Wunsch und Wirklichkeit
Nachhaltiges Planen und Bauen

Bestmögliche Energieeffizienz, hoher Nutzerkomfort und der Einsatz umweltverträglicher Materialien sind die wichtigsten Bausteine im nachhaltigen Planungsprozess. Dennoch liegen Anspruch und gebaute Wirklichkeit oft weit auseinander.

Heute fordern Gesellschaft und Politik von Bauherren und Planern energieeffiziente Bauwerke mit hohen Anforderungen an Nachhaltigkeit und Nutzerkomfort. Planung, Bau und Betrieb sind noch komplexer geworden. Das erfordert es, ganzheitlich zu planen und damit neben energetischen Vorgaben auch den Ort und die Nutzung einzubeziehen. Eine im besten Sinne nachhaltige Gestaltung muss das gebaute Umfeld und regionale Gesichtspunkte wie Kultur und Infrastruktur berücksichtigen. Über die Erfüllung von Zertifizierungssystemen hinaus gibt es spezifische Themen wie energetische Synergien zu schaffen oder einem Ort Qualität und Identität zu geben. Es liegt in der Verantwortung der Planer, das zu kommunizieren und in die Planung zu integrieren. Nur so können ganzheitlich nachhaltige Projekte entstehen. Nicht zuletzt ist es nötig, im Sinne einer Lifecycle-

Betrachtung einen möglichst Ressourcen schonenden Betrieb und den umweltgerechten Rückbau des Gebäudes zu ermöglichen. Das erfordert von Bauherren und Planern, die gewünschten Ziele im Vorfeld möglichst genau zu definieren. Denn ob ein Gebäude im Betrieb zufriedenstellend funktioniert und gesetzte Ziele erreicht werden, entscheidet sich bereits in frühen Planungsphasen.

Um ein möglichst optimales Ergebnis zu erreichen, müssen im Sinne des integralen Planungsprozesses Architekten und Fachplaner schon während der Grundlagenermittlung und Vorplanung in engem Austausch stehen und die gesteckten Ziele bis zur Inbetriebnahme Gewerke übergreifend im Auge behalten. Die Praxis zeigt jedoch, dass an den Gewerke-Schnittstellen häufig Informationsverluste auftreten oder schlimmer noch, Fachingen­ieure nicht über alle Planungsphasen betei­ligt sind. Oft werden Architekten

nur bis LPH 4 beauftragt. Werkplanung, Ausschreibung und Durchführung der Bau­maßnahme übernehmen Generalunternehmer oder spezialisierte Planungsbüros. Innovative Konzepte, die in der Entwurfs­phase entwickelt wurden, gehen dadurch häufig verloren. Ein weiteres Problem ist, dass für Fachingenieure und ausführende Firmen das Projekt normalerweise mit der Inbetriebnahme abgeschlossen ist. Dort sind zudem nur stichprobenartige Nachprüfungen von ausgewählten Funktionen der Gebäudeautomation geschuldet. Die Ursachen von Fehlfunktionen, die sich typischerweise erst während der Nutzung über alle Jahreszeiten zeigen, bleiben ohne betriebsbeglei­tendes Monitoring oft unerkannt. Die Erfahrung zeigt, dass praktisch alle Gebäude eine 1- bis  2-jährige Optimierungsphase benötigen.

Fehlende Kontinuität

Jede noch so gute Planung ist obsolet, wenn sie während der Bauausführung nicht möglichst detailgetreu umgesetzt wird. Neben Schnittstellenproblemen in den Planungsphasen liegt hier das größte Risiko, die gesteckten Ziele zu verfehlen. Die Ursachen dafür sind vielfältig und meist struktureller Natur. Oft wird aus Kostengründen die ­Werkplanung in der Ausschreibungsphase verändert, ohne die Auswirkung auf die Gesamtfunktion des Gebäudes zu prüfen. Da als Grundlage für die Ausschreibung meist nur das Leistungsverzeichnis dient, eine detaillierte Funktionsbeschreibung jedoch fehlt oder nicht Bestandteil der Ausschreibung ist, entsteht an dieser Stelle ein Informationsvakuum. Die bietenden Unternehmen erhalten mit den Ausschreibungsunterlagen keine dezidierten Hinweise auf das Zusammenspiel der anzubietenden Bau- und Anlagenteile mit denen anderer Gewerke. So fließen oft eigene, häufig auch vereinfachte Vorstellungen von Anlagenkomponenten ins Angebot ein, die der ursprünglichen Planungsidee nicht genügen bzw. im Extremfall sogar entgegenstehen. In der Folge arbeiten, vereinfacht gesagt, Systemteile an ihren Schnittstellen schlicht nicht oder nur mangelhaft zusammen.

