Innenraumlufthygiene
Qualitätsmanagement
statt Zufall

Gesunde Lebensräume sind wichtig: für die Aufenthaltsqualität und das Wohlbefinden der Nutzer, aber auch für einen unbeeinträchtigten Arbeitsalltag der Baubeteiligten. Bei Bildungsbauten steht die Innenraumluft­hygiene besonders im Fokus. Denn kaum ­etwas ist Eltern wichtiger als das Wohlbe­finden und die Gesundheit ihrer Kinder.

Zahlreiche Schadensfälle durch Schadstoffbelastungen aus Bauprodukten zeigen, dass die Zusammenhänge noch nicht bei allen Betei­lig­ten bekannt sind. Dabei stehen offizielle Bewertungskriterien und Messverfahren ebenso zur Verfügung wie Prozesse, die bei rechtzeitiger Integration in Planung und Bauablauf die Realisierung hoher gesundheitli­cher Standards sicher ermöglichen.

Allerdings sind die Einflüsse von Schadstoffen aus Bauprodukten, Raumausstattungen und Möbeln bei realen Bauprojekten individuellen Einflüssen und projektbezogen­en Faktoren unterworfen. Um die Möglichkeiten zur Minimierung des Schadstoffeintrags, aber auch die Risiken einer zufälligen Baustoffauswahl wissenschaftlich breiter zu verankern, haben das Sentinel Haus Institut und der TÜV Rheinland das Modellprojekt „Gesunder Lebensraum Schule“ durchgeführt. Neben Neubausituationen wurden

typische Sanierungszyklen, Möbel und Reinigungsprodukte untersucht. Inhaltlich unterstützt wird das Projekt vom Umweltbundesamt. Auf dem Gelände von TÜV Rheinland wurden dazu zwei Modellräume aufgebaut, einer mit gezielt ausgewählten, auf ihre gesundheitliche Eignung geprüften Materialien, ein weiterer mit zufällig eingekauften Produkten. Ein Messprogramm erfasste als Leitparameter flüchtige organische Verbindungen (VOC und SVOC) sowie Formaldehyd.

Die Messungen zeigen deutliche Unterschiede zwischen gesundheitlich geprüften und ungeprüften Produkten. Die Ansicht, dass bauaufsichtlich zugelassene Produkte per se auch gesundheitlich geeignet sind, ist falsch. Denn eine Emissionsprüfung ist nur für wenige Produktbereiche vorgeschrieben. Nicht zuletzt bei den für Bildungsbauten typischen, zeitlich knappen Sanierungs- und Renovierungsarbeiten ergaben sich daher beim Einsatz ungeprüfter Produkte zum Teil massive Überschreitungen der Empfehlungswerte, etwa dem Austausch von Fußböden, dem Abbeizen und Lackieren von Oberflächen und einem Wandanstrich. In einigen Fällen wären nach den Empfehlungen des Umweltbundesamtes zeitliche Nutzungsbeschränkungen der Fall gewesen. Die häufigsten Auslöser für Schadstoffbelastungen sind Lösemittel, Formaldehyd, Weichmacher sowie sogenannte Topfkonservierer, die Allergien auslösen oder verstärken können. Im Gegensatz dazu wurden im neu errichteten Raum mit den geprüften Materialien bereits nach sieben Tagen die Richtwerte des Umweltbundesamtes unterschritten. Angesichts dieser Risiken sowie der Vielzahl der möglichen Produktkombinationen gleicht ein Neubau oder eine Sanierung beziehungsweise Renovierung ohne begleitende gesundheitliche Qualitätssicherung einem Blindflug.

Sanierung aktiviert Altlasten

Weitere Risikofaktoren liegen in den Gebäuden selbst. Neben Schimmel- und Feuchteschäden durch Baumängel handelt es sich um Altlasten wie Asbest, PCB, Holzschutzmittel oder teerhaltige Kleber. „Waren diese in der Vergangenheit unauffällig oder wurden nicht als Ursache für gesundheitliche Probleme identifiziert, können sie durch die Öffnung von Bauteilen im Zuge einer Sanierung freigelegt und dadurch freigesetzt und aktiviert werden“, betont Dr. Walter Dormagen, Bereichsleiter beim TÜV Rheinland. Die Messung von Schadstoffen z. B. in der Innenraumluft erfordert die Einhaltung bestimmter Normen und Qualitätskriterien, die essentielle Bedeutung für die Verwertbarkeit und Vergleichbarkeit der Messergebnisse haben.

