Viel Lärm um einen gelungenen Stadtbaustein
Marthashof, Berlin

Urbane Stadtverdichtung ist heute wieder ein Thema. Um einen neuen halb-öffentlichen Park und die alte Kulturpflanze Blauregen entstand in Berlin ein sehr attraktives Wohnquartier, das räumlich und gestalterisch für sensiblen Stadtwandel steht.

Seltsam, aber kaum ein anderes Wohnprojekt in Berlin der letzen Jahre wurde so heftig angegriffen wie Marthashof im Szenequartier Prenzlauer Berg. Gentrification und Gated Community wurden von nicht wenigen Anwohnern gegen das Projekt angeführt, obwohl es anders als viele neue Wohnprojekte in der Nähe sich nicht seiner Nachbarschaft verschließt, sondern sich zur Straße mit einem kleinen Park unmissverständlich öffnet, der bis abends allen offen steht. Und anders als viele Projekte, die weiterhin nur eine Funktion verfolgen, wurden hier auch sieben Gewerbeeinheiten verwirklicht. Doch mancher Nachbar verlor den freien Ausblick und das lieb gewonnene Südlicht, das ihnen die frühere Brache eines weiten DDR-Garagengeländes bot. Denn die Renaissance der Innenstädte und die damit einhergehende Verdichtung haben ihren Preis, zumal heute nicht allein in Berlin fast jede Veränderung als Bedrohung denn Gewinn empfunden wird.

Die Heftigkeit der Ablehnung dürfte letztlich an der schieren Größe des Projektes gelegen haben, dass 129 durchaus gehobene Wohnungen in eine urbane Struktur implantiert wurden. Die reine Zahl löste Unmut und weckte Ängste gerade bei jenen, die oft selbst kaum länger als ein Jahrzehnt im Prenzlauer Berg wohnen und im Zuge zahlreicher Altbausanierungen zuvor die alte Bewohnerschaft wie in kaum einem anderen Berliner Viertel verdrängt hatten.

Grüntuch Ernst Architekten jedoch gaben ihr Bestes, um an der Schwedter Straße eine Bebauungsstruktur vielfältiger Freiräume für unterschiedliche Wohnformen entstehen zu lassen. Zentrales Element ihres Konzepts war die Schaffung einer grünen Mitte als repräsentatives Identifikationselement. Weshalb sie nicht den Blockrand schlossen, sondern ihn mit einem Hofgarten in der Tradition der Berliner Ehrenhöfe der Jahrhundertwende öffneten. An drei Seiten von Wohngebäuden eingefasst orientiert sich Marthashof bewusst zur Schwedter Straße, damit zur Stadt und zu ihrem Gegenüber, einer Schule des früheren Stadtbaumeisters Heinrich Blankenstein. Alle Wohnungen werden direkt über den Gartenhof oder von der Schwedter Straße erschlossen. Alle stehen in der ersten

Reihe ganz im Gegensatz zu aktuell immer verschachtelteren Wohnanlagen, die beengte Hinterhöfe reproduzieren. Hier jedoch entstanden durch das Aufbrechen der Blockrandbebauung neue Durchlässe, kleine Zwischenhöfe mit Privatgärten entlang der Gebäuderückseiten. Vielfältige Blickachsen und Sichtbezüge zumeist großzügig terrassierter Gebäude schaffen abwechslungsreiches Raumerleben, das Intimität im Halb-Öffentlichen erlaubt.

Urbanes Wohnen für verschiedene Lebensstile und -gemeinschaften war und ist das Thema von Marthahof – vielfältige Wohnungsgrößen und -grundrisse zur individuellen Wahl, die auch Kombinationen von Wohnen und Arbeiten erlauben. Neben den metallisch verkleideten Etagenwohnungshäusern findet sich hier eine Vielzahl von unterschiedlichen Wohnungstypologien: einige kleine Studioeinheiten, viele Maisonettewohnungen mit Loggien oder Terrassen, Gartenhaus-Villen, gestapelte Townhouse-Wohnungen und Penthouses. Licht und weit wirken die Wohnungen, die vielleicht nur das einzige Handicap besitzen, dass ihre Bäder oft in der Nähe des Kerns gefangen sind. Leicht hätte diese große Vielfalt an Wohnungstypologien die Großform der Hofbebauung konterkarieren können, aber Armand Grüntuch und Almut Grüntuch-Ernst fanden auch auf dieses Problem eine Lösung mit geschickt orchestrierten Fassadengestaltungen. Mit drei Fassaden-Grundtypen für die verschiedenen Häuser: einer mobilen Faltfassade aus Metall, einer begrünten Pfosten-Riegel-Fassade und einer Wärmeverbundfassade mit mineralischem Putz. Da auf Wunsch der Investorin Giovanna Stefanel-Stoffel, die aus der Textilbranche kommt, für Marthashof der Blauregen als floral-assoziatives Identifikations-element dienen sollte, findet sich nun diese Pflanze auf vielfältige Weise in und an den Häusern architektonisch integriert.

Für die beiden Torhäuser und für ein Haus am Ende des Hofes wählten die Architekten eine perforierte Metallfassade mit abstrahierten Blauregen-Blattmustern, aber mit dunkelbraunem Sonder-eloxal beschichtet, um an den Backstein mehrerer alter Bauten der Nachbarschaft mit einem moderneren Material anzuknüpfen. Der Clou dieser Fassaden ist ihre Mobilität und klar abgesetzte Außenraumschicht, die unterschiedliche Grade von Privatheit erlaubt. Die drei Gebäude wurden mit ca. 1 100 geschosshohen Alu-Blechelementen umhüllt, von denen etwa 700 als 2- bis 4 -teilige Schiebe-Faltläden ausgeführt wurden. 3,20 bis 3,40 m hoch und in der Breite zwischen 55 und 60 cm variierend, sind die Schiebeläden an einer Profilkonstruktion befestigt. Oben an Rollapparaten, unten auf POM-Rollen über Schienen laufend, lassen sie sich manuell durch einen speziellen Verriegelungshebel in fünf unterschiedliche Positionen öffnen oder schließen. Sorgfältig wurde die Metallfassade ausgeführt, die nach drei unterschiedlichen Mustervorlagen mittels Wasserstrahl eine Rundlochung erhielt: 4 mm Lochdurchmesser bei 8 mm Mindestabstand, was einen Fc-Wert von <= 0,3 sicherstellte. Die auf den ersten Blick hermetisch wirkenden Metallfassaden mit einem Lochanteil von max. 12,6 % erweisen sich als sehr durchlässige Vorhänge, die selbst im geschlossenen Zustand viel Ausblick erlauben und mit ihrem Schattenfall natürlichem Blattwerk ähneln. Ihr leicht changierendes Eloxal und ihre unterschiedlich kombinierten Muster verschaffen den Fassaden eine abwechslungsreiche Textur. In der mittleren Häuserzone des Hofes kam Blauregen auf Rankseilen zum Einsatz, der die starken Vor- und Rücksprünge der terrassierten Maisonette-Häuser überlagern und mildern wird, was im hinteren Teil als Bühne des weiten Hofparks bewusst vermieden wurde. Sympathisch, dynamisch und veränderbar ist das Bild des neuen Stadtraums, an den sich in den Eingangsbereichen der Häuser unterschiedlich farbige Raumfassungen und Kunst-Vitrinen anschließen, die Individualität in Gemeinschaft ausdrücken – was will man mehr? 

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