Guten Rutsch! − Bewertung der Rutschgefahr von Fußböden im Betriebszustand
Nach dem Sturzunfall eines Kunden sollte gerichtlich geklärt werden, inwieweit ein Einzelhändler Maßnahmen zur Vermeidung von
Im Eingangsbereich eines Einzelhandelsmarktes war es bei Nässe zu einem Sturzunfall eines Kunden gekommen. Der Betroffene machte daraufhin Ansprüche gegen den Be
Der Eingang zu dem Einzelhandelsmarkt war gegenüber der Fassade des Gebäudes um knapp 80 cm zurückversetzt und überdacht. Der Zugang erfolgte über eine automatische Glas-Schiebetür (Bild 1). In dem Eingangsbereich außen vor der Schiebetür war ein gleichartiger Bodenbelag wie in dem
Der Werkstein-Belag besaß in dem Bereich außen vor der Schiebetür ein zum öffentlichen Gehweg gerichtetes, eindimensionales Gefälle, das sich auf etwa 10 % belief (Bild 4). In diesem Bereich hatte sich der Sturzunfall ereignet.
Zur Bestimmung der rutschhemmenden Eigenschaften des Werkstein-Belags wurden Messungen nach DIN 51131 [1] mit einem Gleitreibungsmessgerät GMG 200 SC durchgeführt (Bild 5). Als Gleitmittel wurde Wasser (NaLS-Wasser, bestehend aus einer 0,1 %- Lösung von Natriumlaurylsulfat in entionisiertem Wasser) verwendet. Die Prüfung erfolgte in zwei Zyklen. Dabei führten die Messungen auf dem ungereinigten Belag zu einem Gleitreibungskoeffizienten µ = 0,41. Vor Durchführung des zweiten Prüfzyklus wurde der Belag bereichsweise gereinigt. In dem betreffenden Bereich ergab sich dann ein Gleitreibungskoeffizient µ = 0,53. Die Prüfungen wurden jeweils in Gefällerichtung vorgenommen; eine Messung quer zur Gefällerichtung war nicht möglich.
Die Bewertung dieses Sachverhalts ist in technischer wie auch juristischer Hinsicht nicht so trivial, wie es vielleicht zunächst den Anschein hat. Zunächst ist zu klären, welche Anforderungen an die Rutschhemmung des Bodenbelags hier in Bezug auf die Kunden des Einzelhandelsmarktes existieren. Dabei ist auch relevant, auf welchen Zeitpunkt die Bewertung dann abgestellt werden soll: den Zeitpunkt der Herstellung des Bodenbelags, den Zeitpunkt der Übernahme des Einzelhandelsmarktes durch den aktuellen Betreiber oder den Zeitpunkt des Sturzunfalls? Wenn die Frage der Anforderungen geklärt ist, stellt
Aus technischer Sicht sind damit die folgenden Fragen zu klären:
- Wird der Boden durch gleitfördernde Stoffe – hier insbesondere Niederschlagswasser – beansprucht, wodurch sich die Rutschgefahr erhöht?
- Welche Anforderungen sind an den Boden zu stellen, damit ohne zusätzliche Maßnahmen eine ausreichende Rutschhemmung gegeben ist?
- Welche Eigenschaften weist der vorhandene Bodenbelag hinsichtlich der tatsächlich vorhandenen Rutschhemmung auf?
