„Ob Cradle to Cradle am Ende die Welt retten kann? Ich weiß es nicht.“

Die DBZ im Gespräch mit Dr. Peter Mösle Partner bei Drees & Sommer und Geschäftsführer der EPEA GmbH

Michael Braungart ist ein äußerst umtriebiger Mann. In den 1980er-Jahren noch Schlotbesetzer und als Greenpeace-Aktivist schwimmend gegen Dünnsäureverklappung im Meer unterwegs, ist der Mann, promovierter Chemiker und Professor für den Cradle to Cradle-Studiengang an der Erasmus-Universität in Rotterdam sowie Professor für Ecodesign an der Leuphana Universität in Lüneburg. Neben allem Engagement für Greenpeace damals gründete er 1987 die Environmental Protection Encouragement Agency EPEA in Hamburg. Mit dieser arbeiten Braungart und sein Team bis heute und mit mehr als 11000 Cradle to Cradle-Produkten an der Weiterentwicklung und Implementierung des von ihm und William Andrews McDonough, Architekt und Designer, entwickelten „Cradle to Cradle“-Prinzips: Kreislaufwirtschaft als (politisches und ganz reales) Gegenmodell zur (Über)Produktionswirtschaft.

Anfang 2019 dann kam eine Meldung, die viele überraschte: Drees & Sommer (Dreso), ein führendes Planungs- und Beratungsbüros in Deutschland und europaweit, übernimmt einen Teil der EPEA Internationale Umweltforschung GmbH.

Mit Braungarts Vision, 2050 werde „alles Cradle to Cradle sein“ und einem in ähnlicher Sache geführten Gespräch mit Dreso, ergab sich die Gelegenheit, mit einem der Partner bei Drees & Sommer und dem Geschäftsführer der EPEA, Dr. Peter Mösle, ein Telefonat zu führen. Um nachzufragen, was sich Drees & Sommer vom Zukauf und der Etablierung der Cradle to Cradle Designprinzipien verspricht.

Drees & Sommer, lieber Peter Mösle, ist ein großes, stark vernetztes Planungs- und Beratungsbüro, in Deutschland und weltweit. Sie haben sich jetzt mit dem Teilzukauf von EPEA das Cradle to Cradle sehr sichtbar auf die Fahnen geschrieben. Können Sie kurz die Geschichte erläutern, wie es dazu kam? Warum hat Dreso dieses Thema so progressiv aufgenommen?

Peter Mösle: Ich habe Prof. Michael Braungart 2011 oder 2012 auf einer Veranstaltung gehört und war begeistert. Dann haben wir uns getroffen und 2013 habe ich meinen Partnerkollegen bei Drees & Sommer gesagt, dass wir mit dem Thema etwas machen müssen. Also haben wir Michael Braungart zu unserem Partnermeeting eingeladen und nach seinem dreistündigen Vortrag waren alle begeistert und wir waren uns gewiss, dass das das nächste große Ding ist. Ab 2014 haben wir mit ihm zusammengearbeitet. Damals noch nur für die Immobilienwirtschaft. Wir hatten ein kleines Cradle to Cradle-Expertenteam bei mir eingerichtet und damit dann ein paar Projekte begleitet, für BMW beispielsweise. Wir haben das RAG-Gebäude umgesetzt, den Neubau in Essen auf Zollverein. So hat sich das entwickelt. Dann kam Michael Braungart und hat uns Unternehmensanteile von seiner EPEA angeboten. Was natürlich sehr ehrenvoll war, Michael Braungart und die EPEA machen ja nicht nur Gebäude wie Sie wissen. Cradle to Cradle ist ein wesentliches Innovationskonzept für alle Arten von Industriegütern, also Textilien, Autoteile, Verpackungen oder Consumer-Produkte und so weiter.

Wir waren neben allem Geehrtsein auch nachdenklich. Können wir das, was hinter Cradle to Cradle steht auch leisten? Das hat natürlich noch mal ein ganz anderes Spektrum, ist sehr komplex. Aber es hat uns fasziniert, so dass wir dann auf Ende 2018 tatsächlich zusammengegangen sind. Drees & Sommer hat die mehrheitlichen Anteile von der EPEA erworben, so dass es jetzt zwei Gesellschafter bei der EPEA gibt. Seit dem 1. Januar 2019 ist das so, ich habe die Geschäftsführung inne. Womit EPEA als Partner für Drees & Sommer noch einmal einen größeren Stellenwert innerhalb der Gruppe gewonnen hat.

