Wie wollen wir morgen arbeiten?

Siemens Headquarter, München

Wenn sich die Siemens AG, einer der größten Hersteller energieeffizienter und ressourcenschonender Technologien mit weltweit über 350 000 Beschäftigten, diese Frage stellt, darf man auf das Ergebnis gespannt sein. Und im Fall des neuen Headquarters in München kann es sich wahrlich sehen lassen.

Der 1847 in einem Mietshaus in Berlin gegründete Konzern hat seitdem an vielen Standorten in Deutschland und in der ganzen Welt repräsentative Adressen. Doch die Verwaltung des Unternehmens ist den Ursprüngen treu geblieben und sitzt seit dem Jahr 1949 am Wittelsbacherplatz in München. In den ersten Jahren residierte man noch im 1925 nach den Plänen von Leo von Klenze erbauten klassizistischen Palais Ludwig Ferdinand. Bis Ende 2010 verteilten sich aber schon 1 200 Mitarbeiter auf 65 000 m² Bürofläche zwischen dem von Richard Meier gebauten Siemens Forum am Altstadttunnel bis zum Bayerischen Innenministerium zum Odeonsplatz hin.

Trotz seiner zentralen Lage wirkte der alte Gebäudekomplex der Siemens Zentrale schon aus der Besonderheit eines in sich geschlossenen Quartiers heraus nicht mehr zeitgemäß. Aus heutiger Perspektive eine unvorteilhafte Ausgangslage für einen um Transparenz werbenden Konzerns, dessen Portfolio zudem auch eine wachsende Sparte für Building Technologies abbildet. Da die Einzelgebäude des Ensembles aus den 1950er-Jahren in ihrer Bauweise und Flächeneffizienz nicht mehr zeitgemäß waren, entschied der Konzern sich für einen Neubau – nicht auf der grünen Wiese, sondern unter erschwerten Bedingungen am gleichen Standort. „Eine neue Konzernzentrale baut man nicht jeden Tag, das kommt nur alle 100 Jahre einmal vor“ setzt Zsolt Sluitner, CEO der Siemens Real Estate, die das Bauvorhaben als Bauherr betreut, in einem kürzlich erschienenen Interview die Tragweite der Entscheidung in Relation. „Betrachtet man die Gesamtsituation haben wir eine empfindliche städtebauliche Situation, ein sensibles Umfeld, den Denkmalschutz, den daraus resultierenden Abstimmungsbedarf mit den Behörden. Und das Thema der Nachbarschaft, denn wir bauen mitten in der Stadt.“

Fit für die Zukunft

Den Wunsch nach einem modernen, wandlungsfähigen Konzept, das Tradition und Zukunft verbindet, konnte das dänische Architekturbüro Henning Larsen Architects mit seinem Entwurf für sich entscheiden. Ein vier- bis sechsgeschossiger Baukörper schließt an die bestehende Randbebauung des Quartiers an. Den Mittelpunkt des neuen Ensembles bildet ein Atrium, das als Verteiler in die weiteren Ebenen fungiert. Sechs teilweise überdachte Innenhöfe zonieren das Volumen, dessen Gebäudeteile und Abteilungen über eine sogenannte Spine miteinander verbunden sind –  Kommunikationszonen innerhalb der Fläche und vertikal zwischen den Ebenen. „Das Spektakuläre des Projektes liegt nicht etwa in der Kunst, einen modernen Kontrapunkt zu schaffen, sondern darin, sich an die Umgebung anzupassen. Das gelingt, indem es die Hofstruktur des klassizistischen Kontexts aufnimmt und in eine zeitgemäße Formsprache übersetzt“, beschreibt Werner Frosch von Henning Larsen Architects die Intention des Entwurfs.

Während sich die Fassaden zu heterogenen Nachbarbebauung mit hoher Bebauungsdichte bewusst in Gestalt und Materialität zurücknehmen zeigt sich der Neubau zum stark befahrenen Oskar-von-Miller-Ring mit einer prägnanten Glasfassade. In den Innenhöfen öffnet sich das Gebäude durch die Schrägstellung der Fassade zum Himmel – zugunsten von mehr Tageslicht in den Geschossen. Kein Zufall, wie Werner Frosch bestätigt: „Der Wunsch nach Offenheit und Transparenz war eine firmenpolitische Entscheidung, die man jedoch wunderbar in Architektur umsetzen konnte.“

Der Clou ist jedoch die neu geschaffene Passage zwischen der Münchner Altstadt und dem nördlich gelegenen Museumsviertel durch das öffentlich durchwegbare Erdgeschoss, ob als schnelle Abkürzung oder zum ausgiebigen Flanieren inklusive Einkehr in die örtliche Gastronomie genutzt. Dank der dynamischen Raumwirkung und der vielfältigen Blickbeziehungen ist die Passage rege frequentiert. Ein sichtbarer Kulturwandel, der nicht nur für die Passanten noch gewöhnungsbedürftig ist.

