Der Fortschritt ist eine Schnecke – Brandschutz im Holzbau und der Flickenteppich der Landesbauordnungen
Die zunehmende Urbanisierung, die nachhaltige und effiziente Nutzung begrenzt verfügbarer Ressourcen sowie Klimaschutz durch die energetische Optimierung bestehender Gebäude sind Trends und Maßnahmen, die das Bauen mit Holz als Lösung anstehender Aufgaben besonders attraktiv machen. Holz – vor Jahren noch „Baustoff der Zukunft“ – ist in der Baubranche wieder angekommen. In Sachen Baurecht erweist sich dieser Fortschritt in der Betrachtung des Holzbaus jedoch als Schnecke. Dieser Beitrag bietet ein aktuelles Update zu den Regelungen im Flickenteppich der Landesbauordnungen (LBO), die ökologisch sinnvollen und nachhaltigen Holzbau fördern sollen.
Der Energiebedarf von Gebäuden in Deutschland – und damit die CO2-Produktion – muss deutlich gesenkt werden. Das kann sowohl im Bauprozess (Graue Energie) als auch bei der späteren Nutzung von Gebäuden geschehen. Eine Erhöhung des Anteils der Holzbauweise würde eine erhebliche CO2-Einsparung nach sich ziehen und bietet deshalb eine nicht unerhebliche Lösung für mehr Klimaschutz.
Gleichzeitig ist Holzbau gerade für Gebäude mit vier oder mehr Geschossen in Innenstädten Trend. Dort ist eine hervorragende Infrastruktur bereits vorhanden und es kann flächensparend gebaut werden. Dort finden sich Gemeinschaften von ökologisch orientierten Menschen, die an Nachhaltigkeit und Ressourcenschutz interessiert sind. Dort sind schnelle Bauprozesse und eine optimale Vorfertigung besonders nötig, um lange Störungen des Wohnumfelds zu vermeiden.
Baurecht als Hemmschuh für den Klimaschutz
Die Tatsache, dass Holz brennt, kann zu spektakulären Brandereignissen führen (Abb. 01), sie schließt aber nicht aus, dass sich Holzkonstruktionen im Brandfall durchaus ebenbürtig zu anderen Bauweisen erweisen können. Holzkonstruktionen leisten dem Feuer lange Widerstand und kündigen – im Gegensatz zu Stahlkonstruktionen – einen möglichen Einsturz vorher akustisch an. Eine kompetente Planung und vor allem ein an den Baustoff Holz angepasster Umgang mit dem erforderlichen Brandschutz macht Holzkonstruktionen auch für mehrgeschossige Gebäude der Gebäudeklassen (GK) 4 und 5 (über 7 m Höhe des obersten Fußbodens) ausreichend sicher.
Trotzdem finden sich in den meisten Bauordnungen der Länder Regelungen, die höhere Gebäude aus Holz quasi „verbieten“ und Bauherrn sowie Planer zu umfangreichen Abweichungen vom Baurecht und entsprechenden Kompensa-tionen zwingen. Die Anforderungen an den Feuerwiderstand von Bauteilen werden mit den Anforderungen an die Brennbarkeit der verwendeten Baustoffe verknüpft: Bauteile, die feuerbeständig (d. h. mit der Feuerwiderstandsfähigkeit F 90) sein müssen, müssen zusätzlich „in den wesentlichen Teilen aus nichtbrennbaren Baustoffen bestehen“.
Seit 2002 kamen lediglich hochfeuerhemmende (F 60-B K260) Bauteile hinzu, „deren tragende und aussteifende Teile aus brennbaren Baustoffen bestehen [dürfen] und die allseitig eine brandschutztechnisch wirksame Bekleidung aus nichtbrennbaren Baustoffen (Brandschutzbekleidung) und Dämmstoffe aus nichtbrennbaren Baustoffen haben“ müssen.
Diese Regelungen schließen die Verwendung von Holz für feuerbeständige Bauteile aus und schränken sie für hochfeuerhemmende Bauteile stark ein, da sie gem. Holzbaurichtlinie[1] gekapselt (K260), d. h. mit Gipskarton- oder Faserzementplatten bekleidet werden müssen und damit nicht mehr sichtbar sein können.
