Sichtbeton
Aufwand und Kosten

Vor dem Hintergrund der Weiterentwicklung des Baugeschehens und der sich ständig ändernden Regelwerke müssen Architekten und Bauingenieure sowie die ausführenden Bauunternehmen auch im Hinblick auf Sichtbetonbauwerke projektspezifisch stets neue
Herausforderungen bewältigen. Dabei sollten Architekten gerade beim Thema Sichtbeton sensibel auf die Gedanken und Anregungen der Bauingenieure – insbesondere der Schalungsspezialisten – achten und diese umgekehrt alle Möglichkeiten der Verständigung ausnutzen. Denn den Generalisten fehlt es häufig an Kenntnissen von Methoden der Herstellung sowie dem daraus folgenden Aufwand und den Kosten.

Regelwerke / Verantwortlichkeit

Die Leistungsbeschreibung regelt die zu erbringende Leistung. Verantwortlich aufzustellen hat diese der mit der Leistungsphase 6 der HOAI beauftragte Planer – hierbei müssen die Grundsätze des §7 VOB/A beachtet werden: Die Leistung ist eindeutig und so erschöpfend zu beschreiben, dass dem Auftragnehmer kein ungewöhnliches Wagnis aufgebürdet wird. Insbesondere sind die in der DIN 18299 ff. (VOB/C) aufgeführten Regeln für Ausschreibung, Ausführung und Abrechnung zu beachten. Ergänzend hierzu gibt es weitere Normen wie die DIN 18217 sowie Regelwerke, welche die Zusammenarbeit zwischen den am Bau Beteiligten vereinfachen sollen – beispielsweise das DBV-Merkblatt Sichtbeton.

Hier finden sich sichtbetonspezifische Hilfestellungen für Bauwerke mit geometrisch klaren Formen. Sofern dieses Regelwerk vertraglich vereinbart wird, gelten die darin aufgeführten Regelungen. Darüber hin­aus gibt es noch viele weitere Regelwerke, z. B. die österreichische Sichtbeton-Richtlinie ÖNORM B2211 oder das GSV-Merkblatt Sichtbeton.

Konfliktpotential

Da die genauen Anforderungen an die Sichtbetonbauwerke vom Planer bereits in der Leistungsphase 6 (Ausschreibung) abschließend festgelegt werden, sind Konflikte wegen der Komplexität des Themas Sichtbeton und der damit verbundenen erforderlichen Detailtiefe des Leistungsverzeichnisses erfahrungsgemäß nicht auszuschließen. Beim DBV-Merkblatt beispielsweise müssen sich die am Bau Beteiligten mit über 50 eng bedruckten Seiten auseinandersetzen und die darin genannten spezifischen Randbedingungen für Sichtbeton hinsichtlich der Klassifizierung in SB1-SB4 treffen. Dies überfordert in der frühen Leistungsphase der Ausschreibung oftmals die Kapazitäten sowohl der Ausschreibenden als auch der Anbietenden.

Herstellungsmethode / Projektablauf

Die Architektenpläne werden vom Schalungslieferanten in digitaler Form in deren CAD-Systeme transformiert und und so die Schalung computergestützt geplant. Primär werden somit Aufwand und Kosten durch die Entwurfs- und Ausführungsplanung der Architekten und in der Folge durch die Ausführungsplanung der Fachingenieure bestimmt. Die Schalungsspezialisten kommen erst jetzt hinzu und werfen konkrete Fragen hinsichtlich der Ausführung und Optik auf. Meistens gibt es hier erste Konflikte in Form von für den Architekten überraschenden Nachträgen bzw. von Bedenkenanmeldun­gen. Deshalb sollten die an der Herstellung des Sichtbetonbauwerks Beteiligten frühzeitig miteinander kommunizieren und gemeinsame Lösungen entwickeln.

