Kunststoff in der Architektur
Expertendialog und Auftaktveranstaltung im Hessen Design Mathildenhöhe, Darmstadt

Natürlich kennt es jeder, das Polymethylmethacrylat (PMMA), den Werkstoff Acrylglas, besser bekannt als „Plexiglas“. Seit 1928 widmete sich die Röhm & Haas AG in Darmstadt (heute Evonik Röhm) der Erzeugung von Acrylglas, dem glasartigen Kunststoff, der 1933 die Patentreife erreichte. Von da ab eroberte das Material alle Lebensbereiche und unzählige technische Anwendungen. Für den Baubereich ein architektonisches Highlight, die Überdachung mit Plexiglas des Münchener Olympiastadiums von Günther Behnisch, und ein weiteres, die Außenhaut aus Plexiglas des Kunsthauses in Graz von den Architekten Peter Cook und Colin Fournier von 2003. Anlässlich des Jubiläums – Plexiglas wird in diesem Jahr 75 Jahre – hat Evonik Röhm (Plexiglas®-Produzent) einen Expertendialog veranstaltet. Eine Art runder Tisch mit der Diskussion zu Kunststoffen innerhalb der Architektur. Dieser Dialog suchte Inhalte und Themen mit Kunststoffen als Material und den Anwendungsmöglichkeiten für das Bauen in der Zukunft. Ziel dieser Veranstaltung war, „Kunststoff in der Architektur“ für Architekten zu thematisieren und mit Fachleuten aus den Bereichen Architektur, Bauingenieurwesen, Design und Kunst Anwendungen und zusätzliche Anwendungsgebiete mit den Themen: Kunststoff (Plexiglas) als Tragwerk, in der Gebäudehülle, Kunststoff und Energie zu diskutieren.

Kunststoff und Tragen – in dem Auftakt-Referat von Prof. Johann-Dietrich Wörner wurde dargestellt, dass Plexiglas auch tragend eingesetzt werden kann. Beispiel hierfür ist die „Plexiglas-Brücke“ über den Schlossgraben in Darmstadt. In der Diskussion wurde deutlich, dass bei Brücken die Möglichkeit der freien Formgebung mehr in eine Konstruktion integrieren werden sollte.

Weitere Ideen des Tragens waren die Bewehrung von Thermoplasten oder Materialkombination, wie z.B. Sandwich-Elemente mit Thermoplasten mit Aluminium oder Holz. Die Frage: Kann Kunststoff an die Stelle von Stahl treten? lässt sich so einfach nicht beantworten, ist aber aufgrund der Stahlkosten eine technische Herausforderung für dann auch mögliche transparente Kunststoffe.

Kunststoff und Gebäudehülle – die beiden Referenten Bernhard Franken und Prof. Harald Kloft stellten unter dem Thema: „Save the Bubble“ den Ausstellungspavillon der IAA 1999 vor (der „Bubble“ existiert nicht mehr), der ein Meilenstein der neueren Architektur ist und für digitales Entwerfen am Computer steht. In der Diskussion stellte sich die Frage: Kann man über eine „Re-Edition“ diese Architektur wieder beleben? Daraus wurde die Idee formuliert, das Gebäude im Kontext mit Evonik Röhm als eine eigene Erlebniswelt neu herzustellen. Damit besteht die Möglichkeit, die Materialien von Evonik direkt in einem dafür konzipierten Raum einem breiten Publikum näher zu bringen. Weitere Möglichkeiten der Anwendung bei der Fügung von Plexiglas inklusive Abdichtung wurde am Beispiel Bahnhofsvorplatz Wädenswil am Zürichsee CH deutlich (Entwurf: Michael Kuhn und Florian Steibächer, Hausmarke Berlin). Die freie Formbarkeit innerhalb einer kleinen wie auch großen Materialdicke mit einer frei wählbaren Transparenz sind dabei die unschlagbaren Parameter von Plexiglas.

Kunststoff und Energie – Martin Zeumer von der TU Darmstadt verdeutlichte die Wichtigkeit der jeweiligen Schichten eines Bauteils oder -produkts unter energetischen Aspekten. Er wies darauf hin, dass sich die Bewertungskriterien in der Zukunft ändern werden. Die Bewertung der „Grauen Energie“ (der indirekte Energieverbrauch durch Kauf eines Konsumgutes, im Gegensatz zum direkten Energieverbrauch bei dessen Benutzung) wird im Zusammenhang mit einem Bauteil oder Bausystem das Bauen und damit die Architektur in der Zukunft deutlich beeinflussen. Das Thema Nachhaltigkeit und Zertifizierung von Gebäuden ist ein Ergebnis der derzeitigen Energiekrise und deren Diskussion darüber. Auch Investoren haben dieses Thema für sich entdeckt und setzten eine positiv besetzte Nachhaltigkeit von Gebäuden voraus. Die möglichen Vorteile, die der Werkstoff Plexiglas im Zusammenhang mit Energie oder Energieeffizienz leisten kann, muss deutlich herausgearbeitet und mit Beispielen dokumentiert werden.

Visionen für Plexiglas – neben den technischen Möglichkeiten wird auch die emotionale Besetzung von Materialien immer wichtiger und damit entscheidend für die Planung und den Einsatz. Hierbei hat Plexiglas als Gattungsbegriff Vor- als auch Nachteile, die in diesem Zusammenhang für Planer wie Anwender transparent dargestellt werden müssen. Die materialspezifische Abgrenzung von Plexiglas zu anderen transparenten Kunststoffen wie aber auch zu Glas hat bisher nicht (ausreichend) stattgefunden. Nur in Kenntnis der materialspezifischen Eigenschaften von Plexiglas aber können in der Architektur neue Formen und Nutzungen erschlossen werden. Den größten Reiz und zugleich die größte Schwierigkeit stellt das digitale Entwerfen dar, denn es erfordert auch digital basiertes industrielles Produzieren. Dies ist insofern eine Herausforderung, da erst ca. 20 Prozent der Möglichkeiten von Plexiglas bekannt sind. Vielleicht ist diese Schwäche des Materials auch die größte Stärke für Anwendungen in der Zukunft.

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