LernRAUM-Netzwelten

Wenn man es wollte, könnte man das Lehren unserer SchülerInnen, also die aktive, emotionale Zuwendung, als ein Invest in die Zukunft unseres (Wirtschafts-)Landes bezeichnen. Und tatsächlich gibt es zu diesem Bild auch eine Zahl: 18 % Rendite werden hier aufgerufen; was man unbedingt all denen vorhalten sollte, die zögerlich sind, wenn es um finanzielle Aufwände geht, die in marode Bausubstanz investiert werden sollen.

Dass unsere Schulen so stiefmütterlich behandelt werden, hat zwei wesentliche Gründe: erstens das Fehlen eines Bundesinstituts (Länderinstituts!) für Schulbau, zweitens das Fehlen einer durchsetzungsstarken Lobby. Letzteres ist der zentrale, sämtliche gesellschaftliche Prozesse dominierende Mangel: Lobbyarbeit für Kinder wird von Erwachsenen gemacht und die auch noch mit Entscheidern nicht selten im Großelternalter. Was wir brauchen, sind kluge Köpfe, die fachlich auf hohem Niveau arbeiten und bereit sind, sich auf Kinderhorizonte zuzubewegen. Und dabei derart vernetzt sind, dass das Entwickeln von pädagogisch wirksamer Architektur nicht nur einer Fachgruppe überlassen bleibt.

Und ganz sicher braucht es für einzelne Projekte, die immer noch prototypischen Charakter haben und gerne in Reallaboren ausprobiert werden, auch glückliche Umstände. Genügend Geld beispielsweise, eine Infrastruktur, ein lebendiges Netzwerk … oder auch – und da wären wir beim konkreten Reallabor in Düsseldorf – die Weitsicht einer Kommune. So hatte die Stadt Düsseldorf in 2019 mit der Alanus Hochschule eine Koopera­tion dahingehend vereinbart, dass sie für den an der Hochschule aktuell eingerichteten, praxisintegrierten „Masterstudiengang Schul- und Kulturbau“, die Studiengebühren derjenigen übernimmt, die das Studium zugleich als Mit-
arbeitende des Schulverwaltungsamts aufnehmen. Denn gut 1 Mrd. € werden in Schule investiert und die Stadt wüsste gerne, wie sie das zukunftssicher, gar zukunftsweisend machen soll. Und dann gibt es noch das ERASMUS+ finanzierte Projekt „PULS+“, in dem die EU gemeinsam mit der Schweiz mehr als eine halbe Mio. € zur Verfügung stellt, um für die anstehenden Reformen im Schulbau universitäre Aus- und Weiterbildungsformate zu entwickeln.

Geld ist also da, jetzt braucht es noch diejenigen, die hier Anträge stellen können, die fachlich versiert sind, integral denken und nichts davon halten, den Schulbau mit kosmetischen Mitteln in die kommende Zeit zu tragen. Man suchte sich, man fand sich: Akteure mit explizit pädagogischem Hintergrund (Dr. Petra Regina Moog, Geschäftsführerin der Sophia::Akademie), Architekten ­(­Andreas Hammon, Architekt, Pädagoge, „SchulRAUM­entwickler“ und seine „LernRAUMlabore“) sowie die schon genannte Hochschule mit der Stadt Düsseldorf. Man begann zu arbeiten – ausgestattet mit erfolgreich beantragten EU-Fördergeldern und mit der technisch/finanziellen Unterstützung von Herstellern, Spezialisten für wandelbare Positionssysteme und Netze. Und weil der Initiator dieser umfassenden Zusammenarbeit, Andreas Hammon, zuvor an der Gesamtschule Rosenhöhe in Bielefeld an einer Netzstruktur im Außenraum gearbeitet hatte, standen die Netzwelten als Lern- und Bewegungsraum schnell im Fokus. Nicht zuletzt waren auch die SchülerInnen der Düsseldorfer Gemeinschaftsgrundschulen Stoffelerstraße und Henri-Dunant mit dabei, und zwar von Beginn an. Interessanterweise starten von hier aus viele SchülerInnen mit dem Blick auf Bewegung. Über Zeichnungen von Kletternetzen, schwingenden Hängematten, Lesenestern und Rückzugshöhlen skizzierten sie eine vielfältige, stimulierende und inklusive Lernumgebung, die sich mit der aktuellen Lernforschung deckt und zugleich die physische und psychische Gesundheit fördert. Stillsitzen ist für viele Kinder Stress und führt überall hin, nur nicht zum aufmerksamen, aktiven Lernen.

