Ein Haus der neuen Arbeitswelten
Zentrum für Virtual Engineering, Stuttgart

Das neue Zentrum für Virtual Engineering (ZVE) ist mehr als nur ein weiteres Forschungsgebäude auf dem Campus von Stuttgart-Vaihingen. Als ein „Living Lab“ versteht es sich, das nicht nur virtuell, sondern auch sehr physisch die Arbeitswelten von Morgen erforschen will.

Wie werden unsere Arbeitswelten in fünf oder zwanzig Jahren aussehen? Diese Frage beschäftigt heute viele Unternehmen und Forscher, die den Wandel von der Industrie- zur Wissensgesellschaft als Chance begreifen. Weniger Güter als Köpfe scheinen nun gefragt, die sich mit ihrer Individualität und Kreativität von der Masse und ihren Standards abzusetzen verstehen. Den Unternehmen über neue Dienstleistungen und Technologien neue Märkte zu erschließen, dies ist heute das Credo intelligenter Unternehmensführung, wenn sich die reine Güterproduktion im Zuge der Globalisierung immer mehr in andere Teile der Welt verlagert. Wissen und dessen optimierte Kommunikation sind die neuen Zauberworte einer Gesellschaft, die zwischen sozialer Verunsicherung und technologischer Glücksverheißung vor allem nach neuen Ideen verlangt.


Der Bauherr

Mit seinen Ideen und Konzepten für neue Arbeitswelten hat sich das Fraunhofer Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation (IAO) in Stuttgart einen Namen gemacht. Es versteht sich als Forschungs- und Beratungsinstitut, das sich mit seinen Projekten „Office21“, „FutureHotel“ oder „Morgenstadt“ stets am Puls der Zeit an neuen avancierten Lösungen arbeitet, was auch die Weiterentwicklung neuester Technologien mit einschließt.

Nicht von ungefähr befindet es sich in Baden-Württemberg, genauer auf dem Campus Stuttgart-Vaihingen, der für Hochleistungsforschungen steht, wo die Idee der Stadtland­schaft zwar bislang wenig Stadt, aber dafür im weiten Parkgrün umso erstaunlichere Vorzeigebauten hervorbrachte. Hier baute Frei Otto das Institut für Leichte Flächentragwerke (1964), das Atelier 5 die Mensa und Studentenwohnheime und Günther Behnisch das Hysolar-Institut (1987).

Doch wohl weniger die prominenten Nach­barn als 2006 der große Erfolg des Mercedes Benz-Museums in Stuttgarts Talkessel veranlassten das IAO seine Baupläne für sein neues Zentrum für Virtual Engineering (ZVE) zu revidieren. Eine Architekturikone wünschte man sich nun aus der Hand des Stararchitekten Ben van Berkel, wo man zuvor eher unscheinbar baute und just einen Architekturwettbewerb zugunsten der erfahrenen Hochschulbauer ASPlan entschieden hatte. Zu einem Team wurden ASPlan und UNStudio, die mit erkennbaren Vergnügen und in enger Zusammenarbeit mit dem Fraunhofer Institut das Projekt in zahlreichen Workshops mit viel neu entwickelter Virtual Reality als eine Forschungsplattform wechselnder Inhalte völlig neu konzipierten. Ein Modellprojekt hinsichtlich seines komplexen Planungsprozesses, seines „Virtual Architecture Engineerings“ und gebäudetechnischen Ausstattung, das schon früh das viel begehrte DGNB-Zertifikat in Gold erhielt (siehe Artikel Konstruktion).


Die Architektur

Körperliche Torsionen und weite Kurven, facettenreich gefaltete Fassaden und höchst kurzweilige Diagonalen der Erschließung finden sich am ZVE wie am Mercedes Benz Museum von Ben van Berkel, weshalb in ihm nicht Wenige den kleineren Bruder zu erkennen glauben. Doch damit erschöpfen sich schon die Gemeinsamkeiten. Was in Vaihingen entstand, ist kein Solitär, sondern eine Erweiterung mit dezidiert anderem Programm.

