Lasten sollten nicht spazieren geführt werden

Rico Severin zum Thema „Brücken“

Eine Brücke zu planen ist eine komplexe Angelegenheit. Nicht nur, dass sie unter Umständen große Distanzen überspannen soll, man muss mit widrigen Wetterbedingungen, schwierigen Auflagerbedingungen und dem Verkehrsaufkommen drauf und drunter planen. Und nicht zuletzt: die gestalterische Einbettung in die Umgebung. Früh übt sich hieß es also für Simon Knapp, Ronny Dittmann und Rico ­Severin, die an der TU Berlin eine Brücke über den Rhein entwarfen.


Was waren die Anforderungen an dieses Bauwerk?

Es sollte eine Straßenbrücke bei Maxau geplant werden, um die 1,5 km flussaufwärts bestehende Schrägseilbrücke zu entlasten. Die neue Brücke dient der Verbindung der beiden Bundesländer Baden-Württem­berg und Rheinland-Pfalz.

Die harten Randbedingungen des Entwurfs waren eine zu überbrückende Länge von 597 m von Widerlager zu Widerlager. Der Querschnitt des Überbaus sollte im Regelquerschnitt 26 mit beidseitigen Geh- und Radwegen ausgeführt werden. Die Höhe des Überbaues war nach oben begrenzt durch eine gegebene Gradiente der Straße und nach unten durch das Lichtraum­profil für die Schifffahrt. Weiche, selbstdefinierte Randbedingungen waren ästhetischer Natur, da in Sichtweite eine seilgestützte Brücke vorhanden ist und die zu planende Brücke mit dieser ein harmonisches Gesamt­bild ergeben sollte.

 

Wie haben Sie das planerisch umgesetzt?

Um dieses harmonische Gesamtbild zu erreichen, haben wir uns für eine seilgestützte Brücke entschieden. Die besondere Form der ‚Extradosed Bridge‘ hatte zwei Gründe: Das durch Wald geprägte Landschaftsbild ließ uns zu dem Schluss kommen, dass in dieser Umgebung hohe bzw. dominante Masten unnötig, ja sogar unangebracht wären. Zum zweiten reizte uns die ingenieurmäßige Herausforderung, einen in Deutschland noch nicht realisierten Brückentyp zu entwer­fen, zu berechnen, zu bemessen und konstruktiv durchzubilden. Der Brückentyp der ‚Extradosed Bridge‘ wurde in Japan entwickelt und bietet für Spannweitenbereiche zwischen 150 m - 250 m wirtschaftliche Vorteile im Vergleich zu einer Balken- bzw. Schrägseilbrücke.

Zum prinzipiellen Tragverhalten einer ‚Extradosed Bridge‘ kann man sagen, dass die Seile wie eine externe Vorspannung für den Hohlkasten wirken. Durch ihre geringe Neigung erfahren die Seile wenig zusätzliche Kräfte durch veränderliche Einwirkungen.

In unserem Entwurf war das Verhältnis der Kräfte im Seil aus veränderlicher Einwirkung zu denen aus der Gesamteinwirkung 23 %. Als Abschätzkriterium, ob eine ‚Extradosed Bridge‘ oder ein normale Schrägseilbrücke vorliegt, sollte dieses Verhältnis 30 % nicht überschreiten. Dies war gegeben und bedeutete für die Bemessung, dass wir den Abminderungsfaktor für die zulässigen Seilkräfte erhöhen und somit die Seile stärker belasten konnten.

 

Worin bestehen die Herausforderungen beim Entwurf einer Brücke?

Brücken sind im Allgemeinen relativ große Bauwerke. Dies zieht eine zweigeteilte Verantwortung für den Ingenieur nach sich. Einerseits gilt es, die Funktion der Brücke - zu vertretbaren Kosten - zu gewährleisten und andererseits ist die Gestaltung und Eingliederung in das Umfeld zu berücksichtigen.

Die Form der Brücke sollte den Kraftfluss erkennen lassen, Lasten sollten nicht ‚spazieren‘ geführt und Steifigkeiten dort angeordnet, wo sie benötigt werden. Herausforderungen stellen zum Beispiel ­Fugen dar. Hier sollte man früh im Planungsprozess überlegen, ob und wenn ja, wo man sie anordnet oder ob man durch eine integrale Bauweise und etwas mehr Ingenieurleistung komplett auf sie verzichten kann.

Ein letzter, meiner Meinung nach wichtiger Punkt ist die Planung des Bauablaufs. Die Momentenverläufe in den Bauzuständen sollten ‚kompatibel‘ sein zu dem Momentenverlauf im Endzustand, um unnötige Rissbildung und Bewehrung zu vermeiden.

Wo, warum und in welcher Form würden Sie gern eine Brücke bauen?

Naturgegeben will man als Ingenieur bzw. angehender Ingenieur immer die größte, längste oder technisch anspruchsvollste Brücke bauen. Ein Traum wäre die Verbindung von Europa mit Afrika an der Straße von Gibraltar zu planen. Bei solch großen Spannweiten kann man bekannte Brückentypen, egal ob Hängebrücke oder seilgestützte ­Brücke, nicht einfach nach ‚oben‘ skalieren, da Bauteile irgendwann ihre Eigenlast nicht mehr tragen können. Diese Herausforderung würde voraussichtlich zu hybriden Brücken führen, vielleicht auch gänzlich andere Ansätze erfordern. Zu realistischeren Zielen werden für mich in meinem Berufsleben hoffentlich leichte Fußgänger­brücken oder filigrane Verkehrsbrücken zählen, also Brücken, die nicht nur funktionell sondern auch ästhetisch sind.

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