Zusätzlich fehlt oft eine Kontrollinstanz, die den Planungs- und Bauprozess in seiner Gesamtheit zu jedem Zeitpunkt im Blick hat. Ein Integrationsplaner, der organisatorisch parallel zum Architekten bzw. Objektplaner angesiedelt wäre und über vertiefte Kenntnisse der Gebäudeautomation verfügen sollte, könnte frühzeitig erkennen, wenn während Werkplanung, Ausschreibung und Ausführung von der ursprünglichen Pla­nungsidee abgewichen wird und rechtzeitig gegensteuern. So könnten unerwünschte Änderungen der ursprünglichen Planungsidee, die den gesteckten Zielen entgegenstehen, weitgehend verhindert und ein teures Nachtragsmanagement vermieden werden. Denn Fehlfunktionen, die sich erst im Betrieb zeigen, sind meist nur teuer und zeitaufwendig zu beheben.

Ein weiteres strukturelles Problem besteht in der Praxis, ein fertig gestelltes Projekt mit der Inbetriebnahme abzuschließen. Abgesehen davon, dass ein qualifiziertes und ganzheitliches Inbetriebnahme-Management oft nicht stattfindet, brauchen komplexe Bau­vorhaben ein Monitoring im Betrieb. Nur so lässt sich feststellen, ob das Gebäude die Ziele in Bezug auf Effizienz und Nutzerkomfort erfüllt. Denn viele Fehlfunktionen sowie im Zusammenspiel suboptimal arbeitende Anlagenbestandteile lassen sich erst während einer längeren Gebäudenutzung identifizieren. Ein Inbetriebnahme-Management allein reicht dafür nicht aus.

Nachhaltig planen bedeutet, das Bauvorhaben nicht als Aufsummierung von Einzelgewerken, sondern als Gesamtsystem zu betrachten. Das bedeutet, Strukturen aufzubrechen und Planungsprozesse neu zu definieren. Ziel ist es, das bestmögliche Gesamtergebnis durch Teamarbeit aller Beteiligten in einem gemeinsamen Prozess zu erreichen. Nachhaltige Gebäude, die sich erfolgreich einer Zertifizierung stellen können, entstehen so unter Einhaltung heutiger Standards quasi von selbst.

Nachhaltiger Bebauungsplan

Das folgende Beispiel zeigt, wie erfolgreich innerhalb einer Planung Nachhaltigkeitsziele erreicht werden können, wenn sich Architek­ten und Klimaspezialisten frühzeitig und vor allem kontinuierlich ergänzen. Im oberbayri­schen Kolbermoor entwickelt und realisiert das Architekturbüro Behnisch seit 2008 mehrere Projekte auf dem Areal einer stillgeleg­ten Baumwollspinnerei. Unter anderem arbeiteten die Architekten ein Konzept für den öffentlichen Raum um die alte Spinnerei aus. Eine filigrane Seilnetzkonstruktion, die in Kombination mit mehreren Pagoden als identitätsstiftende Überdachung des Rosengartens fungiert und die historischen Gebäude spielerisch verbindet und verwebt, wurde 2010 fertig gestellt. In vielen weiteren kleineren Eingriffen gestalteten die Architekten in den teilweise denkmalgeschützten Einzelbauten des Industrieareals Innenräume, Einrichtungen und weitere Überdachungen im Außenraum.

In Zusammenarbeit mit Transsolar entstanden zwischen 2008 und 2013 die Lofthäuser (Reihenhäuser) und das Wohnhaus am Rosengarten (Geschosswohnungsbau), die sich harmonisch in die Umgebung zwischen Mangfall-Kanal und Industriegelände einfügen. Mit einem Primärenergiebedarf von 27 bzw. 83 kWh/m2a sind sie äußerst energieeffizient und mit ihrer Grundrissgestaltung sehr flexibel in der Nutzung.

