Kaninchenbau
Wohnhaus DM, Gaasbeek/BE

Mit einer identitätsstiftenden, tunnelartigen Eingangs-situation, dem sogenannten Rabbit Hole, verbindet Architekt Bart Lens die Einzelgebäude eines ehemaligen Bauernhofes. Klassische Baumaterialien und formale Modernität sind die Elemente für diese außergewöhnliche Sanierung alten Gebäudebestands.

Tierliebhaber kennen das Problem des Freigeheges, das man liebevoll für seine Kaninchen im Garten errichtet hatte und unter dem sich das Tier eines Tages durchgrub und seitdem auf Nimmerwiedersehen verschwand. Übrig bleibt ein kleiner Tunnel, der in die Tiefe führt und dessen Ende der Freiheit entgegenlacht.

Rabbit Hole ist auch das Synonym für den trichterförmigen Zubau, den das belgische Architekturbüro Lens°Ass unter der Feder ihres Gründers Bart Lens entworfen hat, und der das verbindende, aber auch trennende Element eines neu organisierten Gehöfts darstellt.


Lage

Der von Lens°Ass umgebaute Bauernhof in Gaasbeek, einem kleinen Dorf im Südosten von Brüssel, liegt im hügeligen Pajottenland an einer kleinen Nebenstraße in unmittelbarer Nähe zum Schloss Gaasbeek.

Der Hof aus fünf Einzelgebäuden wurde durch eine gekonnte, wie auch subtile Geste erweitert: ein trichterförmiger, tunnelartiger Gang trennt die Gebäude voneinander und verbindet sie gleichzeitig. Der Wunsch der Bauherren, in diesem Komplex einerseits eine Tierarztpraxis und andererseits ihre Wohnung unterzubringen, führte zu dieser außergewöhnlichen Lösung.


Tierarztpraxis und Wohnung

Die Herausforderungen dieses Projekts waren für Bart Lens von vielfältigster Natur. In erster Linie galt es, einen adaptierten Entwurf zu machen, der die halb verfallenen Gebäude in adäquater Art und Weise wiederherstellte und zu einem modernen und funktionellen Haus erweiterte, ohne dabei nostalgische Elemente zu verwenden und ohne den agrarischen Charakter aus den Augen zu verlieren.

Dann mussten die zwei unterschiedlichen Funktionen des Arbeitens und Wohnens räumlich unter einem Dach organisiert werden. Zudem sollte die Intervention eine Wertsteigerung verschaffen. Das Ergebnis scheint sehr logisch.


Eingang

Nach 1945 bekam das alte Wohngebäude bei einem Umbau ein für diese Region und diese Art von Gehöften untypische Dachform. Deshalb beschlossen die Architekten, das Dach diagonal abzuschneiden und die Eingangstür und alle straßenseitigen Öffnungen zuzumauern. Im Gegenzug öffnet ein raumhohes Fenster die gesamte Raumbreite der Tierarztpraxis zur Gartenseite hin.

Das Erdgeschoss des ehemaligen Wohnhauses mit dem angrenzenden Kuhstall wurde für die Tierarztpraxis umgebaut. Die Wohnräume darüber besitzen lange, mit breiten Holzdielen vertäfelte Dachschrägen. Die Rundhölzer des Dachstocks wurden von den Architekten beibehalten, um den ursprünglichen Charakter der Gebäude sichtbar zu machen. Die straßenseitigen Dachfenster wurden in die Dachschräge eingeschnitten und liegen zurückversetzt, sodass der rurale Charakter des Hauses bewahrt bleibt.

Das größte Gebäude des Ensembles, der Heuschober, bildet als Wohn- und Essbereich das Zentrum des familiären Lebens. Die großen Fenster-öffnungen sind durch außenliegende, massive Eichenflügel verschließbar. Weder die Torflügel, noch die Fensterläden sind völlig geschlossen, Spalte zwischen den Holzbrettern lassen selbst in geschlossenem Zustand noch gefiltertes Sonnenlicht einfallen.

Der halbeingegrabene Keller des ursprünglichen Heustalls, der von der Küche aus zu erreichen ist, bleibt als Vorratsraum erhalten. Die auch nach oben sichtbare Backsteindecke dieses Kellers bildet im Wohnbereich darüber ein erhöhtes Podest für die Sitzzone. Zwischen den beiden gegenüberliegenden Fensterfronten entwarfen die Architekten einen langen Betontisch, der aus dem gleichen Material wie der Fußboden erstellt wurde.