Holzbau in den Länderbauordnungen
Bereits 2015 hat Baden-Württemberg erkannt, dass durch eine Änderung in der dortigen Landesbauordnung (LBO) BW[2] der Holzbau als Garant für Klimaschutz und Nachhaltigkeit massiv gefördert werden kann. Nach Berlin, Hamburg, Hessen (alle 2018) und Nordrhein-Westfalen (2019) ist im Mai 2019 mit Bremen das sechste Bundesland aus der breiten Phalanx der „Holzbaubehinderer“ – allen voran Bayern und Brandenburg – ausgebrochen und hat eine Tür für ökologisches und nachhaltiges Bauen aufgestoßen (Abb. 02).
In den sechs LBO wird seither zugelassen, dass tragende, aussteifende oder raumabschließende Bauteile, wie Decken, Trennwände oder Stützen, die als hochfeuerhemmende Bauteile oder als feuerbeständige Bauteile ausgeführt werden müssen, aus brennbaren Baustoffen (z. B. Holz) ohne nichtbrennbare Brandschutzbekleidung bestehen dürfen, soweit die erforderliche Feuerwiderstandsdauer von 60 bzw. 90 Minuten tatsächlich erreicht wird. Dadurch wird auch bei Gebäuden der GK 4 und 5 Holzbau durchgängig ermöglicht (Abb. 03).
Leider sind sich die sechs Separatisten (Abb. 04) keineswegs einig. Sowohl die Inhalte als auch die Formulierungen zum erweiterten Holzbau in deren LBO weichen erheblich voneinander ab. Während die aktuellen Formulierungen in der LBO BW und der Bauordnung Berlin (BauO Bln)[3] kurz und präzise gefasst sind, stellt z.B. die Bauordnung Nordrhein-Westfalen (BauO NRW)[4] eine zusätzliche Anforderung an brandschutzrelevante Bauteile aus brennbaren Baustoffen: Sie müssen „so hergestellt und eingebaut werden, dass Feuer und Rauch nicht über Grenzen von Brand- oder Rauchabschnitten, insbesondere Geschosstrennungen, hinweg übertragen werden können“ (s. nebenstehenden Infokasten).
Diese Anforderung muss grundsätzlich von allen feuerwiderstandsfähigen Bauteilen – auch von denen aus nichtbrennbaren Baustoffen – erfüllt werden. Die Angst vor der Brandgefahr durch Bauteile aus Holz ist anscheinend so groß, dass dieses substanzielle Gebot nochmals ins Stammbuch des Holzbaus geschrieben werden muss.
Noch weniger Vertrauen bringen die Hansastädte Hamburg und Bremen dem Holzbau entgegen. Die Hamburgische Bauordnung (HBauO)[5] ebenso wie die Bremische Landesbauordnung (BremLBO)[6] sind ausschließlich auf die „massive Holzbauweise“ fokussiert (s. Infokasten). Dadurch werden andere Bauweisen aus Holz, z.B. Holzrahmen oder Holzskelettbauweisen, bauordnungsrechtlich von der gewünschten Neuerung ausgeschlossen.
Die Erfahrung zeigt jedoch, dass diese Bauweisen bei sorgfältiger Planung und Ausführung, die vor allem gefährliche Hohlräume in den Holzbauteilen und ihren Anschlüssen vermeiden muss, brandschutztechnisch der Massivbauweise in nichts nachstehen. Andererseits sind Holzrahmen- und Holzskelettbau vor allem in den weniger „holzlastigen“ norddeutschen Bundesländern anzutreffen, wo sie vielfach bei Einfamilienhäusern und anderen niedrigen Gebäuden eingesetzt werden.
Neue Holzbaurichtlinie
Die Weiterentwicklung bauordnungsrechtlicher Regelungen zum Holzbau in der GK 4 und 5 macht auch eine Neufassung der bisherigen M-HFHHolzR[7] von 2004, besser bekannt als „Holzbaurichtlinie“, notwendig. Sie gilt bisher lediglich für Holzbauweisen, wie Holztafel-, Holzrahmen- oder Fachwerkbau (Abb. 06) und nicht für die in den Bauordnungen Hamburg und Bremen geforderten Holz-Massivbauweisen, wie Brettstapel- und Blockbau (ausgenommen Brettstapeldecken).
