Der Bruch des Militärischen
Militärhistorisches Museum, Dresden

Hierarchien sind genuin allem Militärischen zu Eigen. Klare Ordnung und Uniformität, Reihe und Glied prägen das Militär. Und so war auch das frühere sächsische Arsenalgebäude von 1877 durch und durch gestaltet, als eine Dreiflügelanlage mit klarem Zentrum und einer Waffenhalle mit vielen strengen Reihen gleichförmiger Säulen, bevor es von Daniel Libeskind zum Militärhistorischen Museum Dresden umgebaut wurde.

Jedes Glied ordnete sich dem großen Ganzen unter, spiegelte architektonisch den Charakter des Militärischen. Sogar sein Ort, die Albertstadt war über 140 Jahre geprägt vom Militär. Viele Kasernen verwandelten sich während des letzten Jahrzehnts in Wohn- oder Bürogebäude und noch erstaunlicher ist nun die Verwandlung des früheren Arsenals in das neue Militärhistorische
Museum (MHM) der Bundeswehr.

Einen Keil, genauer einen spitz zulaufenden, hoch aufragenden V-förmigen Baukörper schnitt Daniel Libeskind ins Arsenalgebäude, der unmissverständlich mit dessen Geschichte bricht. Kraftvoll, ja fast gewalttätig wirkt das metallische Implantat von außen, das nur durch die überraschende Transparenz seiner leichten Stahlkonstruktion der Spitze gemildert wird. Das Unerwartete, den Bruch mit Reihe, Glied und jeder Hierarchie setzt das Neue an die Stelle der klaren Ordnung der Vergangenheit. An und in ihm findet sich kein rechter Winkel mehr – weder in der Horizontalen noch Vertikalen!

Schräg, scharfkantig und durchlässig ist fast Alles an diesem höchst individuellen Implantat, dessen Spitze auf das Ostragehege weisen soll, wo 1945 die ersten Leuchtmarkierungen der alliierten Bomberverbände zur Zerstörung Dresdens abgeworfen wurden – so Libeskind, der nie um eine Begründung seiner Architektur verlegen ist. Realistisch betrachtet verfehlt die Spitze um ein paar 100 m jenen Ort am anderen Elb­ufer, was der Kraft seiner architektonischen Eingriffe keinen Abbruch tut. Unübersehbar ist die Geste des V-förmigen Keils, der auf eine der schrecklichsten Folgen militärischer Entscheidungen weist, auf die fast völlige Zerstörung einer Stadt, in der sich vor allem Zivilisten befanden.

Dezidiert nicht der Glorifizierung des Militärs soll dieses Museum dienen, das sich in einem langjährigen Diskussionsprozess ein eigenes Programm schuf, das nun vor allem die Folgen von Krieg und Gewalt in den Mittelpunkt seiner Ausstellung stellt. Die Architektur Libeskinds, der 2004 einen offenen Wettbewerb für sich entschied, ist dafür ein kongeniales Instrument, eine gewalttätige Geste Außen und im Innern ein offenes Skript überraschend durchlässiger Raumfolgen, die sich bewusst einer linearen Ordnung der Ereignisse entziehen. Ins Gebäude und seiner Ausstellung muss hier sehr körperlich eingetaucht werden, in Räume extrem unterschiedlicher Ausdehnung und Anmutung. Die große Höhe und Tiefe des eigenwilligen Baukörpers wird dem Besucher erst im Innern bewusst.

Überraschend weit und offen präsentiert sich die Eingangshalle, die frühere Waffenhalle, die leer geräumt von allem militärischen Gerät, in ihrer Ursprungsgestalt rekonstruiert wurde. So sensibel, dank der Möglichkeiten heutigen Trockenbaus rekonstruiert, dass die Besucher kaum gewahr werden, dass der Altbau in vielen Jahrzehnten als Armeemuseum unter drei deutscher Regime stark umgebaut worden war und die Kreuzgewölbe der Halle teilweise zerstört, teilweise mit neuen Decken zugebaut worden waren. Als offener Raum der Kommunikation präsentiert sich die weiße Halle, deren gleichförmige Säulenreihung sich deutlich von der dynamischen Geometrie des in sie einschneidenden Keils unterscheidet. Die neuen Funktionen der Halle, Empfang, Garderobe, Shop und Toiletten, sind in ihr fast dienend eingestellt, als orthogonale Körper mit einem Kleid schwarzer Faserzementplatten. Klug wie ebenso sorgfältig bis ins Detail geplant, lässt sich der Quader des Museumsshops völlig zu- oder aufklappen, ist Monolith oder ein Ereignis geschwenkter Wände. Völlig rahmenlosen, transparenten Glaswänden gelingt das Kontinuum der Halle zu bewahren, aber
dennoch zugleich der Garderobe und Cafe F90 gesicherte Bereiche zu schaffen.

