Was vom Denkmal übrig bliebe
Ein Gespräch mit Annemarie Bosch, BDA-Kreisverbandsvorsitzende,
Erlangen

Was ist der Denkmalschutz wert, wenn er über einen Wettbewerb ausgehebelt werden kann? Wieweit sollten Architekten und die sie vertretenden Verbände gehen, wenn sie ihrer Selbstverpflichtung als Sachwalter für die Baukultur nachkommen wollen? Und was ist ihr Standpunkt, der ja ein Expertenstandpunkt sein sollte, heute eigentlich noch wert? In Erlangen wird über einen Wett­bewerb ein Denkmal auch zur Disposition gestellt. Warum? Wir trafen uns mit der BDA-Kreisverbandsvorsitzenden, Architektin und Kritikerin des Verfahrens, Annemarie Bosch, am Frankenhof in Erlangen. Und fragten nach dem Warum.

Liebe Frau Bosch, wir sitzen hier im Innenhof des Frankenhofes von Werner Wirsing aus den frühen Sechzigern. Wird diese ganz besondere Atmosphäre Zukunft haben?

Annemarie Bosch: Die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt und deshalb hoffen wir, dass hier – wenn es zu Veränderungen kommt – allein positive Veränderungen wirksam werden, Veränderungen, die aus wohlabgewogenen Sanierungsmaßnahmen resultieren.

Man hat nicht den Eindruck, dass das Ensemble abrissreif ist. Geht denn der jetzt ausgelobte Realisierungswettbewerb auch auf dessen Qualitäten ein?

Ich befürchte, dass vor allem die städtebauliche Qualität des Ensembles verkannt wird. Jemand wie ich, die hier im Quartier lebt, kann sagen, dass die Bauten stark frequentiert werden. Auch bieten die zugehörigen Freiräume eine ganz besondere, wichtige Qualität für das Quartier.

Was möchte die Stadt mit dem Wettbewerb erreichen?

Die Stadt plant die Weiterentwicklung zu einem Kultur- und Bildungscampus. Es sollen hier neben den bisherigen Nutzern, wie der Jugendkunstschule, dem Freizeitamt und einigen Vereinen viele weitere untergebracht werden, so auch die Musikschule und die Volkshochschule.

Die Jugendherberge, die seit Anbeginn hier untergebracht ist, soll mit rund 30 Zimmern erhalten bleiben, bzw. in einem Erweiterungsteil Platz finden. Für das Hallenbad ist keine längerfristige Perspektive vorhanden, hier soll es einen Neubau an anderer Stelle geben.

Auslobung und Inhalt des Wettbewerbs ärgert Sie und manche Kollegen sehr. Was berührt Sie so emotional?

Es gibt mehrere Ebenen, die hier zu betrachten sind. Zum einen fehlt mir der Dialog zwischen allen Beteiligten im Umgang und der Weiterentwicklung eines Baudenkmals, damit haben wir es ja seit 2013 zu tun!

Die Flächenmehrung um gut 2 000 m² wäre relativ einfach in dem Volumen des Hallenbades unterzubringen – und erführe so auch die Zustimmung des Landesamts für Denkmalpflege. Aber genau dort setzt die Stadt die Grenze zwischen dem Realisierungs- und dem Ideenwettbewerb. Das ist völlig unverständlich, da schließlich beides der Stadt gehört. Um der Anforderung, rund 30 % mehr Nutzfläche herzustellen, zu genügen, muss also entweder die Zerstörung des Bestandes, zumindest aber der Verbrauch der attraktiven, bisher dem Bestand zugeordneten Freiflächen in Kauf genommen werden. Der zweite Punkt ist, dass dieses Verfahren, das explizit auch den Abriss zulässt, wohl kaum bei einem gesellschaftlich anerkannten Baudenkmal in Gang gesetzt worden wäre, bei einem Schloss beispielsweise. Es gibt offensichtlich einen Denkmalschutz der ersten und zweiten Klasse.

Ein Wettbewerb sollte so ausgelobt werden, dass auf Basis einer klaren Aufgabenstellung Lösungen gefunden werden. Im vorliegenden Fall wird das Verfahren eingesetzt, um eine politische Entscheidung, nämlich den möglichen Abbruch des Frankenhofs, zu legitimieren.

Mitte Mai ist Abgabetermin, im Juni tagt die Jury. Was machen Sie, der BDA, dem Sie hier vorsitzen?

Nun, wir haben schon eine Menge gemacht. Bereits mein Vorgänger im Amt hat schon in öffentlichen Veranstaltungen im Rahmen der Architekturwoche 2008 den Frankenhof thematisiert.

Wir haben seit 2013 verschiedene öffentliche Veranstaltungen organisiert: zunächst eine mit dem Baureferenten der Stadt, einem Vertreter des bogevischs büro [die Münchener haben die Nachfolge des Büros von Werner Wirsing angetreten; Be. K.] und dem Landesamt für Denkmalpflege. Hier sollte den Bürgern erläutert werden, welche Qualitäten das Ensemble birgt.