Ausschreibung und Baustoffverzeichnis

Ein entscheidender Baustein für sichere gesunde Gebäude ist die Ausschreibung der Planungs-, Bau- und Überwachungsleistun-gen. In Kooperation mit Kommunen, Baufachjuristen und Architekten hat das Sentinel Haus Institut einen Leitfaden erarbeitet, der die rechts- und haftungssichere Integration gesundheitlicher Standards in die Ausschreibung ermöglicht. Der Leitfaden ist beim Sentinel Haus Institut erhältlich. Informationen zum Modellprojekt „Gesunder Lebensraum Schule“ finden sich unter www.tuv.com/gesundes-bauen-projekt. Eine Liste der für den geprüft gesunden Modellraum ausgewählten Bauprodukte sowie die weiterer Modellprojekte findet sich im Sentinel Bauverzeichnis www.sentinel-bauverzeichnis.eu. Mit der Online-Plattform lassen sich zudem Projekte wie die Kita in Lauf hinsichtlich der Baustoffauswahl konfigurieren, individuelle Datensätze speichern und projektintern kommunizieren.

Best practice Beispiel: Kita in Lauf

Die Kindertagesstätte und Musikschule der Stadt Lauf an der Pegnitz ist ein Projekt zum Vorzeigen. Nicht zuletzt wegen ihrer geprüft guten Innenraumluft. Neben Material- und Raumluftkontrollen gehörte auch die Baubegleitung durch eine ausgebildete Fachplanerin zum Konzept. Bereits zu Beginn der Planungen stand der politische Wille: Die Kinder und die Lehrenden, die die neue Kita und die städtische Musikschule mit Leben füllen, sollen das in einer möglichst gesunden, schadstoffarmen Umgebung tun. So wurde es vom Rat der Stadt auf Vorschlag der Verwaltung erstmals für ein kommunales Gebäude in Lauf beschlossen und entsprechende Mittel zur Verfügung gestellt. Von Beginn an wurde dazu das Sentinel Haus Institut in die Planung und Realisierung eingebunden.

Für Architekt Martin Pöllot und sein Team vom Büro Pöllot Architekten in Nürnberg, die aus dem beschränkten Wettbewerb der Stadt 2012 als Sieger hervorgegangen waren, war dies ein weiterer Entwicklungsschritt: „Wir bauen seit mehr als zehn Jahren Bildungseinrichtungen mit hohem Anspruch an deren gestalterische und ökologische Qualität und verwenden bevorzugt natürliche und emissionsarme Produkte“, sagt Martin Pöllot. „Die Konsequenz des Sentinel-Konzeptes und die Summe seiner Teile von der Baustoffauswahl bis hin zur Raumluftuntersuchung brachte einen erheblichen Gewinn an Raumluftqualität und unserem Büro zusätzliche wertvolle Erkenntnisse“.

Gesundheitliches Qualitätsmanagement

Zugrunde lagen die Vorgaben des Gesundheitspasses des Sentinel Haus Instituts. Der Gesundheitspass vereint unter anderem Empfehlungswerte des Umweltbundesamtes, der Weltgesundheitsorganisation WHO sowie der Arbeitsgemeinschaft ökologischer Forschungsinstitute (AGÖF) für zahlreiche Schadstoffe in der Raumluft des fertig gestellten Gebäudes. In einigen Punkten, etwa bei der Formaldehydkonzentration, werden auch eigene, besonders strenge Standards gesetzt, die aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen folgen. Basis für die Baustoffbewertung ist das Schema der Arbeitsgemeinschaft zur gesundheitlichen Bewertung von Bauproduk­ten (AgBB). Für wichtige Produktgruppen liegen Bewertungskriterien vor.