Mit zwei Geschossen dockt der Neubau an den Bestand an, um dessen Strenge und Linearität mit topographischen Finessen erst in eine einladend weite Kurve und danach in einen viergeschossigen Dreikant abgerundeter Ecken zu überführen. Aus der Erde entwachsen, wirkt der Neubau, der sich aber mit dem strahlenden Weiß­grau seiner beschichteten Alukassetten und scharfkantigen Fenstereinschnitten von seiner artifiziell geschaffenen Topographie deutlich absetzt. Mit dem abgerundeten Dreikant soll die Hülle, damit die Fassadenfläche um sieben Prozent reduziert worden sein. Mehr Oberfläche wurde durch sägezahnartige Fensterreihen wechselnder Orientierung geschaffen, die das Haus mit ihren Schmalseiten gelber oder blauer Öffnungsflügel elegant in Rotation versetzen.


Die Räume der Arbeit

Variabilität und Adaptionsfähigkeit, Erreichbarkeit und Verschränkung aller Raumzonen waren die leitenden Parameter für das komplexe Innenleben des ZVE, das zu zwei Dritteln von sogenannten „Labs“ dominiert wird, in denen virtuell aber auch physisch an den Arbeitswelten für Morgen gearbeitet wird. Mit Hochleistungsrechnern werden in den „Labs“ für Light Fusion, Workspace Innovation, 3D-Interaction, Digital oder Immersive Engineering ganze Gebäude, sogar Städte virtuell simuliert und optimiert. Fast ein Drittel des 14 Mio € Budgets wurde für die technische Ausstattung ausgegeben.

Raumhöhen von fünf Metern und mehr sowie Raumtiefen von acht bis zwölf Metern ermöglichen eine sehr variable Nutzung des Raums, der unschwer mit Raum-in-Raum-Prototypen als auch 3D-Virtual Reality-Experimenten gefüllt werden kann. Ergänzt um Büro­bereiche mit über 12 m Tiefe und Hohlraumböden ist hier nahezu jede Nutzung vorstellbar. Fast durchgängig transparente Raumteilungen lassen das ganze Haus wie eine große Laboranordnung erscheinen, in dem sich die Mitarbeiter des ZVE nicht nur als Forscher, sondern auch als Versuchspersonen einbringen. Wofür ihnen im ZVE ein sehr attraktives Arbeitsumfeld geschaffen wurde, das mit seinen vielfältigen Angeboten der Kommunikation und des Wissensaustausches besticht. „Marktplätze“ nennt sie Dr. Wilhelm Bauer, der Vize-Direktor des IAO und Ideengeber des ZVE, der seine Vorstellungen des Büros der Zukunft hier verwirklicht sieht, das keineswegs mehr territorial sein wird, sondern sich wechselnden Bedürfnissen anzupassen vermag (siehe das Interview auf S.29). Der Begegnung und Bewegung über alle Etagen hinweg kommt viel Bedeutung zu und hier enttäuschte Ben van Berkel seinen Auftraggeber nicht. Ein Atrium voller Dynamik setzte er ins Zentrum des ZVE, welches nun mit den überkreuzenden Diagonalen seiner skulpturalen Treppenkörper – zweiachsig gekrümmte Oberflächen! – geradezu verführerisch zur Bewegung im Raum animiert. Leicht versetzte Ebenen und transparente Geländer eröffnen stets neue Blickbeziehungen, weshalb Ben van Berkel den Raum vor allem als „Cat-Walk“ bezeichnet. Untrennbar mit dem „Cat-Walk“ verbunden, sind die zahlreichen „Marktplätze“, die Lounge- und Imbiss-Inseln mit gehobenen Design.



Interview mit Ben van Berkel

Der Architekt des ZVE spricht über die Arbeitswelt der Zukunft.

Herr van Berkel, das ZVE unterscheidet sich sehr von Bürogebäuden, die gewöhnlich Investoren bauen. Stellte der Bauherr, das Fraunhofer Institut, andere Kriterien an das Gebäude?

Ben van Berkel: Für mich ist das ZVE ein Schlüsselprojekt in dem Sinne, dass es neue Typen von Arbeitsumgebungen schafft. Hier wurden Offenheit und neue Formen der Kommunikation angestrebt: Was werden die Bedürfnisse der Menschen in der Zukunft sein? Wie werden sie arbeiten? Dieses Projekt hat mehr mit Innovationen, Erschwinglichkeit und sozialer Nachhaltigkeit zu tun.

