Einheit und Vielfalt
Kindertagesstätten Martin Niemöller
und Niddaforscher, Frankfurt a. M.

Zwei Kindertagesstätten in Frankfurt a. M., kurz hintereinander in sehr verschiedenen städtebaulichen Situa­tionen mit demselben Baukastensystem geplant, suchen die jeweils richtige Antwort für „ihren“ Ort. raum-z architekten konzipierten im Rahmen eines
Wettbewerbs ein System, dass so viel Typisierung
wie nötig enthält und so viel Individualisierung wie möglich erlaubt.

Am Anfang stand ein Wettbewerb: ein Baukastenystem für zehn Kitas

Es ist ein viertel Jahrhundert her, dass Thomas Zimmermann seinen ersten Kindergartenwettbewerb gewann; über 20 hat sein Büro inzwischen realisiert (s. Standpunkt Seite 24). Und doch markiert ein im August 2009 entschiedener und von der Stadt Frankfurt a. M. ausgelobter Wettbewerb für ein „Baukastensystem für den Neubau von ca. zehn Kindertagesstätten“ einen Wendepunkt im Schaffen der Kita-Profis. Denn nicht erst seit dem gesetzlich geregelten Anspruch auf einen Kitaplatz müssen sich Städte und Gemeinden etwas einfallen lassen. Bei Sporthallen hatte Frankfurt das Vorgehen nach dem Baukastenprinzip schon praktiziert, nun sollte es für Kitas angewendet werden. Das modulare Prinzip hilft sparen: Vorfertigung und kurze Bauzeiten sind die Stichworte. Das System soll aber auch Nachhaltigkeit fördern und durch die in Frankfurt a. M. für öffentliche Bauten obligatorischen Passivhausstandards zukunftsfähig sein. Ein Baukasten, der je nach Einsatzort an dessen unterschiedliche pädagogische, organisatorische, technische und städtebauliche Anforderungen angepasst werden kann, war gefragt: An drei verschiedenen, sogenannten Musterstandorten musste das von den beteiligten Architekturbüros entwickelte System durchexerziert werden; auch die prinzipielle Weiterverwendung mit anderen Nutzungen (Pflegeheim, Studentenwohnheim, ...) war nachzuweisen. Es gab eine Vielzahl von Bewerbern, 23 Büros gaben schließlich ihre Konzepte ab. Die Jury, der der inzwischen verstorbene Carlo Weber vorsaß und in der u. a. Dietmar Eberle und Peter Cheret mitstimmten, vergab fünf gleichrangige Preise. Drei Teams, darunter raum-z
architekten, wurden nach Überarbeitung beauftragt und haben inzwischen mit den von ihnen entwickelten Systemen ein Dutzend Kindertagesstätten in Frankfurt gebaut, die Hälfte davon wurde von raum-z geplant. Deren Entwurf wurde vom Preisgericht u. a. gelobt für die „gute Einfügung der Baukörper in die städtebauliche Umgebung der verschiedenen Standorte“. Besonders schön zu begutachten ist das am Riedberg und in Heddernheim. Aber zuerst zum Grundsätzlichen …

Individualisierung trotz System

Für Thomas Zimmermann war es wichtig, ein System zu entwickeln, dass die Vorteile der Serie bietet und trotzdem flexibel genug ist,
um dem Ort geschuldete Variationen zu ermöglichen. Schließlich
ist jedes Grundstück anders, es geht um Räume für Kinder, um Bildungsbauten. Für Zimmermann verbietet sich da die sture Wieder-holung des immer Gleichen von selbst. Er erläutert, warum sich das raum-z-System so gut in unterschiedliche städtebauliche Situationen einfügt: „Das Grundkonzept ist linear, es gibt eine einheitliche Gebäudetiefe von 15,60 m, die sich in vier unterschiedlich tiefe Zonen aufteilt. Das Herz sind die einheitlichen, zweigeschossigen, 12 x 6,60 m großen Grundmodule für die Gruppen- und Mehrzweckräume in der ‚Südzone‘, die sich zusätzlich in der Länge unterteilen lassen. Ihnen zugeordnet sind die zweigeschossigen Garderoben- und Stauraumtürme mit einer Tiefe von 2,40 m, sie stehen in den Lufträumen der ‚Flurzone‘, die oben und unten verbinden. Die 1,80 m tiefe Flurzone und die 4,80 m tiefe ‚Nordzone‘ mit den dienenden Räumen schließen sich an. Über die Breite der Zwischenräume zwischen den 12-m-Modulen – hier sind Breiten zwischen 2,40 m und 12 m möglich – lässt sich die Länge des Gesamtbaukörpers an das jeweilige Grundstück anpassen, er erfährt so seine erste ortstypische Ausprägung.“ Großflächige Verglasungen machen die möglichst nach Süden liegenden Gruppenräume hell und großzügig und schaffen fließende Verbindungen nach außen. Die dienenden Räume wie Büro, Küchen- oder Technikräume sind auch aus energetischen Gründen mit kleineren Fenstern versehen. Die Flure mit ihren Lufträumen und senkrecht durchgesteckten farbigen Garderobenkörpern liegen Zimmermann besonders am Herzen: „Sie sind die besonderen Raumkompositionen im Inneren des Gebäudes und werden durch farbliche Akzente betont. Ihre hellen und freundlichen Farben, z. B. verschiedene Gelb- und Orangetöne, unterscheiden die einzelnen Gruppen und dienen den Kindern als Orientierungshilfe“. Im Wettbewerb schlugen raum-z architekten vor, die Module als elementierte Holztafel-Massivbaukonstruktion auszubilden und durch einen langen, schmalen, zweigeschossigen Betonkern auszusteifen, der auch als Speichermasse dienen und die Gestalt der Halle prägen sollte. Doch wie so oft kam es bis zur Realisierung zu vielen Änderungen, gebaut werden die Baukasten-Kitas von raum-z nun ganz konventionell in Mauerwerk und Stahlbeton. Material und Konstruktion der äußeren Hülle, ob Wand oder Dach, sind aber nach wie vor frei wählbar und bestimmen die ortstypische Erscheinung. Hinzu kommt im Inneren die Anwendung unterschiedlicher Farben und Materialien für die Treppen und Einbaumöbel, die Böden, Wände, Decken.

