Multifunktionale Sonnenschutzlösungen

Transparente Gebäudehüllen verlangen intelligente Sonnenschutzlösungen, um den zusätzlichen Wärmeeintrag über die Fassade oder eine blendfreie Tageslichtversorgung mit einem Verschattungsmanagement zu steuern. Vier Beispiele zeigen, dass multifunktionale Sonnenschutzsysteme, an die projektspezifischen Problemstellungen der Fassadensituation angepasst, Lösungen für jede Gebäudesituation bieten können.

Moderne Gebäude weisen heutzutage mehrheitlich transparente Gebäudehüllen wie Glasfassaden oder große Fensterflächen auf. Was seit den 1990er-Jahren als architektonisches Designelement eher der Standard als die Ausnahme ist, setzt die technische Gebäudeausrüstung seither unter Zugzwang. Denn diese Form der Gebäudehülle, so attraktiv sie auch sein mag, birgt energetisch und lichttechnisch hohe Anforderungen. Innenräume können sich infolge der durch die Sonneneinstrahlung entstehenden thermischen Last stark aufheizen. Eine weitere Herausforderung ist der Lichteinfall. Er sorgt häufig für komplexe, sich über den Tagesverlauf verändernde Lichtverhältnisse am Arbeitsplatz. Helfen können hier multifunktionale Sonnenschutzlösungen, die den ästhetischen Ansprüchen der Architekten und Bauherren genügen und das Gebäude architektonisch prägen und idealerweise sogar aufwerten. Ein solcher Sonnenschutz kann somit auch zum formgebenden Element werden.

Aus Sicht von Architekten und Planern erfreulich ist die nahezu unbegrenzte Vielfalt an Möglichkeiten moderner Sonnenschutzsysteme. Die Materialauswahl reicht von Aluminium, Cortenstahl, Edelstahl, Glas, Holz und Kunststoff bis hin zu Photovoltaik. Ähnliches gilt für die mechanische Umsetzung. Neben starrem Sonnenschutz kommt sonnenstandsabhängigen Systemen eine immer größere Bedeutung zu. Hier sind Hebe-, Klapp- und Schiebeläden, aber auch komplette Lamellensysteme zeitgemäß.

Damit einhergehend ist die technologische und architektonische Revolution in der Gebäudehülle in vollem Gange. Steigende Anforderungen im Bereich der Energieeinsparung legen ein erhöhtes Augenmerk auf die Konstruktion der Fassade. Moderne Sonnenschutzsysteme besitzen ein enormes Potenzial für den Klimaschutz und den sparsamen Umgang mit fossilen Brennstoffen. Weltweit verursacht die Nutzung von Gebäuden rund 40 % des gesamten Energieverbrauchs, wobei hiervon rund die Hälfte für das Heizen und Kühlen anfällt. Bei einer erwartbaren weiteren Erderwärmung wird sich das Verhältnis eher zu Ungunsten der Kühllast entwickeln. Planungen streben daher an, dass mittelfristig mithilfe der energetischen Verbesserung von Fenstern und Fassaden bis zu 80 % Energie eingespart werden soll. Eine entscheidende Rolle wird dabei dem Sonnenschutz zukommen. Manueller, vor allem aber automatisch gesteuerter Sonnenschutz spart dabei nicht nur Energie für Heizung und Klimaanlagen ein, sondern auch für künstliche Beleuchtung. Natürliches Licht bringt ergonomische, ökologische und ökonomische Vorteile. Menschen fühlen sich in natürlich ausgeleuchteten Räumen wohler. Hier gibt es zum Tageslicht keine gleichwertige Alternative. Moderner Sonnenschutz erfüllt demnach zwei zentrale Funktionen: eine energetische und eine ästhetische. Und noch eine weitere Dimension wird zukünftig eine immer größere Bedeutung erhalten. Aus dem bisher passiven wird mittels Solarthermie und Photovoltaik ein energetisch aktiver Sonnenschutz, um die Ökobilanz moderner Gebäude aufzuwerten.