Es ist aber auch in einer gewissen Weise hedonistisch. So wird es angenehm sein, hier zu arbeiten, sich selbst und andere auf dem Cat-Walk zu sehen. Sie kommen hier nicht für die Arbeit allein oder um Geld zu verdienen. Die Idee, dass Alles effizient aussehen muss, ist nicht meine Vorstellung unserer Zeit. Hierarchie und Linearität sind out. Heute geht es mehr um Intensität und Komplexität. Vor zehn Jahre sprachen wir vor allem viel über Komplexität und formale Friktionen. Heute geht es wirklich um Computer generierte Erkenntnis und damit um Wissen.

Können Sie beschreiben, welche Parameter Sie durch den Designprozess verfolgten? Und welche Bedeutung die Diagonale in Ihrem Design hatte?

B.v.B.: Es gab sehr viele unterschiedliche Parameter wie die Fähigkeit sich von einem Raum zum anderen zu bewegen, Distribution, Infrastruktur, Flexibilität und Nachhaltigkeit. Alle diese Parameter setzten wir in 3D-Modellprogramme ein, die es uns leicht machten Informationen rasch zu verändern. Vielleicht sind wir auch eines der wenigen Büros, das dazu verschiedene Programme kombiniert. Im Falle des ZVE waren es Grasshopper, TopSolid, Rhino and AutoCAD, die uns eine sehr flexible Entwicklung des Gebäudekonzepts ermöglichten. Und die Diagonalen fungieren als kombinatorische Elemente: Sie funktionieren wie Rolltreppen. Sie befördern Sie sehr komfortabel durch den Raum und erzeugen eine Art von kinematischen Effekt. Sie befähigen Menschen sich auf ihrem Weg zu treffen und sie gehen physisch über die übliche 2D-Vorstellung von Raum hinaus.

Viele Architekten befürchten heute, dass die große Zahl heutiger Berater die Kompetenzen von Architekten immer mehr schwächen. In Deutschland gibt es das Quickborner Team, Vitra oder auch das Fraunhofer Institut, die immer häufiger den Büroraum definieren, für den dann der Architekt oft nur noch die Verkleidung entwerfen kann.

B.v.B.: Sie haben Recht, aber dies war noch mehr vor zehn Jahren der Fall. Wie ich es sehe, hat sich die Rolle der Architekten sehr verändert. Ich habe durch die Benutzung von 3D-Modellen, Programmen und anderen Designtechniken gelernt, dass Sie mehr Einfluss auf den Prozess haben können, wenn Sie fähig sind diese Techniken bereits in Ihrem Büro zu verbinden. Wenn sie zudem für den Dialog offen sind und nicht noch Distanz zu den anderen Beteiligten schaffen, eröffnen sich Ihnen heute mehr Möglichkeiten.

Ich sehe mich heute mehr als ein öffentlicher Wissenschaftler: Was können wir nicht allein für den Auftraggeber, sondern auch die Menschen tun, die das Gebäude nutzen werden? – Vor kurzem war ich mit einer Studie für einen Bahnhof beauftragt. Ich entdeckte, dass sich dort weniger Menschen vom Bahnhof zur Stadtmitte bewegten als zwischen den zwei Bus-Stationen in der Nähe. Das hatte die Konsequenz, dass dort nun weniger ein neuer Bahnhof als ein neuer Raum des Transfers entstehen wird. Architekten haben so in der Zukunft mehr mit Wissen und Informationen zu arbeiten. Es geht nicht mehr allein um ein nettes Gebäude. Der Architekt der Zukunft hat mehr durch Informationen zu führen, sie zusammen zu bringen und den Prozess zu betreuen.

Wie wird der Arbeitsplatz der Zukunft aussehen? Manche sagen, dass wir in der Zukunft weniger Büroraum benötigen werden, weshalb die Architekten bereits heute mehr transformierbare Konzepte für Bürohäuser entwickeln müssten, um auch andere Nutzungen zu ermöglichen. Berücksichtigen Sie dies bei der Entwicklung des ZVE-Konzepts?

