Von der Harmonie aller Disziplinen
Neuer Orchesterproben­-
raum des Staatstheaters in Hannover
 

Gemeinsam musizieren und gut (auf-)einander hören können sind wesentliche Faktoren für das perfekte Zusammenspiel eines Orchesters. Wenn man bedenkt, dass es sehr „laute“ Instrumente gibt wie die Blechblasinstrumente oder die Schlaginstrumente und andererseits sehr „leise“ Instrumente wie die Violinen oder ein Cembalo, wird schnell klar, dass es gar nicht so einfach ist, aus dieser Bandbreite von Orchesterinstrumenten einen Klangkörper zu schaffen.

Grundlagenermittlung und Baubeginn

„Das Orchester hatte zuvor jahrelang in provisorischen Räumen und zuletzt in einem historischen Saal im Pelikanviertel geprobt“, erklärt Vladimir Szynajowski, Akustiker und Spezialist für die Gestaltung musikalischer Aufführungsräume. Einer Hannoveraner Speditionsfirma gehört das Gebäude, in dem das Staatstheater den neuen Raum angemietet hat, der zuvor der Landesbühne (heute Theater für Niedersachsen kurz TFN) als öffentlicher Theatersaal diente. Und das Staatstheater hat die Umbaumaßnahmen zum Probensaal maßgeblich finanziert. „Von Anfang an haben wir mit den Musikern gesprochen und analysiert, welche Bedingungen für sie optimal wären. Hierzu zählten z.B. Tests zum Bodenaufbau“, beschreibt der Akustiker den Prozess der Grundlagenermittlung. Zunächst galt es, das Raumvolumen zu definieren, was direkten Einfluss auf die Lärmbelastung der Musiker hat. Ein allgemeiner Richtwert bei solchen Räumen ist ein Volumen von 30 m³ pro Musiker. Die Musiker und Musikerinnen müssen sich gut auf einer Fläche verteilen können, Raumproportionen und -höhe bestimmen die Schallreflexion. Entstanden ist ein Raum von 21 m Länge und 16 m Breite sowie 8 m Höhe. Dazu musste ein Teil der alten Theaterempore abgerissen werden, und der Bühnentrakt wurde völlig entkernt. In Zusammenarbeit mit dem Architekturbüro Poggemann & Partner aus Hannover wurde alles bis auf den Rohbau freigelegt und dann wieder neu aufgebaut. Ein neuer Eingang für die Musiker führt entlang weiterer Einspiel- und Proberäume in das ehemalige Theaterfoyer. Eine neue Rampe für die Anlieferung der Instrumente ist vor dem ehemaligen Bühnentrakt auf Saalniveau entstanden. Als reine Bauzeit standen nur fünf Monate zur Verfügung (davon sechs Wochen für den Abriss). Denn es gab für einige Gebäudeflächen noch Mietverträge, die erst auslaufen mussten. Die umfassende Grundlagenermittlung, sehr genaue Vorplanungen und ein hoher Grad an Vorfertigung verbunden mit einer sorgfältigen, passgenauen Montage durch die ausführenden Firmen machten es möglich, den neuen Probenraum in der kurzen Zeit zu vollenden.