Sonnen- und Witterungsschutz für das Bosch Kundenzentrum, Schwäbisch Gmünd

Wie ein solcher Sonnenschutz aufgebaut sein kann, verdeutlicht die Installation und Interpretation beim Neubau des Robert Bosch Automotive Steering GmbH Kundenzentrums in Schwäbisch Gmünd. Bei der Fassade entwickelten wulf architekten zusammen mit Colt International eine multifunktionale Sonnenschutzlösung, die sich automatisch an Wind und Wetter ausrichtet. Auch an der Fassade des Mitarbeiterparkhauses kamen Sonnenschutz-Systeme zum Einsatz. Hier fiel die Wahl auf ein System aus starren Metalllamellen. Das 2018 fertiggestellte Kundenzentrum besteht aus zwei sanft geschwungenen vier- bzw. sechsgeschossigen Gebäuden, die je nach Sonnenstand völlig unterschiedlichen Lichtsituationen ausgesetzt sind und die sich zum Teil gegenseitig verschatten. Die Klimatisierung der Gebäude, der Lichteinfall und der Blendschutz werden über die Sonnenschutzfassade gesteuert. wulf architekten entschieden sich für eine Sonnenschutz-Lösung aus vertikalen Shadometall-Lamellen mit der SolTronic-III-Steuerung, die anhand einer Vielzahl von Parametern eine flexible Aussteuerung des gesamten Sonnenschutzsystems erlaubt. 3 700 m² vertikale Aluminiumlamellen wurden beweglich montiert, weitere 1 100 m² sind starr befestigt.

Zum Einsatz kamen 1 910 Vertikallamellen aus Aluminium, jede zwischen 3,5 m und gut 4 m lang und jeweils knapp 70 cm breit. Der Kniff: Jede dieser Lamellen ist mehrmals um 90 ° hin und her abgeknickt, sodass sich eine mäandernde Form der Einzelelemente ergibt. Auf diese Weise entsteht ein Wechsel im Fassadenrhythmus, wenn die Lamellen ihre Position verändern. Bis zu sechs Metalllamellen sind miteinander gekoppelt und lassen sich um ihre vertikale Achse um 110 ° bewegen. Die Sonnenschutzlamellen sind gelocht und bestehen aus pulverbeschichteten bzw. eloxierten Aluminiumblechen. Ein zentraler Sensor erfasst in einem Bereich von 360 ° die Außenhelligkeit und regelt anhand eines eingestellten Grenzwertes die Nachführung der Lamellen unter Berücksichtigung des aktuellen Sonnenstands. So wird gewährleistet, dass so viel Tageslicht wie möglich in die Innenräume gelangt, ohne dass direktes Sonnenlicht die Sichtverhältnisse im Gebäude beeinträchtigt. Die Mitarbeiter haben also stets optimale Lichtverhältnisse und einen
sicheren Blendschutz an ihrem Arbeitsplatz.

Zusätzlich zu der Helligkeitssteuerung ist eine Verschattungsautomatik aktiviert, die prüft, ob Fenster durch die umliegende Bebauung oder durch eigene Gebäudeteile verschattet werden. Ist dies der Fall, stellen sich die Lamellen automatisch auf die Parkposition, die größtmöglichen Lichteinfall garantiert. Eine ebenfalls zur Soltronic-III-Steuerung gehörende Wetterstation misst die Außentemperatur und steuert die Thermo-automatik an, die durch einen Zeitschaltplan freigegeben ist und tätig wird, wenn bestimmte Temperaturwerte über- oder unterschritten werden. In der Winterperiode wird so das Auskühlen des Gebäudes verhindert (Lamellen geschlossen), in der Sommerperiode wird es unterstützt (Lamellen geöffnet). Die Steuerung bietet auch die Option, im Winter die Sonnenenergie in das Gebäude hineinzulassen. Dafür öffnen sich die Lamellen automatisch.