B.v.B.: Nein, aber ich habe bereits zwei Bürogebäude, die zu Wohnhäusern verändert werden können, gebaut. Dazu habe ich ein eigenes Konstruktionssystem entwickelt, das diese Umnutzung erleichtert. Dies war aber hier nicht die Aufgabe.

Ich denke, dass die ganze Idee von Wachstum und Produktion zu Ende geht. Wenn

Sie sich die neuen Internet-Unternehmen anschauen, dann stehen bei ihnen Kreativität und Experimente im Zentrum. Kreativität ist die Zukunft. Auf diesen Glauben bauen meine organisatorischen und räumlichen Konzepte auf. Sie bieten gewissermaßen eine gesunde Form von Chaos. Sie schaffen eine Komplexität von Momenten, die Ihnen komplexere Interaktionen als in einem gewöhnlichen Bürogebäude ermöglichen. Die Zukunft wird mehr um solche unerwartete Aspekte organisiert sein als den früheren mechanischen und rationalen Mustern folgen. Früher wurde der Büroraum ängstlicher gedacht nach der Art „Wir haben Probleme und müssen diese Probleme lösen“. Zukünftig wird man fragen: „Was können wir erreichen und wie erreichen wir es? Deshalb wird der Arbeitsplatz der Zukunft mehr mit Experimenten und Innovationen verbunden sein.



Interview mit Herrn Dr. Wilhelm Bauer

Der Vizedirektor des IAO und Ideengeber des ZVE sprach über neue Arbeitswelten des ZVE.

Dr. Bauer, der Impuls das neue ZVE des Fraun­hofer Instituts für Arbeitswirtschaft und Organisation zu bauen, ging wesentlich von Ihnen aus. Welche Kriterien stellten Sie an das neue Haus? Wie würden Sie Ihre Rolle als Bauherr umschreiben?

Dr. Bauer: Wir waren ein sehr spezieller Kunde, da wir thematisch sehr tief im Bereich der Arbeitswelt stecken. Zwei Bedürfnisse standen im Vordergrund: Was tun wir heute? Und wie arbeiten wir in der Zukunft? – Die erste Frage ist leicht beantwortet, wenn auch die Klärung vieler Details einige Zeit benötigt. Interessanter ist: „Was tun wir in der Zukunft?“ Die Prozesse sind heute dynamischer, das Geschäft ändert sich schneller. Daraus ergibt sich die Kernforderung, dass ein Gebäude eine Plattform sein muss, die sich zukünftigen Entwicklungen anpassen kann. Deshalb war es sehr wichtig, dass wir die Labore nicht bis ins Detail festgelegt, sondern eher grundsätzliche Anforderungen formuliert haben. Weil Forschung nicht mehr entweder im Labor oder Büro stattfindet, muss man ihre Verbindun­gen überdenken.

In Ihren Schriften heben Sie die Bedeutung der informellen Kommunikation für Unternehmen hervor. Haben Sie deshalb in dem neuen Haus so viel Wert auf „Marktplätze“ gelegt, wie Sie die Räume informeller Kommunikation bezeichnen?

B: Wir wissen aus der Innovationsforschung, dass echte Innovationen meistens nicht im stillen Kämmerlein entstehen sondern an den Schnittstellen der Disziplinen. Aus diesem Grund gibt es in unserem Haus Menschen vieler Disziplinen, die sich mit Architektur oder Design beschäftigen, aber auch Betriebswirte, Ingenieure oder Sozialwissenschaftler. Deshalb legen wir großen Wert auf die informelle Kommunikation. An den Schnittstellen sollten Angebote entstehen, die einladen, sich dort aufzuhalten und anregen zu lassen. So haben wir eine Plattform mit Laborflächen als Kern entwickelt, die uns viele „Marktplätze“, bietet. Daneben gibt es viele Angebote sich zurückzuziehen, um Dinge auszuarbeiten.

Wie war der Planungsprozess strukturiert? Welche Rolle hatte Virtual Engineering nicht nur als Zweckbestimmung des Hauses, sondern auch schon in seiner Konzeptionsphase?