Größerer Stellenwert heißt? Ist EPEA Part of Drees & Sommer eine Abteilung, die direkt dem Vorstand berichtet?

Ja, man kann es Abteilung nennen. Wir haben mit Michael Braungart aber noch einen externen Gesellschafter, also ist die Abteilung eher eine eigene Gesellschaft innerhalb der Drees & Sommer-Gruppe. Aber inhaltlich verlinken wir die EPEA mit verschiedenen anderen Bereichen und Kompetenzfeldern bei uns. Wir integrieren die Cradle to Cradle-Denke in unsere Planungswelten, sowohl digital als auch vom Mindset her. Wir diskutieren mit den Tragwerksplanern, mit den Gebäudetechnikern, mit den Fassadenplanern, was Cradle to Cradle für diese Gewerke bedeutet und bieten den sogenannten Gebäude-Materialausweis an. Das ist gleichsam unser Planungstool aus der Cradle to Cradle-Welt. Das, was bei der Immobilie der Energieausweis ist, ist der Materialausweis in der Cradle to Cradle-Welt. Dabei geht es um die Fragen, wie lassen sich Konstruktionen wieder trennen? Welche Gesundheitsklasse haben die Materialien? Lassen sie sich in die Kreisläufe zurückführen etc.? Wir sind mittlerweile sehr gut organisiert in den verschiedenen Branchen, wie der Textilbranche, Automotive, Life-Sciences etc. – und die integrieren wir gerade in die Cradle to Cradle-Thematik hinein, weil wir mit der Branchenarbeit viel näher am Produkt des Kunden sind und an den Produktionsstätten der Produkte. Von daher ist es jetzt spannend, dass wir mehr und mehr mit Unternehmen auf Unternehmensebene diskutieren. Wir fragen uns dabei: Was muss ein Unternehmen heute machen, um einen positiven CO2-Fußabdruck zu hinterlassen?! Wie müssen wir uns ausrichten? Wie muss ich als Unternehmen agieren, dass ich positiv für die Gesellschaft und für die Umwelt wirke? Das fängt gerade an, spannend zu werden, sowohl dieses Kernprinzip von Cradle to Cradle als Mindset in die Produktwelt zu bringen als auch in die Gebäude- und die Infrastrukturwelt, aber auch auf die Unternehmensebene.

Gerade fiel der Begriff „Life-Sciences“ … kann man dies mit Drees & Sommer zusammenbringen?

„Life-Sciences“ ist für uns die Pharmabranche. Wir haben uns vor 15 Jahren auch nach Branchen ausgerichtet, weil wir gesagt haben, jede Branche hat ihre eigene Sprache, ihren eigenen Markt und ihre eigenen Probleme und Herausforderungen. Insofern müssen wir wissen, wie unsere Kunden ticken und vor welchen Herausforderungen sie stehen. Da haben wir zum Beispiel für unsere Healthcare-Branche schon vor ein paar Jahren zwei Ärzte eingestellt. Um eben über den Facility-Manager hinaus direkten Kontakt zu Entscheidungsträgern auf der Geschäftsebene zu bekommen. Heute diskutieren wir mit der Geschäftsführung, weil wir in unserem Kernteam der Branche volle Branchenkompetenz haben. Mit den anderen Branchen geht das genauso, da haben wir beispielsweise eine Einheit, die Produktionsstraßen plant für die Automotive- und Industriebranchen. Das heißt, wir sind da deutlich näher am Produkt und den Herausforderungen unserer Kunden dran und können passende Leistungen anbieten. Neben dem ganzen Bauen und der Infrastruktur.

Zum Letzterem möchte ich jetzt gerne zurückkommen mit dem Fokus auf Cradle to Cradle. Verändert sich Drees & Sommer mit diesem Randthema – wenn ich auf das von Ihnen gerade gesagte schaue – insgesamt? Haben Sie das Gefühl, dass sich da gerade etwas bewegt?