Arbeit 4.0 – New Way of Working

„Was die Öffentlichkeit von uns denkt, wie sie uns beurteilt und einschätzt, hängt auch in starkem Maße von der Gestalt unserer Bauten ab“, konstatierte bereits 1969 der damalige Aufsichtsratsvorsitzende Ernst von Siemens den Stellenwert der Architektur als festen Bestandteil der Unternehmensidentität. Die sich verändernden Anforderungen an die Arbeitswelt erfordern stets neue Investitionen in ein modernes, inspirierendes Arbeitsumfeld, bei dem auch die Lebenszyklusbetrachtung und die Energieeffizienz der Gebäude eine große Rolle spielen. Rund 1 200 Mitarbeiter finden in hellen, lichtdurchfluteten Ebenen offene Arbeitswelten, die Kommunikation und Teamarbeit fördern. Für einen international tätigen Konzern mit Mitarbeitern aus 40 Nationen unabdingbar ist die Nutzung neuer Technologien. Ein Fakt, der nicht nur Auswirkungen auf die Organisation der Arbeit im Allgemeinen, sondern auch auf die Konzeption der Büroflächen hat.

Flexibilität heißt das Zauberwort. Nur noch wenige Abteilungen haben einen festen Arbeitsplatz, für den Großteil der Mitarbeiter gilt die Clean-Desk-Strategie. Jeden Morgen sucht man sich seinen Platz in den weiten, offenen Räumen und hinterlässt am Ende des Arbeitstages nichts als einen aufgeräumten Schreibtisch. Damit dieses Konzept bei zugleich effizienter Flächenausnutzung funktionieren kann, bedarf es einer Raumstruktur, die unterschiedliche Zonierungen ermöglicht. Die Anordnung der Arbeitsplätze entlang der raumhohen Fensterfronten erlaubt eine maximale Tageslichtausnutzung und zugleich individuelle Regelung der Klimatisierung. Unterschiedliche Nutzungsbereiche wurden zu Clustern zusammengefasst und bilden für die projektübergreifende Teamarbeit eine temporäre, komfortable und zugleich funktionale Arbeitsumgebung. Die integrierte IT- und Kommunikations-Technik sowie Akustik- und Sichtschutzpaneele erleichtern konzentriertes Arbeiten.

Entlang der zentralen Erschließungsachse bilden Kommunikationszonen und Lounges für informelle Besprechungen ein differenziertes Angebot zu den Bürozonen und setzen das Konzept von Offenheit und Transparenz fort. Locker gestellte Sitzgruppen, Loungemöbel und interne Konferenzbereiche schaffen die Balance zwischen Kommunikation und Konzentration. Gläserne Innenwände erlauben die optimale Tageslichtausnutzung auch in den Mittelzonen und bieten Schutz für ungestörte Kommunikation. So ermöglicht die offene Struktur anstelle kleinteiliger Strukturen vielfältige Ein- und Ausblicke – bis in die gegenüberliegenden Arbeitsplätze und Besprechungsbereiche des Atriums.

Siemens DNA

„Die Innenarchitektur für das neue Headquarter spiegelt die DNA von Siemens wieder, nimmt die Klarheit in Struktur und Design der Architektur auf und verbindet Tradition und Moderne, Repräsentanz und zeitlose Funktionalität“ erklärt Gerhard Landau vom Innenarchitekturbüro Landau + Kindelbacher sein Konzept für die repräsentativen Bereiche. Die einladende Geste der Architektur setzt sich in der Formsprache und Materialität der Möbel und Oberflächen fort. Ein wesentlicher Aspekt der Baumaßnahme war die Integration des denkmal­geschützten Palais Ludwig Ferdinand in den Neubau. So ist die restaurierte Außenfassade prägnanter Bestandteil des im Inneren neu entstandenen Auditoriums. Abtrennbar mit Schiebeelementen und Vorhängen, bietet dieser Konferenzbereich das angemessene Setting für Veranstaltungen verschiedener Formate. Neben der zukunftsorientierten Ausstattung der Arbeitswelt lag die Messlatte für die Nachhaltigkeitsstandards hoch. Es sollte ein Showcase geschaffen werden, der einen dauerhaften Mehrwert für Nutzer und Gesellschaft bietet. Die schon im Entwurf mitgedachte Flexibilität der Flächen trägt dem ebenso Rechnung wie die bewusste Entscheidung für regional verfügbare und schadstoffarme Baumaterialien. Durch seine innovative Gebäude­technik verbraucht das neue Bauwerk 90 % weniger Strom und rund 75 % weniger Wasser als der Vorgängerbau. Der Primärenergiebedarf liegt 52% unter dem nach der aktuellen Energieeinsparverordnung geforderten Wert. So konnte auch das vom Bauherrn gesetzte Ziel der Zertifizierungen DGNB Platin und LEED Platinum erreicht werden. Eva Maria Herrmann, München