Der Eingang zu dem Einzelhandelsmarkt war gegenüber der Fassade des Gebäudes zurückversetzt und überdacht. Aufgrund des geringen Rückversatzes von nur 80 cm ist die Überdachung jedoch bereits bei geringen Windgeschwindigkeiten nicht mehr wirksam. Der Boden wird dann durch Niederschlags
Die Bauordnungen der Länder sowie die Musterbauordnung [3] enthalten die Anforderung, dass Gebäude „verkehrssicher“ sein müssen. Diese wenig konkrete Vorgabe wird
In den technischen Regeln für Arbeitsstätten (ASR) [4] heißt es: „Fußbodenoberflächen müssen unter Berücksichtigung der Art der Nutzung sowie der zu erwartenden gleitfördernden Stoffe, z. B. Wasser, Fett, Öl, Staub eine sichere Benutzung ermöglichen. Rutschgefahren können sich weiterhin beispielsweise durch Witterungseinflüsse im Außenbe
Zu Gebäudeeingängen wird in [4] konkret ausgeführt: „Gebäudeeingänge sind so einzurichten, dass der Eintrag von Schmutz und Nässe nicht zu Rutschgefahren führt. Dies kann durch Sauberlaufzonen in Form von Schmutz- und Feuchtigkeitsaufnehmern erreicht werden.“
Auf die in den technischen Regeln für Arbeitsstätten angesprochene R-Gruppe des Bodenbelags wird auch in der „BGR 181 – Fußböden in Arbeitsräumen und Arbeitsbereichen mit Rutschgefahr“ [5] verwiesen. Diese berufsgenossenschaftliche Regel be
In der BGR 181 [5] werden konkrete Anforderungen an die Rutschhemmung von Bodenbelägen gestellt, wobei unterschiedlichen betrieblichen Arbeits- und Verkehrsbereichen Richtwerte des erforderlichen Grades der Rutschhemmung zugeordnet werden. Die
Da zu dem vorhandenen Werkstein-Belag keine Unterlagen mit Zuordnung zu einer R-Gruppe zur Verfügung standen, verblieb somit die Möglichkeit einer Prüfung vor Ort. Diese kann auf Grundlage der DIN 51131 [1] in Verbindung mit der BGI/GUV-I 8687 [6] erfolgen. Bei der BGI/GUV-I 8687 handelt es sich um eine Information, anhand derer eine Bewertung der Rutschgefahr unter betrieblichen Bedingungen im Sinne einer Gefährdungsbeurteilung durch einen Arbeitgeber
Damit besteht die Möglichkeit, die rutschhemmenden Eigenschaften eines vorhandenen Bodenbelags im Betriebszustand zu prüfen und zu bewerten, auch wenn keine Unterlagen zu dem Belagsmaterial vorliegen. Die zugrunde liegenden Regelungen zielen allerdings auf die Unfallverhütung bei Arbeitnehmern ab. Dieser Bezug auf Arbeitsstätten bleibt hier bei der rein technischen Beurteilung unberücksichtigt. Das heißt, es werden ausschließlich die technischen Bewertungsmaßstäbe der BGI/GUV-I 8687 [6] zur Beurteilung herangezogen. Anhand dieser rein technischen Bewertungsmaßstäbe kann die Frage beantwortet werden, ob es zum Zeitpunkt des Unfalls aufgrund der Rutschhemmung des Bodenbelags sowie des Gefälles erforderlich gewesen wäre, Maßnahmen zu ergreifen. Die Frage der Übertragbarkeit der auf Arbeitnehmer abzielenden Regelungen und Bewertungsmaßstäbe auf den Sturzunfall des Kunden stellt eine Rechtsfrage dar. Im vorliegenden Einzelfall hatte das Gericht angedeutet, dass eine Übertragbarkeit gegeben sein könnte. Dies ist aus technischer Sicht auch plausibel: Warum sollten für Kunden hinsichtlich der Unfallverhütung hier andere Bewertungsmaßstäbe angelegt werden als für Arbeitnehmer?