Angesichts häufiger auftretender Extremwetterlagen (Starkregen, Stürme) kommt der Wetterstation auch die Funktion zu, den Witterungsschutz zu steuern. Windgeschwindigkeit und Niederschlag werden von der Wetterzentrale gemessen, die Vereisungsgefahr wird aus der aktuellen Außentemperatur und dem aktuellen Niederschlag berechnet. Wenn bestimmte Parameter erreicht sind, fahren die Sonnenschutzlamellen in eine definierte Schutzposition und verbleiben dort so lange, bis eine normale Betriebsposition wieder möglich ist. Die Verbindung mit einer Brandmeldeanlage sorgt zudem dafür, dass im Falle eines Feuers die Lamellen automatisch in eine Zwangsstellung gefahren werden.

Intelligente Schiebeläden für den Seeparkcampus in der Seestadt Aspern, Wien/AT

Aspern – die Seestadt Wiens ist eines der größten Stadtentwicklungsprojekte in Europa. Um einen 5 ha großen See entsteht bis 2028 ein neuer Stadtteil – mit Wohnungen und Büros, in denen schon jetzt Tausende von Menschen leben und arbeiten. Der Seeparkcampus West ist auf den ersten Blick ein normales Bürogebäude. Doch die Fassade lebt, so erscheint es zumindest dem Betrachter. Grund dafür ist der bewegliche Sonnenschutz mittels Schiebeläden – eine innovative und ästhetisch ansprechende Lösung: Speziell geformte Schiebeläden von Colt International/Typ Ellisse bieten den erforderlichen Sonnenschutz und eine architektonisch anspruchsvolle Fassadengestaltung.

Die Schiebeläden wurden als funktionale und architekonische Elemente im Abstand von 80 cm vor die Fassade gesetzt. Diese „Segel“, aus gekanteten Aluminiumlochblechen hergestellt, erinnern an Schiffssegel und sind ein Zitat der „See“-stadt. Vier verschiedene Elemente leisten gemeinsam einen Beitrag zum optimalen Sonnenschutz für das Gebäude:

– bewegliche Schiebeelemente außen

– bewegliche Schiebeelemente innen

– starre Elemente zwischen beweglichen

Anlagen

– starre Elemente auf der Nordseite

Die insgesamt 1 949 Schiebeläden werden über 86 Motoren dem Sonnenstand nachgeführt. Dadurch entsteht ein kinetischer Effekt, die Fassade wirkt belebt, wie ein Segel im Wind. Der Fahrweg der Schiebeelemente ist für alle Anlagen gleich und unterscheidet sich nur durch die Zeit, zu der die Sonne auf der Ost-, Süd-und Westseite der Fassade auftritt. Besonders angenehm für die Menschen in den Büros: Sie haben auch die meiste Zeit des Tages einen freien Blick nach außen.

Klappläden aus Cortenstahl für Verwaltungsgebäude in Niederndorf/AT

Wie groß das Gestaltungsspektrum im Bereich modernen Sonnenschutzes ist, verdeutlicht das Verwaltungsgebäude der Bora Vertriebs GmbH & Co. KG im österreichischen Niederndorf. Dort entwickelte die Hype Final Design aus Günzburg einen ungewöhnlichen Sonnenschutz aus Cortenstahl in der Ausführung Streckmetall-Lamellen. Die Klappläden bestehen aus den Komponenten Konsole, Schiene, Faltrahmen und einer Antriebseinheit. Die bewegliche Anlage wird mittels Elektroantrieb geöffnet und geschlossen. Im geschlossenen Zustand bilden die beiden Klappelemente einen Neigungswinkel von ca. 5 °, im geöffneten Zustand stehen die vier Rahmen 90 ° Grad zur Fassade. Der Antrieb mit Motorbremse und Getriebe verhindert ein manuelles Öffnen der Klappläden von außen und ein Klappern bei maximaler Windgeschwindigkeit. Die Klappläden lassen sich auch bei Windgeschwindigkeiten größer als 50 km/h sicher schließen. Die Öffnungs- und Schließgeschwindigkeit beträgt ca. 5 cm/sec. Die beiden Führungsschienen vom Typ HYPE-KL sind rechts und links vertikal angeordnet und aus stranggepresstem Aluminium hergestellt. Sie werden mittels Konsolen am Baukörper befestigt. Jeder Klappladen kann durch Handtaster elektrisch angesteuert werden. Zum Schutz der Klappläden vor Sturm wird eine Wetterstation aufgeschaltet. Ab einer Windgeschwindigkeit größer als 50 km/h fahren alle Klappläden in die geschlossene Position. Hier werden die Klapp­elemente mit Gummipuffern gegen die Führungsschienen abgestützt. Auf diese Weise wird sowohl das Gebäude als auch der Sonnenschutz gesichert.↓

