Einfach mal grün
Soviel Wollen war nie: Den Wandel vorantreiben durch Aufklärung, lange scheint das her. Und doch auch wieder im Kommen, so jetzt in zahlreichen Architekturausstellungen, die auf das große Fragezeichen „Wie weiter?“ Antworten geben wollen. Eine davon steht, zurzeit verschlossen, in Frankfurt a. M. im Deutschen Architekturmuseum, Thema: Grün in die Stadt bringen. Mit zwei der drei Kuratoren sprachen wir über das didaktische Ziel, über Jedermann-Möglichkeiten und die Motivation der Planer, beim Begrünen mitzumachen.
Mit Blick auf diese Ausstellung frage ich mich, ob Grün das neue Schwarz ist?
Peter Cachola Schmal (PCS): Schöne Frage. Ist Grün das neue Schwarz? Wahrscheinlich ja.
Rudi Scheuermann (RS): Ja, aber wir wollen hier nicht die Frage der Farben, also Ästhetik oder Berufsklischees diskutieren. Es geht um Wesentlicheres. Es tut schlicht Not, dass wir Grün in die Stadt bringen. Das ist aus meiner Sicht eine infrastrukturelle Notwendigkeit.
Ja? Wenn ich auf aktuelle Wettbewerbe schaue, scheint ein großer Neubau ohne sichtbares Grün gar nicht mehr denkbar zu sein.
RS: Perfekt, das hört sich doch sehr gut und vielversprechend an. Offenbar haben damit alle, die sich um die Gebäudehülle-Begrünung bemühen, irgendwann doch etwas richtig gemacht.
PCS: Ein Stichwort in diesem Zusammenhang ist häufig das „Green washing“. Dieser Vorwurf stimmt aus meiner Sicht nicht. Wenn Politiker in Stuttgart oder Brisbane oder in Singapur die Entscheidung treffen, dass das Grün der Fassaden 30 % der Fassadenfläche einnehmen soll, dann haben die Architekten die Pflicht, sich mit dem Thema zu beschäftigen und das, was sie bisher vielleicht ihre Rendering-Abteilungen haben machen lassen, nun auch umzusetzen. Ja, manche Büros lassen schon einmal Grünflächen rendern, die auf 2 cm dicken Terrassenflächen wurzeln. Wenn nun die Bauherrn von ihnen begrünte Fassaden verlangen, werden sie sich spätestens dann in dieses auch technisch sehr anspruchsvolle Thema einarbeiten müssen. Beispielsweise, dass Pflanztröge eine gewisse Tiefe und Breite und Dicke und ein durchaus hohes Gewicht haben. Green washing, das mit Bildern arbeitet, wird in der Realisierung unmöglich. Ich sehe da gute Dinge auf uns zukommen.
Sehen wir hier im DAM grüne Projekte, die schon Standard sind? Oder eher die Startblöcke, von denen aus wir weiterspringen sollten?
PCS: Best Practice natürlich.
RS: Uns war klar, dass wir nur gebaute und realisierte Projekte zeigen. Wir wollen zeigen, dass es geht und dass es schon überall gebaut wird. Die Beispiele sollten nicht alle super-exotisch sein, wir haben viele lokale Beispiele dabei. Insofern gibt es den Startblock, von dem aus wir losspringen sollten, wie du sagst. Wir wollen aber auch auf das schauen, was noch möglich ist.
Können wir nach Besuch der Ausstellung tatsächlich nachvollziehen, welche Maßnahme für das Quartier, für die Stadt, für die Gesellschaft etc. welchen Wert hat? Auch den ökonomischen?
RS: Ich glaube, so analytisch ist das Ganze nicht, schon weil es extrem schwer ist, eine Vergleichbarkeit der Projekte herzustellen. Wir haben aber – gerade für den „Call for Projects“ – eine Art von Bewertungskatalog erstellt, der den Einreichern eine Orientierung und uns, die wir die ganzen Fakten hier veröffentlichen, einen guten Einblick in den Stand der Dinge gibt.
