DAM Preis 2022 geht nach München. Schon wieder

Seit 2007 vergibt das Deutsche Architekturmuseum DAM in Frankfurt a. M. seinen DAM Preis an die beste Architektur in Deutschland. Das ist eine Imagekampagne, auch für das Haus, zugleich aber auch ein Statement, in welche Richtung sich Architektur entwickeln sollte. Die Zeiten ändern sich gerade, die Jury hat für 2022 entschieden. Wieder ein Statement? Vielleicht.

Als im letzten Jahr der wichtige DAM Preis – warum „wichtig“, dazu später – verliehen wurde, waren wir die einzigen, die die Verleihung an das Projekt „Werk12“ zumindest kritisch sahen. Das damals ausgezeichnete Projekt ist ein Mixed-use auf dem Werksviertel am Münchener Ostbahnhof der Arge MVRDV, Rotterdam, mit N-V-O Nuyken von Oefele Architekten, München. Wir hielten die Juryentscheidung für „ein klares Statement zur Architektur des Aufgeregtseins, wofür schon die […] auf der Fassadenebene angebrachten, meterhohen Schriftzüge wie ‚AAHH‘, ‚WOW‘, ‚HMPF‘ oder ‚PUH‘ zu sprechen scheinen.“ Die Jury gab kund, dass es sich bei dem Gewinnerprojekt um eine „exzellente und visionäre Leistung“ handle, die sich auf den MVRDV-Entwurf der Expo in Hannover beziehe, ein Pavillon einer Weltausstellung, die 20 Jahr her ist und die für den Landschaftsstapel der Rotterdamer bis heute noch kein Happy End gefunden hat. Und wir fragten uns, ob „AAHH“, „WOW“, „HMPF“ oder „PUH“ für das Prädikat „herausragend“ reichen, gerade dann, wenn zwei der Finalisten, das Projekt von Ortner & Ortner Baukunst oder das von Kuehn Malvezzi, die kluge wie architektonisch höchst anspruchsvolle Beschäftigung mit dem Bestand demonstrieren.

Da war die Spannung groß, in welche Richtung der DAM Preis 2022 tendieren könnte. Beste – was immer genau das heißt – Architektur in Deutschland 2022 soll der Preis zeigen, wenn möglich aus einem breiten Spektrum architektonischen Gestaltens. Die Finalistengruppe des DAM Preises 2022 wurde dann von der Jury mit vier Projekten aus den Bereichen Kultur und Bildung, Forschung, Arbeit sowie Wohnen gesetzt: „Genossenschaftliches Wohnhaus ‚San Riemo‘“, München, der ARGE Summacumfemmer / Büro Juliane Greb; „John Cranko Ballettschule“, Stuttgart, von Burger Rudcas Architekten (DBZ 10|2020); „Forschungshäuser Bad Aibling“, Bad Aibling, von Florian Nagler Architekten (DBZ 11|2020); „Axel-Springer-Neubau“, Berlin, von Office for Metropolitan Architecture OMA (DBZ 11|2021). Verliehen wurde der DAM Preis 2022  nach München, er geht an das Wohnprojekt „San Riemo“.

Das Haus ist das erste Wohnungsbauprojekt der Baugenossenschaft „Kooperative Grossstadt e.G.“ in der relativ jungen Münchener Messestadt Riem.  Es erhielt von der Jury das Label „höchst innovativ“. Das musste es auch sein, hatte die Baugenossenschaft doch tatsächlich einen eigenen Wettbewerb veranstaltet, zu dem es sagenhafte 62 Einreichungen gab. Den ersten Preis errang damals die ARGE Tim Schäfer und Pablo Donet Garcia mit Tanja Reimer, doch sie wären zu teuer geworden. Der zweitplatzierte Entwurf von Summacumfemmer / Büro Juliane Greb erhielt den Zuschlag. Und jetzt eben einen Architekturpreis, der auf ein zentrales Bauthema in diesem Land reagiert (typologisch) und zugleich ein Verfahren anerkennt, das sich bei nachhaltiger Projektentwicklung mehr und mehr durchzusetzen scheint: das genossenschaftlich kooperative Verfahren. Aber dazu später.