Rabbit Hole

Während die Neuorganisation der Arbeits- und Wohnbereiche relativ frühzeitig feststand, war es wesentlich schwieriger, die verschiedenen Volumina miteinander zu verbinden. Die außerordentliche Qualität dieses Projekts liegt darin, wie Lens die Beziehung der verschiedenen Funktionen und Räume mit einer einzigen architektonischen Geste löst. Er entwarf einen trichterartigen Anbau, der sowohl den Zugang zur Tierarztpraxis als auch zum Wohnhaus schützt. Die Eingänge sind so orientiert und platziert, dass ein Besucher der Tierarztpraxis nicht in den Privatbereich ­blicken kann, wenn er vor der Eingangstür steht. Die Trichterform wird zusätzlich durch den Knick und die fast zwei Meter große Höhendifferenz zwischen der Straße auf der einen Seite und dem Garten auf der anderen Seite verstärkt.

Der neue, tunnelartige Zugang erzeugt eine physische und visuelle Trennung zur Straße hin, trennt die Tierarztpraxis von den privaten Wohnbereichen, und schafft neue, intime Außenräume. Er bildet gleichzeitig die Verbindung von der Straße zum Garten und damit eine Übergangszone von einer Landschaft zur anderen. Zur Straße hin präsentiert sich der Tunnel mit einem weitgeöffneten, streng geometrischen Portal.


Sensibilität

Die von Lens°Ass geschaffene architektonische Intervention liegt fernab jeglicher provokativer Schreierei. Die Faszination des Gebäudes liegt in der Vielzahl unterschiedlicher räumlicher Qualitäten und Ausblicke, sei das nun in den Innenbereichen oder im Freien. Die starken Kontraste zwischen den dunklen Backsteinhöfen und Außenfassaden der Gebäude sowie den hellen, einfachen und modernen Innenräumen unterstreicht die Modernität der Architektursprache. Der gezielte Einsatz der natürlichen Materialien und Farben wie Backstein und Holz und die detailgenaue Ausarbeitung spricht für die große Sensibilität und Erfahrung des Architekten.

Der Ziegel hat als Baumaterial in Belgien, bedingt durch die großen Lehmvorkommen („klei“), eine lange Tradition. Bart Lens betont, dass „der Backstein bei diesem Ensemble nicht nur als Baumaterial fungiert, sondern auch als Entwurfselement, das die existierenden Strukturen verstärkt und zusammenfügt. Zusätzlich bildet er das Bindeglied zwischen der Vergangenheit und der Gegenwart.”

Ein Großteil des Gebäudes entstand nicht auf der Basis von im Vorhinein entworfenen Plänen, sondern auf gemeinsamen Rundgängen des Architekten mit dem Bauherrn auf dem Grundstück und in den Gebäuden. So wurden unter anderem die genaue Position und Größen vieler Fenstern und Öffnungen festgelegt oder die Wahl der Materialien zwischen Holz, Backstein und Glas definiert. Die ausgewählten Materialen unterstützen sich durch ihre gegensätzlichen Qualitäten: Backstein als massives, dunkles und geschlossenes Element bildet einen gelungenen Counterpart zum leichten, transparenten und lichtdurchlässigen Glas.

Die größte Qualität des Gebäudes benennt Bart Lens als „die Tatsache, dass das Gehöft und damit die Geschichte noch da ist und sie weiter geschrieben werden kann.” Er betont, dass: ”das Gebäude nichts Spezielles mit dem Ort tut, einfach nur bestehen bleibt und damit das Beste tut, was ein Gebäude erreichen kann.” ­

Baudaten

Objekt: Umbau eines Bauernhofes zu einem Wohnhaus und Tierarztpraxis

Standort: Oudenaaksestraat, 1750 Gaasbeek, Belgien

Nutzungsart: Wohnhaus und Tierarztpraxis

Architekt: Lens°Ass architecten, Hasselt und Brüssel/BE, www.lensass.be

Projektteam: Bart Lens, Andri Haflidason, Georg Schmidthals

Bauzeiten: Planungsbeginn: 03/2008, Baubeginn: 06/2009,
Fertigstellung: 12/2010


Fachplaner

Tragwerksplanung: Van Erum

Innenarchitektur: Bart Lens, www.lensass.be

Licht/Elektrik: Croes Technology, Hasselt/BE, www.croestechnology.eu


Projektdaten

Grundstücksfläche: 21 400 m²

Bebaute Fläche: 485 m²

Umbauter Raum: 2 668 m³

Nutzfläche: 472 m²

Anzahl Gebäude: 5

Anzahl Geschosse: In den drei Hauptgebäuden: Keller + Erdgeschoss + 1. Stock

Nutzung regenerativer Energien: Wärmepumpe

Baukosten: 970 000 €

Preise: Brick Award 2012 in der Kategorie „Single Family House“

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