Überaus hart und scharfkantig schneidet hier der Keil in die Halle ein, in deren Decke keine zusätzlichen Lasten abgeführt werden konnte, was konstruktiv die Architekten, Ingenieure und Trockenbauer vor große Herausforderungen stellte. Kreuzgewölbe im Trockenbau mit nur mehr zwei oder drei Säulen waren herzustellen, deren Achsmaß stark variierte. Höchste Präzision war erforderlich, um an der Schnittstelle von Alt-und Neubau beide Bauteile über eine 10 cm breite Schattenfuge miteinander zu verbinden, die Lasten in die stets schrägen Wände der massiven Stahlbetonkonstruktion des Neubaus abzuleiten. Eine Gipskarton-Verkleidung des
Neubaus zur Halle hin mildert den brutalen Einschnitt in den Altbestand – konzeptionell nicht ganz überzeugend, da die Verkleidung materiell die Kontinuität des zum Außenraum hin metallisch bekleideten Keils verlässt, aber als Geste des Respekts vor dem Altbau im Inneren verständlich. Nur wenige Wände Inneren des Keils blieben unverkleidet, deren unterschiedliche Sichtbetonqualitäten sich nun umso stärker von der Glätte der Trockenbauwände in Q4 absetzen können. Als
„Vitrinen“ bezeichnete Räume mit 10 bis 18 m Höhe schneiden sich wiederkehrend in die fünf Etagen des Neubaus ein, um Exponaten wie Raketen, Bomben oder Hubschraubern eine stets überraschende Präsentation in der Vertikalen bzw. in der Diagonalen zu ermöglichen. Nirgends findet sich ein rechter Winkel, nirgends eine klar vertikale Wand, sondern überall geneigte Wände, die in unterschiedliche Richtungen weisen. Schwer zugänglich und teilweise stark von den Lasten der Exponate beansprucht, mussten die Wände noch die umfangreichen Installationen eines modernen Museumsbetriebs aufnehmen. Nicht zuletzt dank der Trockenbauer von Baierl+Demmelhuber, einem bayrischen Unternehmen, nimmt heute jedoch der Besucher von dieser umfangreichen Technik kaum etwas wahr.

Meisterleistung: Trockenbau

Baierl+Demmelhuber arbeiteten auf Grundlage der Werkpläne 224 verschiedene Befestigungs-, Montage- und Arbeitssituationen mit eigenen Sonderlösungen für den Trockenbau aus, die nicht wenige Belastungsprüfungen vor Ort und fast unglaublich allein in zwei hohen Räumen sichtbare Dehnungsfugen erforderlich machten. Da der Neubau nirgends lotrechte Situationen aufwies, arbeiteten sie weitgehend mit rückverankerten Vorsatzschalen – System 3.21.00 – und freitragenden Deckensystemen mit CW-Profilen – System 4.05.71. Dabei kamen doppelte Vorsatzschalen – an wenigen Stellen sogar eine sechsfache Beplankung – des Typs CW50-06 zur Verwendung, deren Rückverankerungsabstand auf 2 000 mm minimiert werden konnte und die nun teilweise für die Quelllüftung über den Böden freihängend enden. Die U-förmigen Kantteile aus 1 mm Stahlblech wurden zudem individuell in der hauseigenen Schlosserei gefertigt, nachdem zuvor für jede
Situation modernste Laser-Messtechnik zum Einsatz kam. In Verbindung mit bis zu sechs Verspachtelungsschritten gingen daraus erstaunlich homogene Wände hervor, über die das Licht ungebrochen ins Innere einfallen kann.

Kein Museumsbau Libeskinds erreichte bisher diese Ausführungspräzision, wozu die Projektleitung durch die Zürcher Dependance des Architekturbüros beigetragen hat. Individuell will das Museum entdeckt werden, wozu die Architektur und die Ausstellungsgestaltung sich kongenial ergänzen. 320 000 Besucher in ca. fünf Monaten, fast das Dreifache, was man jährlich erwartete, beweisen, dass mit guter Architektur breitere Bevölkerungsschichten zu erreichen sind.

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