Was wurde, was wird abgefragt? Der „Call for Projects“ läuft ja noch?
RS: Ja, der läuft noch auf www.einfach-gruen.jetzt. Wir haben gefragt, was es gekostet oder wieviel Zeit man gebraucht hat ...
PCS: ... welche Flora, welche Fauna ist dort. Welche Vorteile gibt es? Das alles bezieht sich durchaus auf ganz kleine Dinge, das Gründach einer Garage, Rankpflanzen, die nach 30 Jahren das ganze Haus erobert haben, anderes. Ja, unsere eingesammelten Projekte füllen eine Datenbank, es kommen täglich neue hinzu.
Vielleicht ist die Datenbank, gefüllt mit privaten Häusern, etwas Neues. Aber ist das Grün im Architekturdiskurs und damit auch in den realisierten Projekten überhaupt so neu? Es gibt historische Grünkonzepte!
PCS: Wenn du als historisch die Grünwelle ab Mitte der 1975er-Jahre in Westdeutschland gelten lässt … Aus diesen Jahren kommen die frühen Pioniere, die ihre Heimat vor allem in Südwestdeutschland hatten, Freiburg, Tübingen. Und natürlich gab es Einzelpositionen; Friedensreich Hundertwasser wäre hier zuerst zu nennen.
RS: Historisch gesehen kommt man auf die Rankgerüste, im Jugendstil war das ein beliebtes Thema …
PCS: ... Goethes Gartenhaus in Weimar ...
RS: Ja, man hat die Häuser immer schon bepflanzt, mit Wildem Wein oder Efeu.
Aber das folgte zuerst ästhetischen Fragen?
RS: Das war eine ästhetische Diskussion und ist es meines Erachtens an vielen Stellen bis heute. Unsere Ausstellung will diesen Fokus nun erweitern; wir wollen zeigen, dass wenn der infrastrukturelle Wert der Begrünung für die Stadt und für das Kleinklima mehr in den Vordergrund gerückt werden würde, man verstehen könnte, dass das infrastrukturelle Grün eine wichtige Funktion einnimmt. Die Natur liefert uns Kühlung, Luftfilterung, auch akustische Dämpfung. Das ist superwichtig für uns, wenn wir in immer dichter werdenden Städten leben wollen. Das unterstützt zudem unser Ziel, einmal CO2-neutral zu werden. Aber auch ist klar, dass das Grün in der Stadt dieses Ziel alleine nicht erreichen kann.
Was ist die Absicht dieser Ausstellung, wer steckt mit welchem Ziel dahinter?
PCS: Die großen Ziele … Wir wollen das bewusst kleiner. Die Idee ist, dass jeder zum Grün in der Stadt beiträgt, auch wenn er nur ein Mieter ist. Auch wenn er nichts besitzt, aber einen Minibalkon hat oder das Schwarzdach einer Garage nebenan. Das ist ja die These von Rudi Scheuermann: Jeder kann etwas tun und es ist ganz schön einfach und muss auch nicht teuer sein. Diesen Ansatz, dass jeder etwas tun kann, den fanden wir hier gut, haben den fördern und eine Ausstellung daraus machen wollen. Das haben wir vom DAM in den letzten Jahren mit unseren Ausstellungen schon oft und mit Erfolg unternommen, die Bürger zu motivieren: Euch interessiert das Thema Fahrradverkehr?! Du kannst etwas tun! Und dieses Du kann größer werden, es kann politisch Einfluss nehmen. Dann muss die Politik darüber diskutieren, dann könnte eine Stadt sich ändern und das ist mit dem Grün genauso.
Und dann werden Programme aufgelegt, die meist nicht in Anspruch genommen werden.
PCS: Ich habe das Programm „Frankfurt frischt auf“ nicht ausprobiert. Es wird da einen bürokratischen Aufwand geben, man bekommt von seiner Stadt nicht 5 000 € geschenkt, wenn man nur eine halbe Formularseite ausfüllt.