Die vorgenommenen Messungen auf dem geneigten Bodenbelag in Gefällerichtung ergeben geringere Gleitreibungskoeffizienten
Im Resultat ist der vorhandene Bodenbelag selbst uneingeschränkt betriebstauglich, aber es ergibt sich bereits durch eine kaum sichtbare Verschmutzung des Belags eine signifikante Verschlechterung seiner Rutschhemmung. Dann sind fallweise besondere Maßnahmen zweckmäßig. Nasse Witterung mit Niederschlägen kann einen solchen Fall darstellen. Wasser auf dem Belag stellt eine erhöhte Rutschgefahr dar; dies ist auch für einen Laien erkennbar. Insofern wäre es bei Nässe zweckmäßig gewesen, z. B. eine Sau
Die Frage, ob hier gegebenenfalls über die z.B. zeitweise Auslegung von Sauberlaufmatten hinaus eine Instandsetzung des Bodenbelags erforderlich ist, stellt eine Rechtsfrage dar. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass der dauerhafte Erhalt rutschhemmender Eigenschaften eines Belags aufgrund der mechanischen Einwirkungen nicht sichergestellt ist. Soweit eine Verbesserung der Rutschhemmung des Bodenbelags vorgenommen werden soll, ist dies bis zu einem gewissen Grad auch nachträglich möglich. Es gibt hierfür geeignete mechanische und chemische Verfahren. Anderenfalls wäre eine Erneuerung des Bodenbelags erforderlich.
Literatur
[1] DIN 51131:2014-02: „Prüfung von Bodenbelägen – Bestimmung der rutschhemmenden Eigenschaft – Verfahren zur Messung des Gleitreibungskoeffi-
zienten“
[2] DIN 51130:2014-02: „Prüfung von Bodenbelägen – Bestimmung der rutschhemmenden Eigenschaft – Arbeitsräume und Arbeitsbereich mit Rutschge-
fahr – Begehungsverfahren – Schiefe Ebene“
[3] Musterbauordnung (MBO) in der Fassung 11/2002, zuletzt geändert durch Beschluss der Bauministerkonferenz vom 13.05.2016
[4] ASR A1.5/1,2 „Fußböden“, Ausgabe 02/2013, letzte Änderung 06/2017
[5] Hauptverband der gewerblichen Berufsgenossen- schaften, Fachausschuss Bauliche Einrichtungen: „BGR 181 – Fußböden in Arbeitsräumen und Arbeitsbereichen mit Rutschgefahr“, 10/2003
[6] Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung e.V. (DGUV): „BGI/GUV-I 8687 – Bewertung der Rutschgefahr unter Betriebsbedingungen“,
Fassung 01/2011
Anforderungen an die Rutschhemmung des Bodenbelags bestehen (neben z. B. Schulen, Sportstätten oder Schwimmbädern) im Wesentlichen an betriebliche Bereiche zum Schutz der Arbeitnehmer vor Sturzunfällen. Eine allgemeine Übertragung dieser Anforderungen auf öffentlich zugängliche oder gar private Bereiche ist nicht statthaft. Je nach Nutzung und Randbedingungen kann es jedoch zweckmäßig sein, sich an den Anforderungen des Arbeitnehmerschutzes zu orientieren, um Sturzunfälle zu vermeiden.
Die Bewertungsgruppen R9 bis R13
(R-Gruppen) einerseits und der Gleitreibungskoeffizient andererseits stellen für sich gesehen jeweils völlig unabhängige Bewertungsmaßstäbe dar. Dabei dient die im Laborversuch nach DIN 51130 ermittelte R-Gruppe vorrangig der Zuordnung von Produkten zu den Anforderungen an die Rutschhemmung, die z. B. in der BGR 181 [5] festgelegt sind. Der im Betriebszustand vor Ort nach DIN 51131 ermittelte Gleitreibungskoeffizient kann zur Bewertung der Rutschgefahr unter Betriebsbedingungen verwendet werden, wobei eine Beurteilung der Prüfwerte z. B. auf Grundlage der BGI/GUV-I 8687 [6] vorgenommen werden kann. Die Zuordnung eines Belags aufgrund der nach DIN 51131 gemessenen Gleitreibungskoeffizienten zu einer R-Gruppe nach DIN 51130 ist nicht möglich.