B: Zuerst steht bei jedem neuen Projekt der Dialog im Vordergrund. Wir, die Bauherren und Nutzer, die Architekten, die Ingenieure und Zertifizierer sind zunächst einmal im Monat, später jede Woche in einem Projektraum mit Virtual Reality zusammengekommen. Dort haben wir alle Entscheidungen am digitalen Modell diskutiert und entschieden. Diese Form der Kommunikation ist in der Architektur noch neu, aber wird absolut sicher die Zukunft sein. Autos werden heute schon fast vollständig simuliert, bevor ein erstes physisches Modell angefertigt wird. Die Simulation wird leistungsfähiger, schneller und bezahlbarer und damit für die Architektur relevant.

Welche Bedeutung hat Virtual Reality für die Arbeitswelt?

B: Das Zusammenspiel von virtueller und

realer Welt ist es, was unsere Welt neu programmiert. Wir sind heute mit Smartphones oder IPads unterwegs. Das Virtuelle ist bereits ein wesentlicher Bestandteil unserer Arbeitswelt geworden. Ein Großteil unserer Kommunikation findet digital über Videokonferenzen, Telepräsenz oder Virtual Reality statt. Das Hybride ist bereits fester Bestandteil unserer Welt und es wird weiter an Bedeutung gewinnen. In unserem Haus findet schon viel in imaginierten Welten statt, die wir als „Labs“ bezeichnen. Diese 3D-Räume sind aber auch physische Räume, in denen Menschen arbeiten, die 3D-Brillen nutzen, oder an Rapid Proto­typing-Maschinen arbeiten.

Nach der Besichtigung Ihres Hauses möchte man Vergleiche anstellen. Etwa mit der Büro­landschaft des Quickborner Teams, das in den Sechzigern die Bürokultur revolutionierte. Wo stehen wir heute mit ihrem Gebäude?

B: Man könnte unser Haus als eine Arbeitslandschaft bezeichnen. Was heute signifikant anders ist, ist die Flexibilität. Die Mehrheit der Arbeitsplätze ist nicht mehr einer Person zugeordnet. Der Mitarbeiter entscheidet hier über die gewünschte Form seines Arbeitsplatzes je nach Erfordernis. Besprechungsraum, Projektraum, Laborausstattung – alle Infrastruktur ist hier auf jedem Geschoss über große Displays reservierbar. Und dies wird bald auch von Außen über Webbrowser möglich sein. Unser Büro ist nicht mehr territorial, sondern adaptiv. Es kann sich den Bedürfnissen flexibel anpassen. Im Grunde ist das ganze Haus eine Arbeitslandschaft, das ist das wirklich Neue unseres Neubaus.

Wie wird das Büro der Zukunft aussehen?

B: In der letzten Studie unseres Office 21–Projekts haben wir klar identifiziert, dass der Anteil der Menschen, der jeden Tag ins Büro fährt, deutlich abnehmen wird. Wir werden mehr an verschiedenen Orten arbeiten. Formelle und informelle Kommunikationen werden wichtiger. Die Zeit am Schreibtisch wird abnehmen. Bürogebäude werden zu Begeg­nungszentren, in denen man arbeiten, aber sich noch häufiger austauschen wird. In fast jeder Veranstaltung werde ich gefragt: Brauchen wir noch Bürogebäude? Oder wie viele brauchen wir noch? – Es werden in Zukunft sicher weniger gebraucht und sie werden sich verändern. Gerade Investoren sollten heute schon ihre Bürogebäude so bauen, dass darin andere Nutzungen wie etwa ein Pflegeheim möglich sein können. Die Arbeit wird anders organisiert sein. Standardprozesse werden immer mehr digitalisiert, viele Sacharbeiterleistungen automatisiert. Was bleibt, ist kreative Denkleistung, die Entwicklung neuer Konzepte, Dienstleistungen und Produkte, die alle viel mehr mit Kommunikation zu tun haben. Dies wird die Architektur der Büros sehr verändern.