RS: Zentral ist, dass die meisten von diesen Möglichkeiten gar nichts wissen. Vielleicht machen wir auch deshalb diese Ausstellung, die wegen Corona leider noch geschlossen ist. Aber: Weil sie virtuell präsentiert wird, hat sie eine gute Reichweite, vielleicht sogar eine größere, als wäre sie analog besucht. Der Blick auf die Verkaufszahlen des Katalogs unterstreicht das überdurchschnittlich hohe Interesse.
Wen spricht die Ausstellung an?
PCS: Jeden Mann und jede Frau. Und die Kinder, uns alle also.
Weil wir alle Grün in unsere Städte bringen können/sollen?!
RS: Wenn wir CO2-neutral werden wollen, müssen wir die Bestandseigentümer und die Bestandsnutzer aktivieren. Wir können also nicht auf die 1 % Neubau setzen. Wir müssen den Bestand aktivieren. Und wie? Bestimmt nicht, indem man Vorschriften macht, das dauert ewig. Also müssen wir an den Verstand der Leute appellieren, die die Gebäude nutzen oder sie besitzen. Das machen wir mit dem „Call for Projects“ aus dieser Ausstellung hinaus. Wir wollen jede Pflanze; auch deine Geranie auf dem Balkon zählt, auch der Blumentopf in der Ecke, die Flachdachgarage, der begrünte Innenhof und die Fassadenbegrünung. Wenn wir die überbaute Fläche wieder ans Grün zurückgeben wollen, dann brauchen wir 20 % der Gebäudehülle. Und diese 20 % versuchen wir zu aktivieren.
Und die PlanerInnen? Sind die nicht unterfordert mit Geranien auf dem Balkon?
RS: Wir sprechen die Planer hier schon sehr konkret an. Stichworte sind die Fassaden- und Dachbegrünung, also die grüne Gebäudehülle. Dazu stellen wir hier verschiedene Systeme vor. Dabei wollen wir nicht dogmatisch vorgehen, sondern Vielfalt, Phantasie und Innovationen fördern.
Sind denn die PlanerInnen vom Grün am gerade eben nicht grünen Haus zu begeistern?
PCS: Wahrscheinlich muss das über die Nutzer gehen. Wir haben mit der hier gezeigten Kita Sossenheim von Christoph Mäckler aus dem Jahr 1988 ein schönes Beispiel. Das Haus haben Anfang der 1990er-Jahre die Nutzer begrünt, 30 Jahre später sieht es traumhaft aus. Aber man erkennt noch die geo-metrische Markanz des Mäckler-Entwurfs, auch wenn die Details überwuchert sind. Klar, nicht alle Architekten werden begeistert sein.
Wie reagieren deutsche Fassadenhersteller auf das Thema? Gab es Kooperationen?
RS: Viele Fassadenhersteller haben mittlerweile erkannt, dass da ein Potential für sie ist. Sehr schnell gehen einige davon in teure, technisch aufwendige Systeme, die einen guten Umsatz gewährleisten. Nichtsdestotrotz bin ich aber um jede Initiative froh, die industrieseits das Thema vorantreibt und die Möglichkeiten auf dem Markt verbessert, denn es gibt tatsächlich gar nicht so viele Systeme. Die, die wir hier zeigen, werden als Prototypen ausgestellt. Sie sollen die Industrie motivieren, mit uns zu sprechen und gemeinsam ein System weiterzuentwickeln und zur Marktreife zu führen. Und da gibt es Interesse, ganz klar.
Die Ausstellung ist vom Start an als Wanderausstellung konzipiert?
PCS: Das war von vornherein klar. Unsere „Fahr Rad“-Ausstellung wandert immer noch. Davor gab es die Ausstellung Gemeinschaftliches Wohnen, Wohnen für Ältere. Die wanderte auch. Anfragen sind da, aus Stuttgart, München und Düsseldorf. Wenn mehrere Städte zur gleichen Zeit wollen, müssen wir neu produzieren. Ich weiß, dass noch weitere folgen werden. Denn das ist allen klar: Die Sommer werden warm werden! Noch ist Corona das Thema, aber nach Corona kommen wieder die Hitzewelle und der Klimawandel.