(Akustisches) Konzept

Neben der Schaffung eines optimalen Raumvolumens spielt der Grundgeräuschpegel im Raum eine wesentliche Rolle. Dabei geht es sowohl um die Bauakustik als auch um die Raumakustik. Die Bauakustik umschreibt alle Geräusche, die von außen auf den Raum treffen bzw. aus den haustechnischen Anlagen stammen und gedämpft werden müssen. In diesem Fall ist es Straßenlärm und Zuglärm von einer stark befahrenen Gleisstraße in unmittelbarer Nachbarschaft, und vor allem sind es die Geräusche der Dieselmaschinen auf dem Hof der Speditionsfirma. „Um einen optimalen Schallschutz zu gewährleisten, entschied man sich für ein „Raum-in-Raum-Konzept“, das aus Kostengründen und aufgrund der kurzen Bauzeit konsequent in Trockenbauweise ausgeführt worden ist“, schildert Szynajowski die Wahl der Konstruktion. So stehen die Wände mittels Sylomerlagern auf körperschallentkoppelten Ringankern, Fußboden und Decke sind federnd gelagert bzw. abgehängt. Eine kostengünstige Verbesserung des Schalldämmmaßes der Trockenbauwand entsteht durch eine 5 mm starke Bitumenbahn, die zwischen zwei Gipskartonplattenlagen geklebt wurde. Aus Erfahrung mit anderen Projekten entschied der Fach­planer, den Musikern auch einen Sichtbezug nach außen zu bieten, damit sie nicht in einem abgeschotteten Raum spielen müssen, wie es oft bei Proberäumen der Fall ist. So sind drei schalldichte Kastenfenster in die Längswand des Saales eingefügt. Die Saaltüren müssen nicht nur dem Brandschutz gerecht werden sondern auch hohe Anforderungen an den Schallschutz erfüllen. Sie erreichen im eingebauten Zustand ein Schalldämmmaß R’w von 48 dB. Weil es kein öffentlicher Veranstaltungsraum mit Publikumsverkehr ist, entwickelten die Planer zusammen mit der Feuerwehr ein einfaches und günstiges Brandschutzkonzept, das auf RWA-Öffnungen, die aufwendig schallgedämmt sein müssten, im Dach komplett verzichtet.

Zu den Konstruktionen für die Bauakustik, die die Grundlagen in solch einem Probenraum bilden, kamen wichtige raumakustische Maßnahmen, die heute das optimale Zusammenspiel von rund 90 Musikern in dem Probensaal ermöglichen. Den Wunsch der Musiker nach natürlichen Materialien setzten Szynajowski und sein Team gestalterisch als kreative Werkstattatmosphäre um: Die Innenwände sind mit einem Wechselspiel aus hölzernen, unterschiedlich ausgefachten Kassetten beplankt. Wahl und Position entsprechen den akustischen Anforderungen und sind in 3D-Modellen berechnet worden. Für das Erzielen eines optimalen Resultats war sehr wichtig, dass die Berechnungen im 3D-Modell beim Baufortschritt stets mit Messungen vor Ort abgeglichen und immer wieder überprüft wurden. Das Spektrum reicht von schräg gestellten, gelochten Elementen über längs gefräste Elemente aus MDF mit Holzfurnier bis zu weißen Filzflächen. Unter der Decke hängen regel­mäßig gefaltete Gipskartonelemente mit weiteren gitterförmigen Schallreflektoren, die speziell dazu beitragen, dass die Musiker sich und ihre Instrumente besser hören. Doch Akustik spielt nicht die einzige Rolle bei der Schaffung eines optimalen Raumes zum Musizieren. Licht- und Luftqualität tragen wesentlich dazu bei, dass die Musiker sich wohlfühlen und sich ihre Instrumente optimal verhalten. Quellluftauslässe für die Zuluft befinden sich in der Wand hinter dem Dirigenten und in den Vorderseiten der Podeste. Die Abluft wird in großzügigen Fugen in der Decke wieder abgeführt. Eine zugfreie Luftführung: Bei der Bauabnahme betrug die gemessene Luftgeschwindigkeit an den Auslässen nur 0,15 m/s. Um alte und vergilbte Noten noch gut lesen zu können, ist der Raum blendfrei ausgeleuchtet mit schlichten Industrieleuchten, die von der Decke hängen und ein warmes Licht von 700 lux Lichtstärke auf Höhe der Notenständer geben. Der Bodenbelag ist aus Lärchenholz und hohlliegend, abgestimmt auf die Musikinstrumente mit Bodenkontakt, wozu im Vorfeld Tests mit den Musikern gemacht wurden. Der Akustiker Szynajowski bringt es auf den Punkt: „Schließlich ging es darum, alle Disziplinen zu harmonisieren.“ Das ist gelungen. Die Nachhallzeit im Raum beträgt optimale 0,8 s, der für einen Orchesterprobenraum empfohlene Ruhegeräuschpegel von 25 dB(A) wurde mit 23 dB(A) sogar unterschritten. Und die Musiker loben die besondere Klarheit des Raumes. Susanne Kreykenbohm, Hannover

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