Als „Leitwerte“ dienten die Konzentration von flüchtigen organischen Verbindungen (VOC) sowie von Formaldehyd. Seit 2015 gilt in Kooperation mit dem TÜV Rheinland ein erweiterter Prüfumfang. Zusätzlich wird die Konzentration des natürlich vorkommenden radio-aktiven Edelgases Radon ebenso gemessen wie die Kohlendioxid-Konzentration im Betrieb, um die Funktionsfähigkeit des Lüftungskonzeptes zu prüfen.

Gemeinsam mit dem Bauamt der Stadt Lauf wurden die Ausschreibungen der einzelnen Gewerke vom Sentinel Haus Institut lektoriert, um präzise und rechtssichere Formulierungen zu erhalten. Entsprechend kamen in den für die Innenraumluftqualität relevanten Bereichen ausschließlich Produkte zum Einsatz, deren gesundheitliche Eignung mit entsprechenden Prüfprotokollen nachgewiesen wurde. Wo dies nicht der Fall war, wurden emissionsarme Ersatzprodukte vorgeschlagen. Schulungen für Fachplaner und Handwerker sicherten die Umsetzung auf der Baustelle. Architektin Dipl.-Ing. (FH) Mona Sandner-
Abboud, Fachplanerin für gesundes Bauen, brachte den Handwerkern bei zwei Kompaktschulungen die Grundlagen des emissionsarmen Bauens nahe und machte sie mit den Baustellenregeln vertraut. Zu diesen gehört unter anderem ein Rauchverbot im Gebäude, die Lagerung von Material außerhalb der Gebäudehülle, die regelmäßige Reinigung sowie die Einhaltung und Kontrolle von Lüftungszeiten.

Als Wohngesundheitskoordinatorin (WoGeKo), analog zum SiGeKo, kontrollierte die Fachplanerin im Auftrag des Bauherrn bei insgesamt vier Terminen die Baustelle. Ein Protokoll der Begehung gab dem Auftraggeber jeweils einen Überblick über die Einhaltung der gesundheitlichen Qualitätskriterien. Eine Weisungsbefugnis des WoGeKo gegenüber Auftragnehmern bestand nicht.

Den Abschluss der Qualitätssicherung bildeten zwei Raumluftmessungen eines unabhängigen Experten, mit denen die vereinbarten Werte für VOC und Formaldehyd kontrolliert wurden. Das Ergebnis ist exzellent: „Die Messwerte für Formaldehyd liegen mit 5,8 µg/m3 Raumluft (Kita) und 13 µg/m3 (Musikschule) deutlich unter dem Zielwert von 60 µg/m3. Auch die Messwerte für die Summe der organischen Verbindungen (TVOC) sind mit 90 µg/m³ (Kita) und 250 µg/m3 (Musikschule) hervorragend – hier lautet die Empfehlung des Umweltbundesamtes, unter 1000 µg/m3 zu bleiben.

Architektur: Vorausschauend funktional

Das zweigeschossige Gebäude gliedert sich in zwei Baukörper. Jeweils zweihüftig organisiert, orientieren sich die vier Gruppen-, ein Mehrzweck- sowie zehn Einzelunterrichtsräume nach Südwesten beziehungswiese Südosten, die Funktionsräume vorwiegend in Nordrichtung. Zwischen den Gruppenräumen der Kita ist jeweils ein Ruheraum angeordnet. Brüstungen aus Ganzglas erlauben auf dem Boden spielenden Kindern den Blick auf das Freigelände, das direkt über Glasschiebetüren beziehungsweise eine Rutsche aus dem Obergeschoss zugänglich ist. Die Trennung der Gebäudeteile verhindert akustische Beeinträchtigungen des Musikunterrichts aus dem Kita-Betrieb. Gleichzeitig erlaubten Entwurf und Situierung des Gebäudes, den auf dem Grundstück bestehenden Kindergarten während der Bauzeit weiter zu nutzen und nicht für Monate in Container umziehen zu müssen. Der Dachüberstand von 1,20 m schützt Fassade und Konstruktion und bietet sommerlichen Wärmeschutz.