Aktiver und passiver Sonnenschutz am Energy Campus Stiebel Eltron, Holzminden

Das Schulungs- und Kommunikationsgebäude der Stiebel Eltron GmbH & Co. KG in Holzminden setzt in vielerlei Hinsicht Maßstäbe. Der Kurs war von Anbeginn klar, das erklärte Ziel war eine Platin-Auszeichnung nach den Kriterien der DGNB (Deutsche Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen): ein Zertifikat, das nur mit sehr hohen Auflagen bezüglich Materialwahl, Überwachung und Dokumentation zu erreichen ist. Der Energy Campus setzte mit der bis dahin höchsten jemals erreichten Punktzahl in der Kategorie Bildungsbauten ein deutliches Zeichen. Das innovative Gebäudekonzept wurde als Plus-Energiegebäude realisiert. Energieaktive und dynamische Bestandteile der smarten Gebäudehülle sind die fassadenintegrierte PV-Anlage auf der Südseite sowie die sonnenstandgeführte Großlamellenanlage auf der Gebäudeostseite. „Standort und Ausrichtung des Neubaus sind mit Bedacht gewählt“, so Günter Schleiff, projektleitender Architekt und Partner bei HHS Architekten in Kassel.

Die sonnenstandgeführte PV-Anlage ist in das Fassadenkonzept eingebettet. Gleichsam prägend zeigt sich die Großlamellenanlage auf der Ostfassade. Ebenfalls der Sonne folgend, managt sie nicht nur die hohen solaren Wärmelasten, sie sorgt auch für ein lebhaftes und abwechslungsreiches Fassadenbild. Für die transparente Ostfassade, in Pfosten-Riegel-Bauweise und mit hochisolierenden 3-fach-Wärmeschutzgläsern errichtet, wurde ein beweglicher Sonnenschutz entwickelt, automatisiert und der Sonne nachgeführt. Dem Charakter des Gebäudes angemessen, fiel die Systemwahl auf Großlamellen, bestehend aus 600 mm tiefen perforierten Aluminiumlamellen. Die definierte Lamellenkrümmung hebt sich einerseits optisch von der Alufassade ab, zusätzlich verbessert sich die Lamellenstatik, so dass das System selbst absturzsichernd wirkt. Die eingesetzte Mechanik ermöglicht Spannweiten von über 3 m, ohne dass optisch störende Tragrohrkonstruktionen benötigt wurden. Dem Wunsch der Planer und des Bauherrn folgend, konnte Hype Final Design hier eine Leichtbaukonstruktion verwirklichen, die hochwirksam ist bei der Reduzierung von solaren Wärmelasten, aber gleichzeitig die Tageslichtversorgung sicherstellt.

Gebäudeprägend ist die in die Südfassade integrierte Photovoltaik-Lamellenanlage. Gleichsam schwebend über dem Wasserbecken, an 9 m hohen schlanken Stahlstützen befestigt, richtet sie ihre aktiven PV-Panels ständig zur Sonne aus. Nach Berechnung der ims Ingenieurleistungen Manfred Starlinger, Kleve, beträgt der zusätzliche Energieertrag durch die Nachführung bis zu 18 %. Nicht zuletzt deshalb überzeugte die Innovation einer sonnenstandgeführten PV-Anlage in der Fassade. Diese gilt zu Recht als die Edelvariante regenerativer Energieerzeugung in Gebäuden. Das außergewöhnliche Konzept überzeugte sowohl die Bauherren, die Stiebel Eltron GmbH, als auch die Architekten von HHS Planer + Architekten AG aus Kassel.

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