Konstruktion

Mehr als bei vielen anderen Projekten standen bei dem neuen Zentrum für Virtual Engineering des IAO immer wieder die Planungsprozesse und -tools zur Diskussion, was seine ungewöhnlich lange Planungs- und Bauzeit von mehr als 5 Jahren erklärt. Durchaus ergebnisorientiert, sollten an dem Pilotprojekt experimentell wie ebenso modellhaft die neuen Möglichkeiten von Virtual Architecture Engineering weiter entwickelt werden. Die Überwindung der gewohnten, immer noch dominanten Planung in nur zwei Dimensionen war Ziel, wie auch eine bessere Vermittlung mittels dreidimensionaler Modellen, die den Bauherrn und Nutzern Entscheidungen leichter nachvollziehbar und revidierbar machen sollen. Weshalb bereits lange vor Gründung der Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen (DGNB) auch schon Vertreter der Initiative im Planungsteam saßen, die alle Prozesse aktiv begleiteten und auf ihre Nachhaltigkeit hin prüften.

Ersten Programmanalysen des Büros UNStudio, welche die unterschiedlichen Raumanforderungen in Diagrammen und dreidimensionalen Clouds fassbar machten, folgten bald Varianten ihrer räumlichen Konfiguration, von Volumen und Hülle. Erstellt mit unterschiedlichen Softwareprogrammen wie Grasshopper, TopSolid, Rhino und AutoCAD brachte UNStudio bereits eine große Komplexität der Planungstools in den Prozess ein. Wechselnde Parameter wie Erreichbarkeit, Kommunikation, Zirkulation oder Flexibilität, von Immersion, Präsentation oder Kreativ erlaub­ten es das gewünschte Raumprogramm immer klarer zu präziseren.

Die meisten Arbeitssitzungen erfolgten jedoch bald an einer eigens entwickelten Virtual Reality Powerwall des IAO, dem Kernelement der neuen Methode Virtual Architecture Engineering, wo sich Nutzer und Planer in ein dreidimensionales 1:1 Mock-Up versetzen ließen, um in Echtzeit den jeweils aktuellen Planungsstand zu begehen und erfahren zu können. Unmittelbar konnten hier Entscheidungen von allen Beteiligten leicht überprüft und verändert werden. Virtuell ins Haus eingetaucht, ließ sich in beständiger Weiterentwicklung der Programme seine Architektur immer leichter optimieren. Was den Bauherrn im Planungsprozess mehr Zeit kostete, verschaffte ihm so letztlich eine größere Pla­nungs­sicherheit, die nun das IAO mit seinem Pilotprojekt seinem Kundenkreis, mittel- und großindustrieller Unternehmen für weitere Bauvorhaben zu vermitteln versucht. Der Planungsaufwand für die Architekten von UNStudio und noch mehr für ASPlan, denen die Bauplanung oblag, war kaum geringer, sondern überaus intensiv. Doch letztlich profitierten sie auch von dem Verfahren, da es Planungsfehler sehr früh erkennbar machte.


Nachhaltigkeit

Für die Konstruktion des ZVE waren ein Maximum an Raumfreiheit ohne störende Stützen und ein Minimum an Hüllfläche und Baumaterial zentrale Anorderungen

neben dem obersten Gebot der Nachhaltigkeit. Eine Geothermie-Anlage mit 11 Erdsonden bis 170 m Bohrtiefe dient hier mittels in den Decken eingelassener Kühlschlan­gen der Betonkernaktivierung, die eine aufwendige Klima­anlage obsolet machte. Dabei wird auch der Tank der Sprinkleranlage als zusätzlicher Energiespeicher für die Abwärme der zahlreichen Hochleistungsrechner und –projektoren der Virtual Reality-Labs effizient genutzt.

Die Luftzufuhr der tieferen Raumbereiche erfolgt über Luftkanäle in den Hohlböden, die Abluft über Schächte. Neben den Kühlschlangen kamen Hunderte von luftgefüllten Kunststoffkugeln in BubbleDeck-Geschossdecken zum Einsatz, die das Gewicht des Gebäudes erheblich zu reduzieren halfen. Die leichteren Decken benötigten weniger Stahl und Beton und ermöglichten zugleich größere Spannweiten für weitgehend stützenfreie Räume, die nun auch frei von störenden Fensterstürzen sind.