Materialität: Leimlos glücklich

Für die Außenwände sowie einige Wände

der Flure und die Decken kamen 16 cm bzw. 10 cm starke Brettstapelelemente aus Fichte/ Tanne zum Einsatz. „Die Elemente werden inklusive aller Aussparungen für die TGA etc. computergesteuert maschinell gefertigt und mit vorgetrockneten Buchenholzdübeln ohne Leim verbunden“, erklärt Joachim Klein von der Holzbaufirma O. Lux Holzbau. Das Aufquellen der Dübel durch die Holzfeuchte sorgt für nötige Stabilität. Die bis auf die keilgezinkten Verbindungen leimlose Verbindungstechnik dient nicht zuletzt dazu, den üblichen Formaldehydwert von 0,1 ppm noch einmal um 2/3 zu unterbieten. An der Fassade sind die 3,50 m hohen, untereinander verschraubten Elemente mit aussteifenden Gipsfaser-Platten und einem WDVS aus Mineralwolle mit einer Lärchenholzfassade beziehungsweise Putz verkleidet. Innen wechseln sich Sichtholzoberflächen mit einfachen weißen Putz-oberflächen ab. Die Deckenelemente sind in den Unterrichtsräumen der Musikschule sowie den Gruppenräumen der Kita mit einer Fräsung versehen, die ohne zusätzliche abgehängte Decken eine gute akustische Umgebung schaffen. Für die Innenwände kamen vorgefertigte Holzrahmenbauelemente zum Einsatz, die mit gesundheitlich geprüften Gipsfaserplatten verkleidet sind und die dank

ihrer großen Masse die schalltechnischen

Anforderungen bestens erfüllen. Durch die vorgefertigte Holzbauweise von Wänden,

Decken und Dächern erfolgte nicht nur eine rasche Montage und dadurch eine Minimierung der witterungstechnischen Abhängigkeit  – auch die zertifiziert-geplante Qualität wird sichergestellt. Die mittig gelegenen Flure verfügen über abgehängte Decken, die die

Installationen, unter anderem eine Lüftungsanlage mit Wärmerückgewinnung, aufnehmen. Ein Linoleumboden sowie der Nutzung entsprechende Wandfarben komplettieren die Ausstattung.

Hohe Energieeffizienz, durchschnittliche Kosten

Das Energiekonzept vereint die passive Solarenergienutzung mit aktiven Komponenten. Die Wärmeversorgung erfolgt durch einen Nahwärmeanschluss an die nahe gelegene Kunigundenschule und deren per Holzhackschnitzel regenerativ betriebene Kesselanlage. Die Warmwasserversorgung erfolgt in der Kita zentral mittels Frischwasserstation sowie dezentral, elektrisch in der Musikschule. Eine Lüftungsanlage mit Wärmerückgewinnung und einem Wirkungsgrad von bis zu 80 % für alle Gruppen und Musikräume verringert Lüftungsverluste und sorgt für einen kontrollierten Luftwechsel. Der Veranstaltungssaal ist zusätzlich mit einem CO2-Messfühler ausgestattet, um auf wechselnde Nutzerzahlen reagieren zu können. Die WC-Bereiche verfügen über ein separates Lüftungsgerät. Eine PV-Anlage ist auf dem Dach installiert. In Verbindung mit dem guten Wärmeschutz führten die Maßnahmen zu einem weit unterdurchschnittlichen Primärenergieverbrauch. Das Ziel, den Wärmebedarf des Neubaus um 30 % unter das Niveau des zum Planungszeitpunkt geltenden EnEV Anforderungswerts von 176,0 kWh/(m²a) zu senken wurde deutlich übertroffen: auf Werte im Passivhaus-Bereich von unter 55,0 kWh/(m²a) und somit 70 % unter EnEV 2009. Die Baukosten des gesam-ten Objektes liegen im Durchschnitt des Baukosteninformationszentrums Deutscher Architektenkammern (BKI) für Kindertagesstätten, inklusive des integrierten gesundheitlichen Qualitätskonzeptes und trotz der hochwertigen Ausstattung und der kostenintensiveren Musikschule mit Veranstaltungssaal.

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