Jenseits der DIN

DBZ Heftpartner Jan Theissen und Björn Martenson, AMUNT, Aachen

Sie ist klein, ökonomisch schwer zu handhaben, verspricht meist nur ein kleines Honorar und geringen Umsatz bei hohem Betreuungsaufwand: die kleine Bauaufgabe, meist von ArchitektInnen, HerstellerIn und HandwerkerInnen unterschätzt oder nicht für Wert erachtet, sich näher mit ihr zu befassen.

Gleichwohl birgt die kleine Bauaufgabe, die wir hauptsächlich beim Bauen im oder mit dem Bestand und im Bereich eines Einfamilienhauses verorten, viel architektonisches Potential. Ihr engeres Verhältnis zum/zur BauherrIn, zum Bestand und dem Material öffnet den Raum, individuelle bauliche Antworten auf die Bedürfnisse und Vorstellungen der BewohnerInnen zu finden. Vor allem die intensive Auseinandersetzung mit dem Bestand regt uns an, einen angemessenen Umgang mit dem Vorhandenen zu finden. Meist wäre aus ökonomischer Sicht das „Wegrenovieren“ oder Abreißen der einfachere Weg. Bei genauerem Hinsehen lassen sich jedoch oft Qualitäten finden, die im Neubau nicht ohne weiteres reproduzierbar sind.

Im kleinen Maßstab der überschaubaren Bauwerksdimension kann Architektur und Innenarchitektur, als Einheit gedacht, gestaltet und geplant werden. In diesem Rahmen kann eine architektonische Idee in allen Details und gestalterischen Aspekten kongruent von der Innenraumplanung über die Gebäudehülle bis zur Freiraumgestaltung durchgebildet werden.

Anders als in größeren Projekten, deren ökonomische Aspekte oft entwurfsbestimmend sind, lassen sich im Rahmen des kleinen Maßstabs der kleinen Bauaufgabe handwerklich anspruchsvoll gefertigte Bauteile meist noch eher realisieren. Der andere Fokus ermöglicht es, auf kleinem Raum Vielfalt, Innovation und materiellen Reichtum zu entwickeln – man denke nur an Hans Holleins Ladenausbauten, wie das ehemalige Kerzengeschäft Retti in Wien.

Erfolgt dies in enger Zusammenarbeit mit dem/der BauherrIn, ist es eine schöne Reise und vielleicht ein letztes Refugium für einen kooperativen Planungsprozess, der durch das intime und persönliche Verhältnis zum/zur BauherrIn geprägt ist.

Die meist geringeren Anforderungen der Bauordnungen und des Brandschutzes begünstigen auch die Realisierung von baulichen Experimenten und unkonventionellen Lösungen. Es macht uns Freude, unter dem Radar der Verordnungen und Richtlinien im „Graubereich“ zu fliegen, um auch jenseits der DIN etwas auszuprobieren, das sich eventuell auch in größere Maßstäbe skalieren lässt. Wir haben die kleine Bauaufgabe schätzen gelernt, da sie uns in den vergangenen Jahren mannigfaltige Potentiale und Chancen eröffnet hat, architektonische Entdeckungen zu machen.

Unsere Profession wird sich voraussichtlich zukünftig in sehr große Architekturbüros und sehr kleine Ateliers oder Studios aufteilen. Für letztere Gruppe werden die kleinen Bauaufgaben nach wie vor relevant sein und auch ihre Domäne bleiben, da sie von den großen Bürostrukturen ökonomisch nicht rentabel bearbeitet werden können. Eine sehr große Anzahl an Bestandsgebäuden benötigt noch eine Anpassung an zeitgenössische Anforderungen und Bedürfnisse, um weiter genutzt werden zu können. Wir ArchitektInnen leisten damit nicht nur einen Beitrag zu einem nachhaltigen Umgang mit unseren Ressourcen, sondern können die Chance nutzen, mit kreativen und freudvollen Lösungen unsere Städte und Wohnorte zukunftsfähig umzugestalten und ihnen eine nahbarere Präsenz und dadurch auch ein menschlicheres Antlitz zu geben.

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