Aus diesem Dilemma soll nun eine neue „M-HolzBauRL“[8] helfen. Diese übernimmt die „Anforderungen an Gebäude der Gebäudeklasse 4 mit feuerwiderstandsfähigen Bauteilen in Holzrahmen- und Holztafelbauweise“ (Abschnitt 4) von der Vorgängerrichtlinie und ergänzt sie um die „Anforderungen an Standardgebäude der Gebäudeklasse 4 und 5 mit feuerwiderstandsfähigen Bauteilen in Massivholzbauweise“ (Abschnitt 5). Daneben befinden sich darin „Anforderungen an Außenwandbekleidungen aus Holz und Holzwerkstoffen bei Gebäuden der Gebäudeklasse 4 und 5“ (Abschnitt 6) sowie zu „Installationen“ (Abschnitt 7) und zur „Überwachung der Bauausführung“ (Abschnitt 8).
Auffällig und durchaus kritikwürdig ist, dass die Anforderungen in Abschnitt 4 nahezu unverändert aus der nunmehr 15 Jahre alten Vorgängerrichtlinie übernommen werden. Weder findet eine Ausweitung dieser Holzbauweisen auf die GK 5 statt, noch werden die Ergebnisse umfangreicher neuerer Forschungen zum Brandschutz im Holzbau berücksichtigt, die in vielen Fällen Alternativen und Vereinfachungen zulassen würden.
Da weder Stahlbeton-, noch Stahl- oder Mauerwerksbau einer eigenen Richtlinie bedürfen, stellt sich grundsätzlich die Frage, warum ausgerechnet für den Holzbau eine ausführliche 20-seitige Richtlinie erforderlich ist. Ist der Holzbau so „brand-“gefährlich, dass es nicht ausreicht, wenn sich Architekten, Ingenieure und Hersteller – ebenso wie bei den anderen oben zitierten Bauweisen – bei der Planung und Bemessung von Holzbauten an den umfangreichen diesbezüglichen „allgemein anerkannten Regeln der Baukunst“, wie EN, DIN, VDI usw., orientieren? Von vielen Verbänden, Forschungseinrichtungen und anderen Beteiligten aus dem Kreis des Bauens oder des Brandschutzes wurde deshalb zu einer grundsätzlichen Überarbeitung bzw. zum völligen Verzicht auf eine Holzbaurichtlinie geraten.
Fazit
Sowohl der Trend als auch der Handlungsbedarf in Richtung Klimaschutz und Nachhaltigkeit hat sich im letzten Jahrzehnt zunehmend verschärft. Für beide Themengebiete bietet der Holzbau hervorragende Voraussetzungen. Ähnlich wie Beton und Stahl zu Beginn des 20. Jahrhunderts zur Lösung anstehender Bauaufgaben beitrugen und andere traditionelle Bauarten zunehmend ablösten, ist es nun wiederum der Holzbau, mit dessen Renaissance wir die vor uns liegenden Herausforderungen effektiv und dauerhaft bewältigen können. Durch die bereits durchgeführten und vorgesehenen Änderungen in bestimmten Bundesländern, die den Holzbau baurechtlich fördern sollen, ist eine breite Tür aufgestoßen worden. Wer sie durchschreitet und mit Holz in den GK 4 oder 5 bauen will, hat als Pionier jedoch immer noch einen einsamen und dornigen Weg vor sich, bis er trotz aller Hemmnisse und Schwierigkeiten zum Ziel gelangen kann.