Kindertagesstätte Martin Niemöller

Kein anderer Stadtteil der Mainmetropole wächst so schnell wie der im Norden Frankfurts liegende Riedberg, ein seit 1994 geplantes Quartier auf der grünen Wiese, in dem ab Mitte der „Nuller Jahre“ die ersten Bauten entstanden. Die letzte Phase der städtebaulichen Entwicklungsmaßnahme hat begonnen – 2017 werden hier 15 000 Menschen in etwa 6 000 Wohneinheiten leben. Die Frankfurter Universität hat hier ihren naturwissenschaftlichen Campus, es gibt Schulen und ein rundes Dutzend Kindertagesstätten. Als raum-z mit den Planungen für die zweigeschossige Kita mit sechs Gruppen- und einem Mehrzweckraum begann, gab es im umliegenden Karree im Viertel „Altkönigblick“ noch nicht allzu viele Häuser, sie stand noch allein auf weiter Flur. Platz ohne Ende? Fehlanzeige! Auf dem Riedberg musste das Konzept seine Flexibilität unter Beweis stellen. Das vorgesehene Grundstück zwang dazu, das lineare System des Baukastens zu durchbrechen; ein willkommener Anlass für die Architekten, das Lob des Preisgerichts in die Tat umzusetzen. Zimmermann dazu: „Unser Wettbewerbsentwurf ist linear aufgebaut. Wegen des kleineren Grundstücks mussten wir eine Alterna­tive entwickeln. Für uns ein Glücksfall, da durch die geänderte Anordnung der Räume eine neue architektonische und räumliche Qualität entstand.“ Die drei Gruppenräume für die Über-Dreijährigen liegen im Erdgeschoss, zwischengeschaltet sind die dazugehörigen Rückzugs- und Sanitärräume. Darüber liegen die drei Gruppenräume für die Unter-Dreijährigen. Das alles sowie die Küche, Verwaltung und die Nebenräume sind „systemkonform“ in dem langgestreckten Baukörper entlang der Martin-Niemöller-Straße aufgereiht. Der obligatorische Mehrzweckraum aber musste, dem Grundstück sei´s gedankt, davor gestellt werden. Auf seinem Dach ist nun eine großzügige Spielterrasse, der entstehende Versatz in der weitgehend geschlossenen Nordfassade definiert nun auch den Haupteingang. Thomas Zimmermann freut sich nicht nur darüber, auch, dass die Kita mit Sichtmauerwerk gebaut werden konnte, ist für den Architekten ein Glück. „Obwohl es kurzfristig betrachtet teurer war, konnten wir den Bauherrn überzeugen. Rechnet man die zusätzlichen Kosten
auf die Lebensdauer des Gebäudes um, hat man ein preiswertes Material für
die Fassade“.

Kindertagesstätte Niddaforscher

Kaum 4 km weiter südlich, Richtung Innenstadt, steht die Baukasten-Kita „Niddaforscher“; ihr Name leitet sich vom nur 150 m entfernten Flüsschen ab, das bei den Frankfurtern wegen seiner idyllischen Auen sehr beliebt ist. Vom im Blockinneren gelegenen, sehr verwinkelten Kitagrundstück bleibt die Nidda allerdings unsichtbar. Auch die in unmittelbarer Nachbarschaft liegende, von Autos und der hier oberirdischen U-Bahn stark befahrene Dillenburger Straße ist (zum Glück) kaum zu sehen, Wohnungsbauten der 1960er-Jahre verdecken sie gnädig. Das vieleckige Grundstück an der Schnittstelle von Heddernheim und Eschersheim wurde lange von den Kindern der Anlieger als informeller Spielplatz benutzt, keinem der Nachbarn wusste, dass dies ein eigenes, städtisches Grundstück war. Entsprechend groß war der anfängliche Widerstand, als die Pläne zum Bau einer Kita für fünf Kindergartengruppen an dieser Stelle bekannt wurden. Für die raum-z architekten lag die Herausforderung darin, ihr im Grundsatz lineares System an das polygonale, recht kleine Grundstück und dessen gewachsenes Umfeld anzupassen. Heraus kam eine „Intarsie im grünen Innenraum des Wohnblocks“ (Zimmermann), eine Konfiguration, bei der ein Gebäudeteil schmaler und im rechten Winkel zum „reinen“ Riegel angeordnet ist. Anders als am Riedberg – und wie im Wettbewerbskonzept vorgesehen – liegen hier die Sanitärräume losgelöst von den Gruppenräumen, jenseits des (Spiel-)Flurs, der deutlich schmaler ausfallen musste. Die Fassade ist hier farbig verkleidet. Und auch die Balkone kommen noch ohne die am Riedberg (wegen inzwischen geänderter Brandschutzanforderungen) schließlich geforderten zusätzlichen Fluchttreppen an den Kopfenden aus.

Zimmermann, der lieber vom Kindergarten als von der in seinen Ohren nach DIN und Unfallverhütungsvorschriften klingenden Kindertagesstätte spricht, ist froh, schon so lange für Kinder planen und bauen zu dürfen. Und auch das Ausreizen des Baukastens macht ihm Spaß. Denn ohne Spezielles werden Prinzipien schnell langweilig. Christof Bodenbach, Wiesbaden

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