Baudaten
Objekt: Siemens Headquarters, München
Standort: Werner-von Siemens-Straße 1
Typologie: Verwaltungsbau
Bauherr: Siemens Real Estate
Nutzer: Siemens AG
Architekt: Henning Larsen Architects, München, Kopenhagen/DK, www.henninglarsen.com
Mitarbeiter (Team): Louis Becker, Werner Frosch, Klaus Troldborg, Dominik Nocon, Kathrin Riemenschnitter, Carlos Pereira López, Priscila Campos Carrasco
Bauleitung: Henning Larsen Architects in Zusammenarbeit mit CL MAP, München, www.clmap.com
Projektsteuerung: Drees und Sommer, München, www.dreso.com
Bauzeit: Juli 2013 – Juni 2016
Fachplaner
Tragwerksplaner: Werner Sobek, Frankfurt + Stuttgart, www.wernersobek.de
TGA-Planer: Kühn Bauer und Partner, München, www.kbp.de
Fassadentechniker: STRABAG Metallica, Wien/AT, www.strabag.at
Lichtplaner: ag Licht GbR, Bonn, www.aglicht.de
Innenarchitekt: Landau + Kindelbacher, München, www.landaukindelbacher.de
Akustikplaner, Schall- und Wärmeschutz: PMI GmbH, München, www.pmi-ing.de
Landschaftsarchitekt: Topotek1, Berlin,
www.topotek1.de
Energieplaner: Transsolar Energietechnik GmbH, München, www.transsolar.com
Projektdaten
Grundstücksgröße: 11 000 m²
Nutzfläche: ca. 36 700 m²
Brutto-Grundfläche: 45 000 m² oberirdisch,
30 000 m² unterirdisch
Brutto-Rauminhalt: ca. 304 000 m³
Energiebedarf
Primärenergiebedarf: 45,11 kWh/m²a nach EnEV 2009
Endenergiebedarf: 53,85 kWh/m²a nach EnEV 2009
Jahresheizwärmebedarf:
20,85 kWh/m²a nach EnEV 2009
Zertifizierungen: DGNB Platin, LEED Platin
Energiekonzept
Fassaden zu den Innenhöfen sind mit hochgedämmter Dreifachverglasung versehen. Gesamter Energiebedarf wird durch regenerative Energien gedeckt. Auf dem Dach ist eine Photovoltaikanlage montiert, die Klimatisierung des Gebäudes erfolgt über eine Bodenplatte, die im Sommer die Räume kühlt und im Winter die Heizung unterstützt. In dieser werden in 70 km Wasserrohren pro Stunde bis zu 10000 l Wasser gepumpt, die mittels hocheffizienter Heiz-/Kühldecken ganzjährig für ausgeglichenes Klima sorgen. So ist es gelungen, Co2-Ausstoß im Vergleich zum Vorgängergebäude um rund 90 % auf 9 kg/m²a. zu reduzieren.  Es wurden nur schadstoffarme Materialien verwendet und bevorzugt regionale Baustoffe eingesetzt worden.
Gebäudehülle
U-Wert Vorhangfassade = 0,90 W/(m²K)
U-Wert: Glasdächer, Libtb., Lichtk.= 1,7 W/(m²K)
U-Wert: opak Sollwert = 0,35 W/(m²K)
U-Wert: opak Istwert = 0,16 W/(m²K)
Hersteller
Sonnenschutz/Blendschutz: Warema Renkhoff SE, www.warema.de; ifg systems GmbH, .ifg-systems.de 
Teppichboden Büro: Vorwerk & Co. Teppichwerke GmbH & Co. KG, www.vorwerk-teppich.de
Beleuchtung Büro: Osram GmbH, www.osram.de;
Tischleuchten Büro: Nimbus Group GmbH,
Türen: Schörghuber Spezialtüren KG,
www.schoerghuber.de
Deckensysteme: Knauf Gips KG, www.knauf.de; Aquinnotec Projekt GmbH, www.aquinnotec.de
Fußbodenaufbau, Abdichtungen: Sopro Bauchemie GmbH, www.sopro.com
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