Schalungsarbeiten haben bei Stahlbetonbauwerken eine besondere Stellung, da sie nicht nur wegen ihrer formgebenden Eigenschaften am wichtigsten sind, sondern den größten Kostenblock, gefolgt von den Bewehrungs- und Betonarbeiten, darstellen. Abbildung 3 spiegelt die entsprechende prozentuale Kostengliederung wider. Beachtenswert ist, dass der Lohnanteil der Schalungsarbeiten im Mittel ca. 56 % der Lohn­kosten des gesamten Stahlbetonbauwerks beträgt und somit hier die größten Ressourcen gebunden werden.

Im Vergleich hierzu zeigen die nachgeschalteten Tabellen die Kostengliederung bei Sichtbetonbauwerken der Klassen SB1-SB4 für Bauten mit geometrisch klaren Formen: Man erkennt, dass der Aufwand für die Schalung gegenüber den anderen Kostenkategorien mit steigenden Anforderungen an die Betonoberflächen zunimmt, da die Herstellung der Schalhaut einen deutlich größeren Aufwand erfordert, die Materialkosten höher sind und der Schutz sowie die Nacharbeiten des ausgeschalten Sichtbetons mehr Aufwand verursachen.

Preisfindungsprozesse/Schalungskosten

Preisfindungsprozesse im täglichen Baugeschehen richten sich in zunehmendem Maße nach der „Pi-mal-Daumen“-Methode. Erfahrene Kalkulatoren sind im täglichen Baugeschehen Mangelware bzw. sie bedienen den Markt mit den verlangten Preisen, um überhaupt an Aufträge zu kommen.

In Folge dessen können viele Unternehmen bei Baustörungen und Unstimmigkeiten oftmals keine Urkalkulationen offenlegen, aus denen sich die Berechtigung bzw. die Höhe der Nachträge ermitteln lässt. Dies ist auch einer der Gründe, warum so viele Bauprojekte – ins­besondere mit Sonderschalungen – die Gerichte beschäftigen. Streitereien erzürnen sich häufig am optischen Ergebnis der Sichtbetonflächen sowie in der Abrechnung von Nachträgen.

Am Beispiel einer besonders gestalteten Doppelstützenkonstruktion in SB4 eines ­Brückenbauwerks mit Krümmungen und plastischen Ausformungen sollen gegenüber einer einfachen rechteckigen Stützenform die Aufwands- und Kostenunterschiede herausgestellt werden. Die Tabelle (Seite 66) zeigt die Kosten, welche nach Abschluss der Baumaßnahme nachkalkuliert wurden.

Die drei Doppelstützenkonstruktionen wurden so geplant und ausgeführt, dass die Stützen einzeln in sechs Abschnitten betoniert und anschließend mit den Auflagerbalken im zweiten Arbeitsgang verbunden wurden. Bei dem ausgeführten 6-maligen Einsatz der Schalungsform ergibt sich demnach ein Schalungsaufwand von 3,15 h/m².

Wären die nebeneinander stehenden Stützen gemeinsam ausgeführt worden, hätte sich ein nur 3-facher Einsatz ergeben mit einem Schalungsaufwand von 4,90 h/m². Rechteckige Stützenkonstruktionen in der statisch erforderlichen Größe hätten dagegen nur einen Schalungsaufwand von max. 1,20 h/m² verursacht.

Dieser Wert und weitere Ansatzwerte für alle Schalverfahren finden sich im Standardwerk „Hoffmann, Motzko, Corsten: Aufwand und Kosten zeitgemäßer Schalverfahren“.

Die Materialkosten der plastischen Ausformung und Krümmung betrugen allein ca. 180 €/m², d.h. bei 6 Einsätzen = 30 €/m². Hinzu kommt der Abschreibungsanteil der Umfassungselemente, ähnlich wie die bei einer rechteckigen Form in Höhe von rund 10  €/m². Somit ermittelt sich der Kalkulations­ansatz für diese Sonderschalungsform mit 3,15 h/m² x 39,00 €/h + 30 €/m² + 10 €/m² = 162,85 €/m². Gegenüber einer Rechteckform mit 1,20 h/m² x 39,00 €/h + 10 €/m² = 56,80 €/m² sind dies 106,05 €/m² an Mehrkosten. Diese Sonderschalungsform hat somit annähernd den 3-fachen Kalkulationsansatz einer Normalform.

