. Der Besteller folgte dieser Empfehlung.

Der vom Landgericht eingeschaltete Sachverständige stellte fest, dass die geplante Rückkühlleistung nicht ausreiche, um die gesamte Rückkühlung der Kältemaschinen zu ermöglichen. Das Landgericht bejahte daraufhin einen Mangel der Leistung des Fachplaners und verurteilte ihn zur Zahlung des beantragten Vorschusses. Hiergegen wandte sich der Fachplaner mit seiner Berufung. Er war der Ansicht, seine Leistung sei nicht mangelhaft. Insbesondere sei die geplante Leistungsfähigkeit der Rückkühler nicht zu gering. Bei Berücksichtigung anderer Leistungsparameter und der Adiabatik sei die Rückkühlleistung ausreichend.

Jedoch ohne Erfolg. Das Landgericht habe zu Recht angenommen, dass der Besteller Anspruch auf Zahlung eines Vorschusses in Höhe von 394.243,- Euro gemäß §§ 633, 634 Nr. 2, 637, 280 Abs. 1 BGB in Verbindung mit dem Ingenieurvertrag gegen den Fachplaner habe, da die von ihm zu erstellende Rückkühlungsanlage mangelhaft sei. Ein Mangel der Planung der Rückkühlanlage liege darin, dass der Fachplaner sie mit einer Rückkühlleistung von insgesamt 1.236 kW geplant habe. Denn ausweislich des Sachverständigengutachtens sei mindestens eine Rückkühlleistung von 1.275,5 kW erforderlich, um die Abwärme der Kühlanlage vollständig abzuführen. Diese Leistung werde nach der Planung des Fachplaners nicht erreicht, so dass eine mangelhafte Planung gegeben sei. Die vom Fachplaner vorgebrachten Einwendungen bestünden nicht. Insbesondere sei die Leistungsfähigkeit aufgrund der adiabatischen Kühlung für die Frage, ob ein Mangel in der Planung vorgelegen habe nicht zu berücksichtigen. Denn zum einen sei die Adiabatik erst nach der baulichen Abnahme eingebaut worden. Zum anderen habe das Landgericht angenommen, dass die adiabatische Kühlung als zusätzliche Verbesserung der Rückkühlleistung in Aussicht gestellt worden sei und daher als zusätzliche Option erhalten bleiben müsse.

Eine Fristsetzung zur Mängelbeseitigung sei zudem entbehrlich. Da nach der Planung bereits die Vergabe erfolgt und die Rückkühlanlage errichtet worden sei, scheide ein Nacherfüllungsrecht des Fachplaners aus. Der Besteller habe daher einen Anspruch auf Vorschuss nach § 637 Abs. 3 BGB. Gründe dafür, dass der Fachplaner eine Nacherfüllung zu Recht verweigern könne, habe dieser nicht vorgetragen. Der Fachplaner habe dem Besteller den Betrag zu zahlen, der den Aufwand zur Mangelbeseitigung aus der Sicht eines vernünftigen, wirtschaftlich denkenden und sachkundig beratenen Bestellers voraussichtlich abdecke. Dabei könne die Höhe bei Vorliegen greifbarer Anhaltspunkte grob geschätzt werden.

In der Praxis wird es für die Bejahung des Anspruchs dem Grunde nach regelmäßig nur eine untergeordnete Rolle spielen, ob § 637 Abs. 3 BGB oder §§ 634 Nr. 4; 280 Abs. 1 BGB herangezogen werden. Denn es wird nur vereinzelt Konstellationen geben, in denen ein schuldhaftes Handeln des Planers und damit das Vorliegen eines Schadensersatzanspruchs verneint wird. Hinsichtlich der Darlegungs- und Beweislast für den Anspruch der Höhe nach dürfte allerdings etwas anderes gelten. So ist nach obergerichtlicher Rechtsprechung im Rahmen des § 637 Abs. 3 BGB eine plausible laienhafte Schätzung der Forderungshöhe ausreichend. Demgegenüber gilt bei der Geltendmachung eines Schadensersatzanspruchs § 278 ZPO, wonach die Benennung ausreichend greifbarer Anhaltspunkte für die Schadenshöhe erforderlich ist. Eine lediglich plausible, laienhafte Schätzung dürfte insoweit diesen Anforderungen nicht genügen.

Die Nutzung der männlichen Form in Fällen der Allgemeingültigkeit dient ausschließlich der Lesbarkeit juristischer Texte.

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