Schlichte Schönheit
Rathaus in Brackenheim

Mit seiner geschlämmten Fassade fügt sich das neue Rathaus wie selbstverständlich in die Altstadt von Brackenheim. Hinter der Schlämme steckt ein einfacher Ziegel, den die Stuttgarter Architekten Lederer + ­Ragnarsdóttir + Oei mit einem Mörtel veredelten und ihm so ungeahnte Strukturen entlocken.

Brackenheim ist ein beschauliches Städtchen nahe Heilbronn. Enge Gassen, Fachwerkhäuser und das denkmalgeschützte Alte Rathaus prägen die Altstadt. Die Menschen sind fleißig, bescheiden, heimatverbunden. Das neue Rathaus, das den barocken Altbau ergänzt, sollte vor allem Normalität ausstrahlen. „Wir wollten kein lautes Gebäude, sondern eines, das sich wie selbstverständlich einfügt“, sagt Architekt Arno Lederer.

Schräg gegenüber dem Marktplatz, wo früher Autos parkten, ergänzt nun ein dreigeschossiges Langhaus mit den neuen Büros die giebelständige Bebauung. Alt- und Neubau stehen sich vis-á-vis gegenüber: hier die prachtvoll verzierte Barockfassade, dort ein auf seine Grundform reduziertes Haus – ohne Erker und Dachüberstände, mit geschlämmten Außenmauern und 45 ° geneigtem Satteldach. Ein verglaster Zwischenbau verbindet beide Häuser. Er weicht gegen-über der Straße zurück, so dass ein intimer Vorplatz entsteht. Ein Granitboden fasst beide Plätze zusammen.

Der Neubau bündelt die bisher in der Stadt verteilten Ämter. Bürgerbüro und Sitzungssaal sind im Verbindungsbau untergebracht, die Büros im Langhaus. Das neue Rathaus zeigt sich bürgernah und offen: Im Bürgerbüro werden die Besucher an frei im Raum platzierten Besprechungstresen empfangen. Ein Geschoss höher können sie die Debatten im Sitzungssaal mitverfolgen: auf eleganten, in die Wandnischen eingepassten Eichenbänken. Den beidseitig verglasten Saal überspannen zwei filigrane Schmetterlingsdächer, die von Schwertern aus Fichtenholz getragen werden. Eine Dachlaterne filtert Licht in den Raum und dient zum Querlüften. Die Deckenverkleidung aus Furnierschichtholz ist weiß lasiert, so dass Astlöcher und Jahresringe durchscheinen.

Ein zum Vorplatz verglaster Gang verbindet altes und neues Rathaus und eröffnet den Blick auf Fachwerkgiebel. Die Büros im Langhaus sind funktional gestaltet: Trockenbauwände, Industrieparkett, Fenster- und Türrahmen aus Eiche. Zwischen Neubau und benachbartem Pfarrhaus führt nur ein enger Durchgang in den Hinterhof, was die Belichtung erschwerte. Die Architekten halfen sich mit einem Trick: Ein gezacktes Fensterband holt Licht in die Büroräume und erweitert den Raum über die Gasse hinaus. Zugleich bekommt jedes Büro einen kleinen Erker mit Blick nach Nord- und Südosten. „Die Räume wirken optisch größer, nicht wie Zellen“, sagt Arno Lederer.

Für das zweischalige Mauerwerk verwendeten Lederer Ragnarsdóttir Oei einen Standard-Ziegel als Vormauerschale, den sie mit Schlämmmörtel veredelten. Der ockerfarbene Mörtel greift den Sandsteinton von Fachwerk­häusern, Kirchturm und Rathaus auf. Nur ab und an schimmern die zarten Lachsrosa- und Gelbtöne des Ziegels durch.

Um diesen Effekt zu erreichen, wurde der Mörtel fett auf die Fugen gestrichen. Dann rieb man die überquellenden Mörtelreste mit einem angefeuchteten Schwammbrett über den Stein, modellierte die Oberfläche mit einem Spachtel und legte die Steinkanten frei. So entstand eine lebendige Struktur, die wegen der geschlämmten Flächen homogener wirkt als eine herkömmliche Ziegelwand. Gleichzeitig bleibt das handliche Maß der Steine ablesbar.

Neben der Schlämme schmücken nur wenige Details die Fassade: Fensterfassun­gen aus Sichtbeton, schlanke Staketenge­länder, weiß abgesetzte Traufen. Vorm Treppenhaus sind in regelmäßigem Abstand zwei Ziegelreihen ausgespart, so dass Licht hineinfällt.

Auf einen Sockel verzichteten die Architekten. „Das Haus wächst aus dem Boden“, sagt Arno Lederer – wie die Fachwerkhäuser der Altstadt.

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