Dieses Beispiel zeigt, dass der Aufwand für eine architektonische Sonderlösung mit erheblichen Mehrkosten im Schalungsbereich einher geht, wobei die Kostenunterschiede für Bewehrung und Beton weitgehend gleich bleiben.

Aufwand

Insgesamt gesehen beeinflussen folgende Bedingungen den Aufwand und somit die Kosten von Sichtbetonbauwerken:

– Art und Dimensionen der Schalung (Rahmen-, Trag- oder Freiformschalungen)

– Einsatzhäufigkeit der Schalung

– Gewünschte Oberfläche samt aller Randbedingungen wie Textur, Porigkeit, Farbtongleichmäßigkeit, Ebenheit, Arbeits- und Schalhautfugen sowie Schalhautklassen (DBV Merkblatt Sichtbeton, SB1-SB4)

– Betongüte (Standardbetone oder selbstverdichtende Betone (SVB))

– Höhe der Betonierabschnitte (Begrenzung auf Standardmaße oder Überschreitung)

– Einbauteile wie z. B. Durchbrüche, Entlüftungsrohre und Installationen

– Gewünschte Optik der sichtbar verbleibenden konstruktiven Bauteile (Anker, Fugen)

– Dichte der Bewehrung (Je dichter die Bewehrung, desto zeitaufwändiger der Einbau)

Abbildung 5 zeigt den exponentiell zuneh­men­den Aufwand zum Verlegen von Bewehrungseisen bei steigender Bewehrungsdichte. Je mehr Stahl einzubauen ist, desto aufwändiger ist es, diesen gemäß den statischen Erfordernissen zu fixieren. Bei einer Dichte von 50 kg bis 150 kg Bewehrungseisen je Kubikmeter Beton ist im Mittel ein Stundenaufwand zwischen 10 und 13 Stunden pro Tonne Bewehrungseisen erforderlich, bevor der Verlegeaufwand exponentiell ansteigt. Meistens liegen die Bewehrungspläne zum Zeitpunkt der Ausschreibung noch nicht vor, so dass regelmäßig Konflikte im Hinblick auf den tatsächlichen Einbauaufwand der Bewehrung auftreten. Wenn nun eine sehr dichte Bewehrung auf Sichtbetonanforderungen trifft, sind Probleme mit der Verdichtung und der entsprechenden Betonentlüftung zu erwarten, weil meistens sogenannte „Rüttelgassen“ statisch-konstruktiv nicht eingeplant wurden. Auch der normative Bewehrungsabstand zur Schalung gerät in Gefahr.

Zusammenfassung

Planer sollten sich aufgrund der geschilderten Vielzahl der Randbedingungen bei der Sichtbetonherstellung dringend an das DBV-Merkblatt Sichtbeton halten, da dieses von den Gerichten zunehmend als allgemein anerkannte Regeln der Technik akzeptiert wird. Es werden die wesentlichen Merkmale der Sichtbetonoberflächen abgehandelt.

Idealerweise werden in den Entwurfsplanungen bzw. in den Frühphasen der Ausführungsplanungen bereits Schalungsspezialisten herangezogen – dies ist aber leider wegen der damit zusammenhängenden Planungsmehrkosten noch unüblich.

Von den Architekten als Generalisten muss daher erwartet werden, dass sie sich insbesondere bei fehlendem Spezialwissen und vor allem bei Sonderformen den Rat der Schalungsfachleute zur rechten Zeit einholen. Nur mittels einer interdisziplinären Herangehensweise, die insbesondere auch die Statiker frühzeitig einbindet, können ansprechende Sichtbetonbauwerke mit den zur Verfügung stehenden Ressourcen in einem angemessenen Aufwands- und Kostenrahmen geschaffen werden.

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