Nakagin Capsule Tower

Totgesagte leben länger, diese Weisheit trifft auf den Nakagin Capsule Tower im Ginza-Stadtteil des Tokioter Stadtbezirks Chūō wie auf nur wenige Bauten dieser Welt zu. 1972 eröffnete der nach Plänen des Architekten Kisho Kurokawa gebaute Zimmerstapel an einem Ort, der längst noch nicht so teuer war, wie er heute geworden ist: Ginza gilt als das zweitteuerste Pflaster Tokios, der aktuelle Käufer der Immobilie und einiger Häuser darum herum hat Größeres vor. Größeres im Sinne von mehr Fläche, weniger Geschichte. 145 Betonboxen stapelte Kurokawa um zwei Erschließungskerne neun beziehungsweise elf Geschosse in die Höhe. Aus jeder der Einzimmerboxen blickt man durch ein großes, kreisrundes Fenster auf die umliegende Stadt. Die einzelnen Module sind über vier Befestigungpunkte an den Kern reversibel über Stahlbolzen angeheftet, das sollte den Turm an sich ändernde Nutzungsanforderungen, neue Technologien etc. anpassbar halten; allerdings wurde in den vergangenen 50 Jahre keines der Module erneuert. Auch wurden, obwohl so vorgesehen, keine zu größeren Einheiten verbunden. Bis heute bietet der Büro- und Hotelturm immer noch seine Einraumvolumen an. 20 davon werden bewohnt, 40 als Büroräume genutzt, der Rest steht leer; trotz Airbnb, das sich hier Kapazitäten aufgebaut hatte, die wegen Corona aber nicht zum Tragen kommen konnten.

Der Druck auf den Turm wächst und es ist absehbar, dass er, der länger schon mit einem dezenten Stahldrahtnetz eingehüllt ist, demnächst abgerissen wird. Womit zwar nicht die Kapsel-Idee Kurokawas zuende geht – der Architekt hatte noch zu Lebzeiten weitere Hotels mit Schlafeinheiten und erweiterten Modulen ausgestattet –, aber ein Unterkapitel der internationalen Architekturgeschichte abbricht. Denn der Zimmerturm, der in zahlreichen Science-Fiction-Filmen eine gute Figur machte, steht sinnbildlich für eine Architektengruppe um Kenzo Tange, die sich Metabolisten nannten und, in Anlehnung an den ­biologischen Stoffwechsel (Metabolismus), Stadtplanung und Architektur als sich ständig erneuernde, aktiv anpassende Systeme dachten. Totgesagte leben länger? Eine Anpassung der Wohn-/Büroeinheiten auf heutige (technische und sanitäre) Standards käme der Sanierung eines Denkmals gleich, der Ersatz der Module durch zeitgenössische wäre gleich teuer. Die schwierigen Vertragsverhältnisse in der Besitzergruppe haben bisher eine Sanierung verhindert, denn tatsächlich geht das nur mit allen oder keinem.

Führungen gibt es zur Zeit nicht, auch hier wirkt Corona. Ob der Nakagin Capsule Tower die Pandemie-Zeit überlebt? Totgesagte … siehe oben. Schön wäre es auf jeden Fall! Be. K.

www.iconichouses.org/icons-at-risk
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