Also eine Netzwelt. Die dann künftig in den Schulen selbst umgesetzt werden sollte, – hier wieder das Reallabor – in einem 7 m hohen Raumlabor der dieses Projekt begleitenden Alanus Hochschule. Auf die Erfahrungen aus verschiedenen Vorgängerprojekten zurückgreifend, auch auf solche wie die begehbare Netzfläche des Brasilianischen Pavillons auf der Weltausstellung 2015 (Officium Design Engineering GmbH in Stuttgart). Dessen umsetzender Konstrukteur, Thomas Ferwagner, Geschäftsführer von Officium, erweitert Andreas Hammons Team. Oder „in orbit“ von Tomás Saraceno im Düsseldorfer K21, seit 2013 Publikumsmagnet und zugleich Erfahrungslieferant in dieser Art des Langzeittests bezogen auf Dauerhaftigkeit, Pflege und Kostenmanagement. Selbstverständlich wurde diese Arbeit im Rahmen des Workshops besucht.

Man könne, so Andreas Hammon im Videogespräch, mit dem Ansatz der Netzwelten in jeder zweiten Bestandsschule nutzungseffizient und kostengünstig die Flächen aktivieren, die bisher nicht im Fokus sein konnten, aber dringend benötigt würden angesichts des in den letzten Jahren stark erweiterten pädagogischen Anforderungsprofils. Gerade auf Letzteres angemessen reagieren zu können, seien die Netzwelten die richtigen, ergänzenden Raumkonzepte, die neue analoge Lern- und Begegnungsräume öffnen, an den Schnittstellen zum digitalen Raum, in einer komplexen und vernetzten Welt. „Wenn wir Kinder nur in Kistenräumen lehren, werden sie auch nur in Kisten denken können.“

Wie geht es weiter? Zunächst sollen die Ergebnisse des LernRAUM-Reallabors an der Alanus Hochschule beim Neubau der Düsseldorfer Gemeinschaftsgrundschule Henri-Dunant umgesetzt werden. Die Grundschule Stoffelerstraße will ihr Angebot für die Offene Ganztagsschule OGS ausbauen und den bisher ungenutzten Dachstuhl ­aktivieren. Ergänzend dazu wird ein LernRAUMlabor die Möglichkeiten zur pädagogischen Aktivierung von Lufträumen in hohen Fluren erkunden. An der Fachhochschule Nordwestschweiz werden 2021 im LernRAUMlabor die Netzwelten pädagogisch weiter erforscht. Es gibt Anfragen aus Hamburg (Hammerbrooklyn) und Potsdam, wo ein Projekt am HPI mit der School of Design Thinking und Prof. Weinberg gestartet werden könnte. Sie seien jetzt dabei, ihre Ideen und Ergebnisse zu verbreiten, so Petra Regina Moog und Andreas Hammon im Gespräch. Man sei davon überzeugt, dass aus der Pionierarbeit bald schon genehmigungsfähige Projekte an Schulen aller Art realisiert werden können. Die Bewegungs- und Raumerfahrungen im Prototypen, die Resonanz der mitentwickelnden SchülerInnen und LehrerInnen kombiniert mit der Sicherheitsexpertise von Ferwagner können die zuständigen Behörden überzeugen. Dann werden die schlummernden räumlichen und pädagogischen Potenziale aktiviert. „Wir sind noch am Anfang, sind uns aber sicher, dass das hier mehr ist, als bloß eine schöne Idee“ (Petra Regina Moog). Definitiv! Be. K.

www.erasmus.pulsverbund.eu/reallabore/, www.die-schulbauberater.de
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