Zurück zur Gartenstadt?
PCS: Na ja, wer ein Gartenhäuschen hat, der wird dort wohnen. Und zwar seit Corona-Monaten.
Mein Gartenhaus, meine sichere Insel …
RS: Nein, die Gartenstadt ist vielleicht ein Traum, aber nicht die Lösung. Wir haben schlicht die Fläche nicht, um weiträumig mit Gartenstädten zu arbeiten. Wir müssen Lösungen finden, die adäquat sind für die dichte Innenstadt. Die – konträr zum Gartenstadtidyll – auch Vorteile mit sich bringen, Chancen. Dichte Städte sind in allem sehr effizient. Grün in der Stadt sorgt für Kühlung ganzer Quartiere, für sauberere Luft, für eine akustische Dämpfung. Mit diesen drei Komponenten können wir die Gebäude wieder stärker natürlich lüften, weil wir sauberere, ruhigere und weniger heiße Luft haben. Und dadurch können wir Energiefresser, wie die künstliche Klimatisierung, verdrängen. Aber noch einmal: Grün allein reicht nicht aus; es wird andere Komponenten für das Ziel einer CO2-Neutralität geben müssen.
Wohin fahren wir, wenn wir „einfach grün“ erleben wollen? Habt Ihr Reisetipps?
RS: Ich könnte da viele Städte nennen, aber vielleicht sind diese nur aus den kurzen Besuchen heraus gesehen attraktiv, wir leben ja meist in nur einer. Ich war sehr überrascht von Singapur.Dort habe ich erleben können, dass grüne Städte extrem attraktiv sind, weil sie gut klimatisiert sind, weil die Menschen in der Nähe ihrer Wohnung Grünflächen haben, weil dort das Stressniveau niedrig und Aggression eher selten zu spüren ist. Diese Lebensqualität kann man in Singapur am eigenen Leib erfahren.
PCS: Manchmal brauchen wir großen Druck, um etwas in Gang zu setzen. Vor zwei Jahren habe ich noch über den Verein „Umwelthilfe“ geschimpft, dass eine Handvoll Menschen es unternommen hat, die Städte zu erpressen mit ihren Klageandrohungen. Inzwischen sehe ich aber, dass dieser kleine Verein es geschafft hat, die Städte dazu zu bringen, Maßnahmen zu ergreifen. Um nicht angeklagt zu werden, um nicht eine Dieselsperre zu bekommen. Es gibt nun Fahrradmasterpläne und Flotten von E-Bussen oder Tempo 40 in Frankfurts Innenstadt. Unsere Städte werden in einer Geschwindigkeit transformiert, wie man das nicht für möglich gehalten hätte.
Aber zu deiner Frage: Paris wird gerade umgebaut zu einer 15-Minuten-Stadt mit Fahrradwegenetz und so weiter. Man muss nicht ein tropisches Beispiel nehmen wie Singapur, das man mit unseren Alltagsbedingungen nicht gut vergleichen kann. Ich nenne mit Paris noch Kopenhagen, Utrecht, Amsterdam oder demnächst Mailand. Rom und Madrid sind aktiv … Also es gibt auf einmal eine Reihe großer europäischer Städte, die diese Themen umsetzen. Und wenn man in Paris bei 10 Mio. Bewohnern etwas umsetzen kann, dann kann mir doch keiner erzählen, dass das bei 500 000 Einwohnern schwerer ist.
Eine Mentalitätsfrage?! „Einfach grün“? Ich denke ja. Auf geht’s!
Mit Peter Cachola Schmal, Direktor des DAM, und Rudi Scheuermann, Arup Fellow, unterhielt sich DBZ-Redakteur Benedikt Kraft am 24.02 2021 im beinahe leeren Museumsfoyer.