Herausforderung als Chance – Nachhaltigkeit in der Tragwerksplanung
Nachhaltigkeit und Kreislaufwirtschaft sind ein großes Thema für die Planung von Hochbauprojekten. Dass auch die Tragwerksplanung in diesem Prozess eine große Rolle spielt und wie wichtig dies für den Umgang mit den zur Verfügung stehenden Ressourcen ist, beschreibt Patrick Teuffel im seinem Beitrag.
Graue Energie und Materialressourcen
Ein wesentlicher Einflussfaktor, der bisher in viel zu geringem Umfang betrachtet wurde, ist die graue Energie, das heisst, die Energie, die zur Herstellung, zum Transport und der Entsorgung der Baumaterialien benötigt wird. Während in den vergangenen zwei Jahrzehnten große Fortschritte erzielt wurden, wenn es darum ging, den Ener-giebedarf im Gebäudebetrieb zu reduzieren, wurde der Einfluss der grauen Energie bisher nur am Rande betrachtet (Abb. 02). Die Bedeutung der grauen Energie im Hochbau wird beispielsweise anhand von Lebenszyklusanalysen von verschiedenen Typen von Wohngebäuden untersucht und dargestellt [5]. Hierbei wird neben der Energie, die während der Nutzung (das heisst Instandhaltung, Ersatz, Energiebedarf in der Betriebsphase) benötigt wird, auch die Herstellung (das heisst Rohstoffaufbereitung, Transport und Herstellung des Baumaterials) sowie die Entsorgung (Abfallbewirtschaftung und -beseitigung) berücksich-tigt. Die Studie zeigt jedoch auch, dass es hier keine einfache Lösung und kein „Richtig“ oder „Falsch“ gibt, da die einzusetzende graue Energie (z. B. Massivbau vs. Leichtbau) unter Umständen widersprüchliche Optima gegenüber der zukünftig benötigten Energie während des Betriebs hat. Daher muss dies jeweils im Einzelfall von allen an der Planung Beteiligten untersucht und optimiert werden.
Aber nicht nur die Energie, die für die Herstellung der Materialien und Bauwerke benötigt wird, steht aktuell im Fokus, sondern auch die Verfügbarkeit der Materialressourcen selbst spielt eine große Rolle. So wird seit einigen Jahren vermehrt über die Knappheit von Sand berichtet, da sich der Bedarf in den letzten 20 Jahren auf ca. 40 – 50 Mrd. Tonnen pro Jahr verdreifacht hat [6]. Die scheinbar endlosen Sandvorräte in den Wüsten der Welt lassen sich aufgrund ihrer Beschaffenheit zum Großteil gar nicht für den Einsatz in Beton bzw. als Baumaterial verwenden.
Somit wird deutlich, dass sich in Zukunft auch die Tragwerksplanung stärker mit einem verantwortungsvollen Umgang mit den begrenzt vorhandenen Ressourcen beschäftigen sollte. Im Folgenden werden verschiedene Ansätze beschrieben, wie das erreicht werden kann.
RE-DUCE: Leichtbau und Optimierung
Neben der Optimierung der Struktur sind realistische Belastungsannahmen ein wesentlicher Einflussparameter bei der Entwicklung von ressourcensparenden Tragwerken. Zwar sind die anzusetzenden Lasten in Normen geregelt. Studien [4, 8] und praktische Erfahrungen zeigen jedoch, dass im Hochbau in den meisten Fällen die tatsächlich auftretenden (Verkehrs-)Lasten nur ca. 20 – 30 % derjenigen betragen, die aufgrund der Normung anzusetzen sind. Gleiches gilt auch bei der Annahme von Ausbaulasten durch die technische Gebäudeausrüstung.
RE-USE: Wiederverwendung und Kreislaufwirtschaft
Dies stellt auch die Bauwirtschaft vor eine große Herausforderung. Grundsätzlich kann das Thema der Wiederverwendung bzw. der Kreislaufwirtschaft auf drei unterschiedlichen Ebenen betrachtet werden: 1. Material, 2. Bauteil, 3. Bauwerk.
Die Möglichkeit des Materialrecyclings ist bei den unterschiedlichen Werkstoffen sehr verschieden: Während die Recyclingrate beim Baustahl bei 99 % liegt [12], ist die Wiederverwendung von Beton deutlich schwieriger zu realisieren, auch wenn hier in den letzten Jahren intensiv erfolgsversprechende Verfahren erforscht wurden [13].