[1] Muster-Richtlinie über brandschutztechnische Anforderungen an hochfeuerhemmende Bauteile in Holzbauweise – M-HFHHolzR (Fassung Juli 2004)
[2] Landesbauordnung für Baden-Württemberg (LBO) vom 5. März 2010 zuletzt geändert am 18. Juli 2019 (GBl. S. 313)
[3] Bauordnung für Berlin (BauOBln) vom 29. September 2005, zuletzt geändert am 09.04.2018 (GVBl. S. 205, 381)
[4] Bauordnung für das Land Nordrhein-Westfalen (Landesbauordnung 2018 – BauO NRW 2018) vom 21. Juli 2018; Stand: 01.09.2019
[5] Hamburgische Bauordnung (HBauO) vom 14. Dezember 2005; zuletzt geändert am 26. November 2018 (HmbGVBl. S. 371)
[6] Bremische Landesbauordnung vom 4. September 2018; zuletzt geändert am 14. Mai 2019
[7] Muster-Richtlinie über brandschutztechnische Anforderungen an hochfeuerhemmende Bauteile in Holzbauweise – M-HFHHolzR (Fassung Juli 2004)
[8] Entwurf: Muster-Richtlinie über brandschutztechnische Anforderungen an Bauteile in Holzbauweise für Gebäude der Gebäudeklassen 4 und 5 – M-HolzBauRL (Stand: 23.05.19)
Baden-Württemberg (seit März 2015, geändert Juli 2019):
LBO BW § 26 (3) „Abweichend von Absatz 2 Satz 3 sind tragende oder aussteifende sowie raumabschließende Bauteile, die hochfeuerhemmend oder feuerbeständig sein müssen, aus brennbaren Baustoffen zulässig, wenn die geforderte Feuerwiderstandsdauer nachgewiesen wird und die Bauteile und ihre Anschlüsse ausreichend lang widerstandsfähig gegen die Brandausbreitung sind.“
Berlin (seit April 2018):
BauO Bln § 26 (3) „Abweichend von Absatz 2 Satz 3 sind tragende oder aussteifende sowie raumabschließende Bauteile, die hochfeuerhemmend oder feuerbeständig sein müssen, in Holzbauweise zulässig, wenn die erforderliche Feuerwiderstandsfähigkeit gewährleistet wird.“
Hessen (seit Juni 2018)
HBO § 29 (1) Satz 5: „Abweichend von Satz 4 sind andere Bauteile, die feuerbeständig oder hochfeuerhemmend sein müssen, aus brennbaren Baustoffen zulässig, sofern sie den Technischen Baubestimmungen nach § 90 entsprechen.
Satz 6: Abweichungen von in den Technischen Baubestimmungen enthaltenen Planungs-, Bemessungs- und Ausführungsregelungen bedürfen einer Abweichungsentscheidung nach § 73.
Satz 8: Satz 5 gilt nicht für Wände nach § 33 Abs. 3 Satz 1 [Brandwände] und Wände nach § 38 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 [Wände von Treppenräumen].“
Nordrhein-Westfalen (seit Januar 2019):
BauO NRW § 26 (3) „Abweichend von Absatz 2 Satz 3 sind tragende oder aussteifende sowie raumabschließende Bauteile, die hochfeuerhemmend oder feuerbeständig sein müssen, aus brennbaren Baustoffen zulässig, wenn die geforderte Feuerwiderstandsdauer nachgewiesen wird und die Bauteile so hergestellt und eingebaut werden, dass Feuer und Rauch nicht über Grenzen von Brand- oder Rauchabschnitten, insbesondere Geschosstrennungen, hinweg übertragen werden können.“
Hamburg (seit Mai 2018):
HBauO § 24 (3) „Bei Gebäuden mit einer Höhe nach § 2 Absatz 3 Satz 2 von bis zu 22 m und Nutzungseinheiten mit jeweils nicht mehr als 200 m² und Brandabschnitten von nicht mehr als 800 m² pro Geschoss sind abweichend von Absatz 2 Satz 3 tragende oder aussteifende sowie raumabschließende Bauteile, die hochfeuerhemmend oder feuerbeständig sein müssen, in massiver Holzbauweise zulässig, wenn die geforderte Feuerwiderstandsfähigkeit nachgewiesen wird.“
Bremen (seit Mai 2019):
BremLBO § 26 (3) „Bei Gebäuden mit einer Höhe nach § 2 Absatz 3 Satz 2 von bis zu 22 m und Nutzungseinheiten mit jeweils nicht mehr als 200 m² und Brandabschnitten von nicht mehr als 800 m² pro Geschoss sind abweichend von Absatz 2 Satz 3 tragende oder aussteifende sowie raumabschließende Bauteile, die hochfeuerhemmend oder feuerbeständig sein müssen, in massiver Holzbauweise zulässig, wenn die geforderte Feuerwiderstandsfähigkeit nachgewiesen wird und die Bauteile so hergestellt und eingebaut werden, dass Feuer und Rauch nicht über Grenzen von Brand- und Rauchabschnitten, insbesondere Geschosstrennungen hinweg übertragen werden können.“