2014 gab es eine kleine Ausstellung über das Werk von Werner Wirsing mit einer weiteren öffentlichen, interdisziplinär besetzten Diskussionsrunde, die noch einmal darlegen sollte wie man mit einem solchen Teil gebauter Stadt arbeiten kann; in einer barocken Planstadt das planvolle Denken und Weiterentwickeln des Bestandes als Konzept zu nehmen und nicht ein planloses Erneuern von Teilen.

Für das Planvolle stehen gemeinhin die Architekten. Warum nehmen die Kollegen hier teil?

Ein Wettbewerb lebt von mehreren Akteuren: dem Auslober, dem Preisgericht, den Teilnehmern. Wichtig zu wissen ist, dass beispielsweise Prof. Johannes Kister als angefragter Juryvorsitzender seinen Rücktritt erklärt hat, dass Kollegen, die bereits lange mit den Wettbewerbsdetails gerungen, ebenso wie andere, sich vom Wettbewerb distanziert haben. Beispielsweise Prof. Hubert Kress von KJS+Architekten, die zunächst teilnehmen wollten, aber dann das Handtuch geworfen haben, weil eben die Rahmenbedingungen nicht stimmen.

Natürlich gibt es auch Kollegen, die nach eigener Auskunft versuchen, hier etwas zu retten. Das ist ihr gutes Recht. Meine Kritik richtet sich nicht an sie, sondern an den Auslober, der wider alle Vernunft das Verfahren ohne jede Änderung unbeirrt durchzieht.

Es gibt eine Expertise der Denkmalpflege, die die Stadt zurückgehalten hat. Aus Angst, das Verfahren zu überfrachten, Zeit zu verlieren?

Die Schönheit und Qualitäten des Komplexes sind dem Auslober offensichtlich nicht bewusst. Darin mag auch der Grund liegen, dass der Umgang mit dem Bestand komplexer und schwieriger erscheint, als Maßnahmen im Rahmen des Möglichen! Die Teilnehmer haben übrigens auch das existierende Bestandsgutachten nicht erhalten.

Wenn nun Mitte Juni das Wettbewerbsergebnis öffentlich gemacht wird, was ist Ihr Plan? Gibt es ein Konzept „Plan B“?

Nein, gibt es nicht. Ich glaube, wir müssen erst einmal die Dinge auseinanderhalten: Was wird tatsächlich nach dem Wettbewerb geschehen – wird ein Um- oder Neubau denn überhaupt realisiert?! Und was bedeutet die Entscheidung dann für den Umgang mit solchen oder vergleichbaren Baudenkmälern in Deutschland? Die Tatsache, dass eine Kommune die Möglichkeit hat, ein vielleicht ungeliebtes Baudenkmal mit einem Wettbewerb überformen zu lassen und am Ende sogar anstelle dessen ein neues Gebäude zu generieren und damit den Abriss des Denkmals zu legitimieren, das sind grundsätzliche Fragen, auf die wir alle ganz genau achten müssen – nicht nur in Erlangen.

Fehlt generell die Sensibilität für die Sechziger-Jahre-Architektur?

Generell oder ganz speziell: Es geht in Erlangen beispielsweise nicht nur um den Frankenhof. Wir haben hier viel Bausubstanz der 1960er- und 1970er-Jahre, insbesondere universitäre Bauten. Hier stehen uns noch ganz andere Aufgaben bevor.

Hat sich der Architekt, Werner Wirsing, zum Verfahren geäußert?

Es gibt einen Brief von Werner Wirsing, den wir erhalten haben. In diesem Brief schreibt der Architekt an die Verantwortlichen der Verwaltung, dass er zuversichtlich sei, dass sie eine sensible Weiterentwicklung des Areals ermöglichen. Wie genau das zu lesen ist offen-bart sich vielleicht darin, dass die Stadt den heute 96-jährigen in die Jury geladen hat. Wo er sicherlich nicht anwesend sein wird!

Sind Sie öfter hier? Gast im Innenhof mit Volksgastronomie?

Unser Sohn geht hier im Hallenbad in einen Schwimmkurs. Vor 14 Tagen haben wir hier den Kindergeburtstag gefeiert, die Kinder haben hier einen Bastelkursus besucht. Ja, wir sind immer wieder einmal hier im Hause.

Wenn Sie hier etwas als Architektin machen sollten, was würden Sie tun?

Ich würde hier nichts weiterentwickeln wollen. Lieber würde ich eine mustergültige Sanierung planen, für den einen Teil. Für das Hallenbad hätte ich sicher andere Ideen. Ganz klar ist für mich, dass die Freiräume erhalten bleiben müssen, das Jugendgästehaus im Turm, auf den ich täglich in der Holzgartenstraße mit dem Rad zufahre und immer wieder denke: Klasse! Und auch die Flachbauten entlang der Südlichen Stadtmauer Straße. Alle Gebäudeteile sind passend proportioniert und wohltuend. All das zu überplanen wäre für die Stadt ein unwiederbringlicher Verlust!

Mit Annemarie Bosch unterhielt sich DBZ-Redakteur Benedikt Kraft am 21. April 2015 im klösterlichen Innenhof des noch sehr authentischen Frankenhofs in Erlangen.

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