Sowohl für den Rohbau als auch die Fassadenkonstrukt­ion sowie den Innenausbau wurden Wert auf wartungsarme, beim Rückbau gut trennbare und wieder verwertbare Materialien gelegt. Besondere Herausforderungen stellten sich dem Rohbau-Unternehmen der Glodbeck GmbH & Co, die neben den hochinstallierten Decken

radiale Stahlbetonwände mit 4,15 m hohen Schalung­selementen erstellen mussten, die sich in Höhe des Erdgeschosses bis zu 35 Grad Neigung nach Innen neigen. Die Schalungen der zweiachsig gekrümmten Atriums­treppen mit wechselnden Querschnitten erforderte noch mehr ihr Können, was einen bedauern lässt, dass ihr imposanter Beton späterhin unter dem leuchtenden Weiß des ZVE verschwand.

Auf Transparenz und eine Vielfalt von kaleidoskopische Ausblicke konzipiert,  forderten die sägezahnartigen Fensterreihen des ZVE mit ihren verschiedenen Winkeln und Einzelsituationen vom Fassadenbauer ein Maximum an Präzision ab, um sie in eleganten Schlangenlinien um das Gebäude führen zu können. Dank fenstersturzfreier Decken kann nun das Tageslicht weit in die Räume einfallen, obwohl der Glasanteil der Fassade aus energetischen Gründen auf 35 Prozent begrenzt wurde. Wozu auch die strahlend weißen Oberflächen des Inneren beitragen, die das Tageslicht nun reflektieren.

Einer Überhitzung beugt ein außenliegender Sonnen- und Blendschutz durch beschichtete Folienrollos, die hier ganz ohne Kassette montiert wurden und automatisch über intelligente Haustechnik gesteuert werden. Mit sieben Prozent Lichttransmission erlauben sie eine erstaunlich gute Durchsicht und sind mit ihrer farbneutralen Außenseite von Außen nahezu unsichtbar. Das DGNB-Zertifkat Gold erscheint so für das ZVE berechtigt, das auf einem großen Monitor in seinem Atrium in Echtzeit Auskunft über seinen Öko-Umsatz gibt, von der Energiebilanz über den Wasserverbrauch bis hin zum Müllaufkommen.

x

Thematisch passende Artikel:

ZVE Open Friday

Das ZVE öffnet seine Pforten in der Regel an jedem dritten Freitag im Monat für interessierte Besucher sowie Schüler und Studenten

Das „Zentrum für Virtuelles Engineering – Haus der Wissensarbeit“ ist ein Labor- und Bürobau, in dem eine Arbeitsumgebung zur Förderung von Produktivität und Effektivität einerseits sowie...

mehr

Ben van Berkel + Benedetta Tagliabue + Wolf D. Prix

Am 24. November 2016 in Hamburg. In: "Architects, not Architecture" - Hamburg Edition 04

Der Veranstaltung “Architects, not Architecture” ist ein Coup gelungen: Für die 4. Ausgabe der Hamburger Veranstaltungsreihe haben drei internationale Architekten zugesagt. Am Donnerstag, den 24....

mehr
Ausgabe 09/2012

Folienrollos mit Durchblick

Speziell für Bildschirmarbeitsplätze entwickelte die Multifilm Sonnen- und Blendschutz GmbH innen liegende Folienrollos mit dem Anspruch, diese möglichst unauffällig am Fenster erscheinen zu...

mehr

Meine Stadt – Ma Ville

Dokumentationsreihe auf Arte, 2. September, 14.55 Uhr

Zwei Architekten erkunden gemeinsam europäische Städte. Jede Folge trifft der Wiener Architekt Jakob Dunkl, querkraft einen Kollegen, um gemeinsam die Stadt des Gastgebers zu erkunden. Den Anfang...

mehr
Ausgabe 01/2020 Kaspar Kraemer Architekten über ihre Erfahrungen mit virtueller Darstellungstechnologie im Büroalltag

Virtual Reality und Augmented Reality in der Planung

Virtual Reality (VR) hat ihren Ursprung in den ers­ten 3D-Fotoaufnahmen, die fast so alt sind, wie die Fotografie selbst. Mit einer speziellen Brille, im passenden Abstand vor die Augen gehalten,...

mehr