Ich würde sagen ja, es bewegt sich viel. Wir haben in der Vergangenheit relativ viel gemacht, auch nach innen. Das war nicht ganz einfach in den ersten vier Jahren, weil Cradle to Cradle noch mit Themen verwachsen war, die den Markt noch nicht so richtig interessiert haben. Und wenn der Markt sich nicht dafür interessiert, dann wird es auch für einen Kollegen schwierig es anzuwenden, weil sein Kunde das gar nicht nachfragt. Das heißt, wir hatten die ersten vier Jahre Zeit, uns intern als auch extern mit dieser Thematik zu befassen, ohne hier sofort zu einer Umsetzung gezwungen zu sein. Dass wir die EPEA in die Unternehmensgruppe aufgenommen haben, hat uns positiv bewegt würde ich sagen, weil wir uns mit immer mehr Mitarbeitern aktiv damit beschäftigt haben. Und dann waren wir gut vorbereitet, als im letzten Jahr der sogenannte „Greta-Effekt“ kam mit „Fridays for Future“ und anderem. Nach der Expo Real in München – wir hatten dort einen Cradle to Cradle-inspirierten Messestand – schrieb die Immobilienzeitung, dass die Antwort auf „Fridays for Future“ Cradle to Cradle sei. Und das Thema kommt mit immer mehr Druck in die Diskussion, schauen Sie auf den „Green Deal“, der von Brüssel propagiert wird. Oder, beispielhaft, der Bund Deutscher Architekten BDA, der im letzten Jahr auf seinem zentralen BDA-Tag das Papier „Haus der Erde“ verabschiedet hat. Es hat sich tatsächlich einiges getan und wir haben viele tolle Projekte, wo auch die Bauherrn, Projektentwickler, Investoren, die Öffentliche Hand und auch die Architekten sagen, dass eine echte Kreislaufwirtschaft gerade für die Bauwirtschaft ein sehr guter methodischer Ansatz ist, mit dem man auch auf der Gebäudeebene agieren kann. Und wir wollen doch unsere Gebäude einfach besser, zukunftsfähiger machen.

Glauben Sie denn, dass das Cradle-to-Cradle-Konzept tatsächlich irgendwann einmal umgesetzt wird? Müssen wir nicht grundsätzlich anders handeln/denken und das schlimme Wort vom Konsumverzicht in die Diskussion aufnehmen, bei dem alle immer gleich zusammenzucken? Denn reicht es tatsächlich aus, Cradle to Cradle zu leben, um so weiterhin glücklich und sorgenfrei konsumieren zu können?

Natürlich ist Cradle to Cradle ein Idealsystem. Es beruht auf hundertprozentig erneuerbarer Energie, z. B. Sonnenenergie. Zurzeit – Sie haben es sicher auch in den Nachrichten gehört – wurden 52 % des Energiebedarfs des ersten Quartals in Deutschland durch die erneuerbaren Energien gedeckt. Das ist schon Wahnsinn und man sieht, es geht doch! Also: 100 % erneuerbare Energie und dann in Nährstoffkreisläufen statt in Abfallkreisläufen gedacht. Als Idealbild funktioniert das auf jeden Fall, aber es klappt auch schon ganz real für viele Produkte. Komplette Gebäude können wir noch nicht erstellen, aber wir sind schon relativ weit gekommen, wir haben schon einen deutlichen Schritt nach vorne gemacht. Entscheidend ist zudem, wer bestellt. Denn wenn es eine Bestellung gibt, dann bewegt sich auch die Industrie und sucht nach Lösungen. Wenn niemand bestellt, bewegt sich auch nichts, das ist wohl der entscheidende Punkt.

Reicht es denn, wenn wir das der Industrie überlassen oder brauchen wir da auch die Ordnungspolitik?