Aktuell entwickeln Behnisch Architekten in Zusammenarbeit mit Transsolar im Auftrag von Quest Immobilien einen Vorhaben bezogenen Bebauungsplan für den Park der historischen Spinnerei (Abb. 1). Für das etwa 7 ha große Gelände weist der Flächennutzungsplan Vorgaben zur Stadtentwicklung, zur ­Entwicklung des Naturraums und zur Wohnbebauung aus. So sollen bestehende Stadtgebiete, benachbarte Naturräume und überörtliche Rad- und Fußwege mit dem Areal vernetzt werden. Bäume und Gewässer des einstmals privaten Parks sollen erhalten und der Öffentlichkeit zugänglich, die punktförmige Wohnbebauung öffentlich durchlässig sein. Ausgangspunkt der Planung ist der Park, der als Landschaftsrefugium erhalten bzw. renaturiert wird. (Abb. 2) Da das Gelände als Überschwemmungsgebiet der Mangfall Hochwasser-Schutzfunktion erfüllen muss, werden dort zusätzlich Deiche angelegt, um einerseits Baubereiche und andererseits das erforderliche Retentionsvolumen zu definieren. Der gesamte Entwicklungsprozess wird von Stadtrat und Landratsamt begleitet und die Öffentlichkeit in die Planung mit einbezogen. So wurde bspw. auf Anregung der Öffentlichkeit und der Politik eines der Gebäude verschoben, um den öffentlich zugänglichen Parkbereich eindeutiger zu definieren.

Als Wohnbebauung planten die Architek­ten unter Berücksichtigung der Parksituation Punkthäuser mit flexibel nutzbaren Grundrissen. Die Häuser verfügen über verschiedene Wohnungsgrößen, Nutzungsmodelle wie temporäres Wohnen oder Wohnen und Arbeiten sowie eine optionale Kindertagesstätte sind integriert.Für die Entwicklung des Energiekonzepts gingen wir bei Transsolar den umgekehrten Weg als sonst üblich. Wir errechneten den energetischen Lastgang eines hypothetischen Gebäudes unter Berücksichtigung der Nutzung und ent­wickelten daraus Varianten zur Energieerzeugung. (Abb. 3) Die Ergebnisse flossen in die Planung der Gebäude ein und legen gleichzeitig deren energetische Qualität fest. (Abb. 4 + 5) Diese ist damit ein bindendes Kriterium des Bebauungsplans. Das Konzept umfasst 5 Varianten zur Energieerzeugung, die den jeweiligen Primärenergiebedarf sowie Invest- und Betriebskosten ausweisen. (Abb. 6) Ihre Qualität ist damit beschrieben und kann ebenfalls in den B-Plan einfließen. Die erste öffentliche Auslegung des Bebauungsplans hat im September 2014 stattgefunden, die zweite im Mai 2015. In der nächsten Runde mit den öffentlichen Entscheidungsträgern, nach der die Satzung des B-Plans beschlossen werden soll, stellen wir zusammen mit Behnisch Architekten eine Energieerzeugung mit dezentralen Pelletkesseln vor. (Abb. 7) Sie ist rechnerisch die Variante mit dem zweitgeringsten Bedarf an Primär­energie und bietet ein sehr gutes Verhältnis aus Invest- und Betriebskosten sowie sehr geringe CO2-Emissionen. (Abb. 8)

Auch bei diesem Projekt war es von entscheidender Bedeutung, zu Beginn der Planung Ziele zu definieren und diese nicht aus den Augen zu verlieren. Einerseits wird dadurch die Grundlage für die architektonische Qualität festgeschrieben, andererseits erhält der Bauherr Planungssicherheit (Abb. 9).

Den B-Plan haben Behnisch Architekten zur DGNB-Vorzertifizierung angemeldet. Nach den bereits vorliegenden Ergebnissen des Pre Check erwarten die Architekten ein sehr gutes Zertifizierungsergebnis. Das Interessante daran: Diese hohe Qualität wurde erreicht, ohne die Planung auf dem Zertifizierungssystem aufzubauen. Eine hohe Nachhaltigkeit ist bei komplexen Systemen nur durch eine integrale Planung erreichbar und damit eine notwendige Voraussetzung  für ein gutes Zertifizierungsergebnis.

Die Zertifizierung bewertet die Planungsergebnisse, kann jedoch die integrale Planung nicht ersetzen. Nehmen alle Projektbeteiligten von Beginn an ihre Verantwortung wahr und beziehen die örtlichen Gegebenheiten, die Nutzung und ein für das jeweilige Projekt beste Klimakonzept in die Planung ein, lässt sich ein sehr gutes und nachhaltiges Ergebnis erzielen.

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