Ebenso gibt es aktuell einige interessante Entwicklungen, bei denen einzelne Komponenten wiederverwendet werden: Im Rahmen des von der EU geförderten Forschungsprojekts BAMB (Buildings as material banks) wurde dies näher untersucht [14]. Auch hier werden Themen wie Kreislaufwirtschaft im Bauwesen, nachverfolgbare Materialströme, Rückbaukonzepte oder neue Geschäftsmodelle entwickelt. Ein sehr guter Überblick zur Recyclierbarkeit wird beispielsweise in
Die effektivste Möglichkeit, effizient mit Ressourcen umzugehen, besteht darin, bestehende Gebäude nicht abzureißen, sondern zu untersuchen, ob und wie diese umgenutzt werden können. In diesem Zusammenhang sollen auch noch einmal die drei Säulen der Nachhaltigkeit – Ökologie, Ökonomie sowie Soziales – betont werden. Hierzu wurde an der Technischen Universität Eindhoven eine Methode entwickelt, mit der das Umnutzungspotential systematisch untersucht und bewertet werden kann [16]. Dabei werden die einzelnen Bestandteile wie Tragwerk, Gebäudehülle oder die Haustechnik hinsichtlich verschiedener Indikatoren, wie Demontierbarkeit, Anpassungsfähigkeit oder weiterer Nutzbarkeit, untersucht und ihr Einfluss auf eine mögliche Umnutzung des Bauwerks bewertet. Die Auswertung dieser Bewertung gibt neben einem Einblick in das Umnutzungspotential des Bauwerks auch eine Vorstellung zur „Überlebenswahrscheinlichkeit“ des Gebäudes für die kommenden Jahrzehnte.
Ein prominentes Beispiel für die Umnutzung einer vorhandenen Struktur ist das Projekt Prora, Block 1 auf der Insel Rügen. Die ehemalige KDF-Anlage Prora aus dem Dritten Reich wurde umfangreich saniert. Bei der Sanierung wurden auch grundlegende konstruktive Eingriffe in die denkmalgeschützte Bausubstanz notwendig, die für die Tragwerksplanung große Herausforderungen darstellten. Um die Gesamtstruktur dauerhaft weiternutzen zu können, mussten beispielsweise teilweise bestehende Decken und Unterzüge in den Treppenhaustrakten entfernt und durch slim-floor-Decken ersetzt werden, um die aktuellen Anforderungen an die lichte Mindestgeschosshöhe zu erreichen.
Weiterhin wurden umfangreiche Bestandsuntersuchungen durchgeführt, um für die Planung zuverlässige Grundlagen, wie Materialgüte oder Karbonatisierungstiefe, zu bekommen. Die visuellen Prüfungen waren ebenso wie Laboruntersuchungen für die Ermittlung der Tragfähigkeit und zur Beurteilung des Sanierungsbedarfs notwendig. In [17] sind weitere technische Aspekte, wie der Neubau der Liegehäuser oder Maßnahmen im Rahmen der Sonderabdichtungen, beschrieben.
RE-NEW: Nachwachsende Rohstoffe
Eine weitere Möglichkeit, nachhaltige Tragwerke zu planen, ist die Verwendung von nachwachsenden Rohstoffen, wobei natürlich Holz eine schon lange bekannte Alternative ist und aktuell auch ein Revival erlebt. Allerdings sind auch hier die Möglichkeiten nicht unbegrenzt, da der hohe Baustoffbedarf nicht allein durch Holz abgedeckt werden kann. Neue Entwicklungsmöglichkeiten bieten hier beispielsweise faserverstärkte Verbundwerkstoffe, die aus Naturfasern und bio-basierten Harzen bestehen. So wurde auf dem Campus der Technischen Universität in Eindhoven 2016 eine Fußgängerbrücke mit 14 m Spannweite aus einem Hanf-Flachs-Verbundwerkstoff geplant und realisiert [18]. Im Rahmen dieses Projekts wurden verschiedene Harze sowie biobasierte Faser(-kombinationen) hinsichtlich ihrer mechanischen Eigenschaften untersucht und getestet, ob und wie diese für eine im öffentlichen Raum stehende Brücke, die alle normalen Genehmigungsprozesse durchlaufen muss, verwendet werden können. In einem aktuellen Forschungsprojekt wird mittels integrierter Dehnungsmess-Sensoren das Langzeitverhalten des Baustoffs, also das Kriechen, aber auch Einflüsse durch Feuchtigkeit oder UV-Einstrahlung überwacht und beurteilt [18]. Weitere interessante, natürliche Baustoffe wie Myzelium und einige andere werden in