Pionierarbeit
Haus 36, Stuttgart

Das Architekturbüro MBA/S Matthias Bauer Associates hat 2014 in Stuttgart ein Einfamilienhaus aus Dämm-beton fertig gestellt, das die Alltagstauglichkeit des Materials nachweist. 

Matthias Bauer wollte ein Gebäude aus Dämmbeton bauen, die gesamte Hülle sollte aus diesem Material bestehen – das Dach eingeschlossen. Ein Grundstück in prominenter Hanglage in Stuttgart war gefunden. Doch bis zu diesem Zeitpunkt kannte man den Werkstoff allenfalls aus der Schweiz, Referenzen gab es in Deutschland kaum. Allein deshalb dauerte die Planung des Einfamilienhauses
eineinhalb Jahre. „Es gab bis dahin wenig Standard in Deutschland“, bestätigt Matthias Schuler, Geschäftsführer bei Transsolar. Die Energietechniker aus Stutt­gart berieten Matthias Bauer während der Planungs- und Bauphase. Als Alternative prüften die Planer Varianten mit massivem Holz. „Das wäre jedoch unwirt­schaftlich gewesen – ein unverhältnismäßiger Kraftakt“, sagt Architekt Bauer. „Der Dämmbeton hat auch statische Vorteile gegenüber Holz.“ Auch der Bauherr war von den bauphysikalischen und ästhetischen Qualitäten des Materials überzeugt. Es bietet eine Wärmeleitfähigkeit von 0,22 W/mK und ermöglicht eine monolithische Bauweise. Mit einer Rohdichte von 930 kg/m³ ist das Material leicht und dennoch statisch so ausgelegt, dass die Hülle zu 50 % verglast sein kann. Günstig ist es allerdings noch nicht. Gerade deshalb ist das Wohnhaus in Stuttgart wegweisend für das Bauen mit Dämmbeton. Es zeigt einen konstruktiven Gegenentwurf: „Dämmbeton ist eine der wenigen Alternativen zu den konventionellen Baustoffen mit geschichteten Aufbauten und WDVS“, sagt Architekt Bauer.

Bauphysikalische Leistung

Am Hang gelegen, war die Baustelle logistisch eine Herausforderung. So waren ein 50 m auskragender Kran und ein genauer Zeitplan notwendig, um die Abläufe vor Ort zu koordinieren. Denn der Ortbeton musste planmäßig in die Schalung eingebracht werden, um einen fugenlosen Sichtbeton zu erstellen. „Das Material hat im flüssigen Zustand ein anderes Verhalten als ‚normaler‘ Beton. Watteartig. Es fließt deshalb auch anders in die Schalung“, erläutert Matthias Bauer.

Trotzdem gibt es keine konstruktiven Fugen. Das Gebäude ist ein Monolith aus Dämmbeton ausschließlich mit Betonierabschnittsfugen. Einen U-Wert von 0,41 bis 0,45 W/m²K erzielt das Material durch den Zuschlagsstoff Glasschaumschotter und einer Zementmatrix mit einem Luftporenanteil von 20 %. „Man denkt, Beton sei kalt. Dieses Material ist warm, weil es einen hohen Luftporenanteil hat“, sagt Architekt Bauer. So sorgt der diffusionsoffene Baustoff mit einer Wandstärke von 45 cm und einem 50 cm dicken Dach zum einen für ein angenehmes Raumklima, zum anderen wird Wärme gespeichert und abgegeben. Des Weiteren bedienen sich die Planer der Massivität der Wände, um den Innenraum frei von Haustechnik zu halten. „Wir nutzen die Möglichkeit des Massivbaus, um die Technik in die Wände zu integrieren“, erklärt Architekt Bauer.

Tragwerk und Dämmung vereint

In den Hang geschoben, hat das Wohnhaus lediglich ein Vollgeschoss, ein Unter- und Dachgeschoss. Dabei bildet das Dach Grat und Kehle durch triangulierte Dachflächen. Lediglich zwei Wände nehmen die Druck- und Zugkräfte des frei schwebenden, gefalteten Daches auf. Dafür war ein konstruktiver Leichtbeton mit der Druckfestigkeitsklasse LC 8/9 und zweilagiger Mattenbewehrung notwendig. Das hieß für Architekt Bauer, Tragwerksplaner Mathias Kutterer und Betoningenieur Danko Baschura, Tragwerk und Dämmung in einer Schicht zu vereinen. Drei bis vier Monate entwickelten sie im Betonwerk in Stuttgart verschiedene Rezepturen mit unter-
schiedlichen Zementen, Zuschlagsstoffen und Varianten, den Beton einzubringen und für die Umsetzung. Mit H36 bot sich für Architekt und Betoningenieur die Gelegenheit, ihre Erkenntnisse in einem gemeinsamen Projekt zu verwirklichen. Baschura erinnert sich: „Die Zusammenarbeit war sehr gut, die speziellen Anforderungen eine Herausforderung.“ Doch lange Gespräche, Vertrauen und die Suche nach dem Optimum vereinten die Beteiligten. Ein weiteres Argument für das Material: Es schließt den Wertstoffkreislauf. Es ist weitgehend sortenrein, kann zerschreddert werden und als Fundament oder Dränschicht im Straßenbau wiederverwendet werden.

Alltagstauglich

Mittels 3-fach-Verglasungen teilweise mit Kryptonfüllung sowie U-Werten von 0,45 W/m²K für Dach und 0,52 W/m²K für Wand, erfüllt das Gebäude die EnEV 2009. Das Gebäude wird über Geothermie beheizt und gekühlt. Wobei das Dach bauteilaktiviert, außen als zusätzlicher Wärmespeicher oder -puffer dient und innen durch eine Rohrschlange als Wandheizkörper oder Wärmesenke.

Des Weiteren optimierten die Planer die Wärmeleitfähigkeit des Dämmbetons, indem sie die Füllstoffe im Zement um ca. 15 – 20 % erhöhten. Damit erreichten sie eine Verbesserung der Wärmeleitfähigkeit des Dämmbetons um 10 % auf 0,22 – 0,25 W/mK.

Im Team haben die Planer die konstruktiven und bauphysikalischen Grenzen des Baustoffs getestet und mit dem Haus 36 weitere Überlegungen angestoßen, wie das Material in Zukunft zu nutzen ist. Daher rührt dann auch der Stolz aller Beteiligten auf das Gebäude. „Es ist ein Prototyp, der die Alltagstauglichkeit des Produkts nachweist“, sagt Matthias Schuler. Und Matthias Bauer ergänzt: „Das Projekt klärt viele Punkte ab, die mit dem Material möglich sind.“ S.C.

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