Nein, die Industrie allein reicht da nicht, wir brauchen die Benchmarks, die die Ordnungspolitik setzt. Und die werden kommen. Es gibt jetzt mit der von der EU lancierten Taxonomy for Sustainable Finance eine Art von Benchmark, mit der in sechs Kategorien erklärt wird, was eine nachhaltige Investition über alle Industriegüter – aber auch Gebäude – bedeutet. Stichworte hier sind Dekarbonisierung, Kreislauffähigkeit und Gesundheit. Da steckt also Cradle to Cradle zu 80 % drin. Das ist das eine. Die Ordnungspolitik wird auch im Rahmen eines Materialausweises kommen, das erscheint mir sicher. Dazu haben wir ein EU-Forschungsvorhaben in 2019 abgeschlossen, in welchem wir Gebäude als Rohstofflager betrachtet haben (BAMB: Buildings as Material Banks). Die Business-Chancen erkennen und mit der Ordnungspolitik zusammenzuführen, das wird der Weg sein. In den Niederlanden gibt es bereits Plattformlösungen wie Madaster, da baut man weltweit ein Materialkataster auf, über das ich erkennen kann, wo welche Materialien eingesetzt sind und welche davon wie verwertet werden können. Es wird also die Ordnungspolitik geben, es wird neue Geschäftsmodelle geben und es gibt schon die wachsende Erkenntnis, dass wir so nicht mehr weiterwirtschaften können. Also wenn wir nicht komplett auf die Verzichtsebene gehen müssen/wollen, dann brauchen wir andere Modelle, um Wachstum und Umweltzerstörung zu separieren. Und da bietet Cradle to Cradle eine ziemlich elegante Methodik. Ob sie am Ende die Welt retten kann, alleine, das weiß ich jetzt auch nicht. Und vor allem: Deutschland alleine schafft es natürlich auch nicht.

Das ist klar, das sollte uns aber nicht davon abhalten, hier Weltmarktführer zu werden …

Ja, vielleicht. Das Nachdenken über Cradle to Cradle ist zumindest ein sehr guter Ausgangspunkt, um neue und bessere Lösungen zu starten.

Zum Schluss: Können Sie mir ein Projekt nennen, von dem Sie sagen, da ist Cradle to Cradle ablesbar? Und wir alle sollten da mal hinschauen und sehen, wie man es gut macht?

Das Rathaus Venlo ist sicherlich ein perfektes Beispiel. Das ist 2016 fertig gestellt. Der RAG Neubau ist 2017 fertig gestellt und wir planen gerade „The Cradle“ in Düsseldorf.

Der Büroneubau „The Cradle“ von HPP wird in zwei Jahren am Medienhafen in Düsseldorf fertig. Können Sie das Innovative dieses Hybridbaus erläutern?

Ja. Beim „The Cradle“ haben wir relativ viel mit Holz gearbeitet. Das gibt es bei Venlo auch, aber noch nicht in der Konsequenz. Was wir jetzt bei „The Cradle“ haben, ist, dass wir tatsächlich noch mal strukturierter, noch mal methodischer das Thema Kreislauffähigkeit in die Planung aufgenommen haben. Das wurde so konsequent in Venlo noch nicht gemacht, dafür werden wir den Anteil an Erneuerbaren Energien in Düsseldorf nicht in dem Maße hinbekommen, leider. Das liegt am Standort, wir sind dort stark verschattet, dürfen nicht ans Grundwasser und so weiter.

Jetzt aber wirklich die letzte Frage – vielleicht auch der Zeit zurzeit geschuldet: Kann es sein, dass wir sowohl einem Generationenwechsel aber auch dieser besonderen Krisenzeit geschuldet, ganz anders auf zentrale Themen mit großer Reichweite schauen? Und wie sehen Sie das mit der Chance, von der jetzt so viele sprechen, dass die Krise auch eine positive Energie besitzt, die vieles, was festgefahren erscheint, nun in eine gute Richtung bewegt?

Ja, das kann sein, sollte auch so sein. Jetzt, wo wir und viele andere auch irgendwie noch mal ganz neu anfangen müssen, jetzt sollten wir es richtig machen. Ich fürchte aber auch, dass dann wieder – weil gar kein Geld mehr da ist – viele nur wieder aufs Budget schauen und sich zurückhalten. Aber wer weiß, wir alle sind hier gefordert.

Ja, wir alle! Herzlichen Dank Ihnen, bis die Tage und alles Gut!

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