Statische Reserven aufgebraucht: Friedrichswerdersche Kirche, Berlin

Er ist möglicherweise das unumstrittene Idol aller Architekten: der Universalbaumeister Karl Friedrich Schinkel. Und vielleicht genau aus diesem Grunde wird für sein Werk weniger heiß und mit Leidenschaft gekämpft, als für das von Ludwig Mies van der Rohe, Le Corbusier oder Aldo Rossi. Denn der 1841 in Berlin verstorbene Architekt, Städteplaner, Maler, Grafiker und Bühnenbildner, Autor und Gründer einer Schule, die bis heute Architekten grundsätzlich in ihrer Arbeit beeinflusst, steht irgendwie dem Alltäglichen entrückt auf einem Sockel. Der ihn bisher zu schützen schien gegen eben das Alltägliche.

„Schien“, denn offenbar schützt die Sockel-späre nicht wirklich. Denn nur wenige Meter Luftlinie vom Schinkelplatz entfernt, auf dem der Baumeister mit dem Gesicht zu seinem Hauptwerk, dem Alten Museum, steht, wird hinter seinem Rücken gerade ein Bauskandal abgenickt, der seinen einzigen, komplett erhalten Sakralbau betrifft: die Friedrichswerdersche Kirche. 1826 – 30 auf damals schon engem Grundstück errichtet, hatte der Kirchenbau bis zum Ende des Weltkrieges 1939 – 45 zwei Gemeinden als Gotteshaus gedient. Schwer beschädigt wurde der bereits von Friedrich August Stüler leicht veränderte Kirchenbau restauriert und diente bis 2012 als Ausstellungshaus. Ab dort musste das wunderbare, neogotische Haus geschlossen werden. Risse im Gewölbe, zahlreiche Putzabplatzungen und weitere Hinweise auf Bewegungen im Baugrund und der Konstruktion zwangen die Hausherrin, die Evangelische Landeskirche, zu diesem Schritt.

Im Schatten der Luxuswohnobjekte

Messungen ergaben schließlich, dass durch die Arbeiten an der zweigeschossigen Tiefgarage nur knappe 4 m westlich, sich der Sakralbau zur Tiefgarage geneigt hat. Die ist Teil eines vom Berliner Senat verabschiedeten Bebauungsplans, der die dicht an das Denkmal grenzende und bis zu sechs Geschosse hohe Wohnbebauung erlaubt. Allerdings mit einer kleinen Einschränkung: Etwa in der Mitte der Ostflanke der Neubebauung mit Luxuswohnungen (10 bis 20 000 €/m²) sind maximal 2 Geschosse erlaubt. Was im Sommer noch gutes Tageslicht in den Ausstellungsraum bringt, in den anderen Jahreszeiten wird es bei niedrigerem Sonnenstand knapp. Wäre der Kunsttempel geöffnet, dann könnte man jetzt wohl feststellen, was Hermann Parzinger, Präsident der Berliner Stiftung Preußischer Kulturbesitz, jüngst schon befürchtete: Durch die Neubauten würden sich die Lichtverhältnisse in dem ideal für Skulpturenausstellungen geeigneten Bau erheblich verschlechtern. Aber das Ausstellungshaus ist ja geschlossen.

Tatsächlich war die Kirche bis 1945 von dicht anliegender und nicht wesentlich niedrigerer Bebauung umgeben. Allerdings wurde sie in den Folgejahren abgerissen, die Schinkel-Kirche stand als Solitärbau, als architektonisches Kleinod und selbst Ausstellungsstück unvermittelt im sich nach der Wiedervereinigung rasend schnell verändernden Stadtraum. Allein ihr im Osten gegenüber, an der Bauakademie, ist bis heute Stillstand – sieht man von einem weiteren Luxuswohnbauprojekt ab, das sich aktuell zwischen die beiden Schinkelbauten schiebt.

Humboldt-Forum saugt alles auf

Zerstört, wiederaufgebaut und abgerissen, schließlich mit dem DDR-Außenministerium überbaut und wieder von ihm befreit, steht seit bald Jahrzehnten auf diesem wertvollen Platz der Schlossreplik gegenüber die Bau-akademie. Steht als ein langsam verrottendes Fassadenplanenmonster, das eine Vorstellung vom Volumen des Verlorenen gibt und auch eine davon, wieviel Geschichte und ihre Kultur der Hauptstadt wert ist. Immerhin wurden vom Bundestag 60 Mio. € bereit gestellt für ihre Wiedererichtung, für deren Nutzung es einen Worksphop mit Platzierungen gab. Aber so richtig Lust zum Durchstarten scheint niemand zu haben an diesem Ort einer demnächst eröffneten Kulturmaschine Humboldt-Forum gegenüber, die in der Lage ist, alles institutionelle Bemühen um Bildungskultur aufzusaugen.

Zum inszenierten Hingucker degradiert

Dem Denkmal Kirche droht die überschnelle Alterung. Während andere Bauten vergleichbarer Qualität und Bedeutung geschützt werden, nehmen es Stadt und Landeskirche hin, dass die Erstellung von Luxuswohnungen durch private Investoren ein öffentlich zugängliches und der Stadtkultur dienendes Denkmal schwer beschädigt. Und zwar, weil sich die „Bauwert“ – realisierte die „Kronprinzengärten“ westlich der Kirche – und die „Frankonia“ – realisiert das U-förmige Wohnhaus in drei Architekturdesigns (Rafael Moneo, Axel Schultes und Hemprich Tophof) – schnell bereit erklärt hatten, für etwaige Schäden und deren Reparaturen aufzukommen. Dass ihr Graben im Berliner Sand ein Denkmal dauerhaft aus dem Gleichgewicht gebracht hat (Kirchenoberbaurat Matthias Hoffmann-Tauschwitz „Die statischen Reserven der Kirche sind aufgebraucht“) wird aller Voraussicht nach auch dem anderen Schinkel-Bau nicht gut tun: Sollte die Akademie dereinst wiederaufgebaut werden, ist deren Unterkellerung ausgeschlossen. Zu fragil steht die Schinkelkirche, zwar repariert aber im Innersten beschädigt, eingekeilt zwischen Anlageobjekten für Wohlhabende und auf der Website des Investors zum inszenierten Hingucker degradiert. Dass potentielle Wohnungskäufer in ihrer Tiefgarage nicht nur Platz für das eigene, „sondern auch für drei oder vier Fahrzeuge seiner Gäste“ haben, wie eine Kollegin vor Baubeginn euphorisch schrieb, ärgert, gehörte aber damals sicher zum Angebotsstandard. Dass zwischen Kirche und Moneo-Neubau die „Niederlagstraße“ verläuft, erscheint mit Blick auf das Ringen um die Wahrung des Schinkelerbes als ein Menetekel. Be. K.

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