Warum der DAM Preis wichtig ist

Das Deutsche Architekturmuseum in Frankfurt a. M. ist eine Institution, nicht nur in Deutschland, hier aber ganz besonders. Die Gründung, die auf den Kunsthistoriker, Architekturtheoretiker und streitbaren Publizisten Heinrich Klotz zurückgeht, hat eine Leerstelle in der Architekturdiskurslandschaft geschlossen oder sie doch zumindest kleiner gemacht. Zahlreiche („-reiche“, nicht „-lose“!) Ausstellungen und Veranstaltungen haben den Blick auf das Bauen wesentlich geprägt, vielleicht mehr, als manchem lieb ist, vielleicht mehr, als wir alle vermuten. Eine große Ausstellung über die subversive, subkutane Wirkmacht des DAM steht noch aus! Wenn nun also diese Architekturinstitution einen Preis ins Leben ruft, der die besten ArchitektInnen ihre besten Bauten in den Ring werfen lässt, dann hat sie damit ein Werkzeug, mit dem sie ihre Wirkmacht um ein Weiteres hat ausbauen können. Schaut man auf die Gewinnerprojekte der letzten Jahre, so waren die meist keine Überraschungen, die Wettquoten waren niedrige, die meisten auf der Shortlist alte Bekannte. Aber wie im Kunstmarktkarussell auch, das mit jeder Ausstellung einer Arbeit deren Wert vervielfacht – ohne ihren idellen, ihren künstlerischen, ihren materiellen Wert oder sozialen Wert auch nur um einen Deut zu steigern – so erhält auch das ausgezeichnete Büro das Versprechen auf steigenden Umsatz. Meist wird es eingelöst. Dass nun die Jury, aber auch die EinreicherInnen, sich in der Auswahl ihrer Favoriten auf vorangegangene Online-/Print-Publikationen der Arbeiten stützen, wirft ein zusätzliches Licht auf das Architekturmarktkarussell, das sich hier in Deutschland wohl in die gleiche Richtung dreht wie in den Nachbarländern, vielleicht mit anderer Geschwindigkeit.

Die damit verbundene Verantwortung der Institution DAM (und ihres Partners, der Firma Jung) kann gar nicht hoch genug angesetzt werden: Der DAM Preis gibt den State of the art vor und dieser sollte – schon weil das DAM eine öffentliche Einrichtung ist – der Gesellschaft dienen, Stadt- und Landbauerei zu Baukultur machen. Dass da noch Luft nach oben ist, zeigt der Pressetext des DAM zum aktuellen Preis, in dem nicht das genossenschaftlich kooperative Verfahren, in dem nicht das Engagement der Protagonisten „Kooperative Grossstadt“ ganz zuerst und vorne erläutert und hervorgehoben wird, sondern ästhetische Kategorien, die, in die gängigen Worthülsen gehüllt, eher in einer Feuilleton-Kolumne vermutet werden als in einer Laudatio auf einen Preisträger.

Genossenschaftlich kooperatives Verfahren

Damit deutet sich an, um was es hier geht, gehen könnte. Das ausgezeichnete Projekt überzeugte eben nicht nur mit seiner „heiteren Note“ angesichts der eher strengen Nachbarschaft, es überzeugte als das Ergebnis eines längeren Prozesses, der nicht auf Funktion und Rendite first zielte, sondern eine Quartiergeschichte mit anderen Mitteln weitergeschrieben hat. So ist der urbane Raum am Flugfeld des 1992 geschlossenen Flughafen München-Riem von Anfang an als Chance für die Entwicklung zeitgemäßen Wohnens, Arbeitens und Lebens mit Freizeitangeboten definiert worden, mit Akzenten einer ökologisch orientierten Stadtteilplanung. Vor allem zahlreiche Baugruppen und Genossenschaften trugen hier mit ihren jeweiligen Handlungspartnern dazu bei, mit den insgesamt mehr als 500 realisierten Wohnungen eben dieses Neue auch planerisch zu erreichen. Das ausgezeichnete Projekt „Wohnhaus San Riemo“ steuert dazu 27 Wohnungen bei.

Abgesehen von der schon angesprochenen Farbigkeit (heitere Note) glänzt der Bau zur Heinrich-Böll-Straße mit seiner gläsernen Fassade aus beweglichen Fenstertüren und einer vorgelagerten Schicht aus gewellten Polycarbonatplatten. Türkis-farbene Deckenplatten, Vorhänge und Rahmungen der großformatigen Fenster im Erd­geschoss überraschen hier ebenso wie die Südfassade mit auffälligen dreieckigen Fenstereinschnitten, die den Haupteingang markieren. Die ungewöhnlich tief angesetzten Fenster zum Hof dienen Kindern – und sicher auch den Erwachsenen – als Ein- und Ausstieg.

Ohne Nutzungsmischung im Erdgeschoss kein zeitgenössischer Wohnbau! Auch gibt es dort eine Gewerbefläche sowie Gemeinschaftsflächen als eine Art überdachter Spielstraße. Werkplätze oder Waschmaschinen und Abstellflächen in einer Hochregalwand verschwinden hinter sonnengelben Vorhängen. Und oben auf dem Dach ein Garten mit Hochbeeten und Sommerküche.

Das einfache konstruktive System bietet Flexibilität für unterschiedliche Wohngrundrisse, für das sogenannte Basis-, das Filial- und das Nukleuswohnen. Es kommen hinzu nutzungsneutrale Räume, Sanitärzellen und gemeinschaftliche Ess-/Kochbereiche, die einzelnen Familien- oder Gemeinschaftswohnungen zugeordnet werden können. Farbe, rohe Oberflächen, einfache Installationen: So geht Wohnen heute, wertig und voll an Wertigkeiten: dauerhaft, gesund, adaptierbar, nachbar-/genossenschaftlich.

Mehr Bestand wagen, liebes DAM!

Dass die Ergebnisse des DAM Preises 2022 erstmals in einem Bestandgebäude gezeigt werden, das nicht für Ausstellungen oder museeums­didaktische Belange geplant und realisiert wurde, möchte man als Zeichen interpretierten. Das „DAM Ostend“, das Ausweichquartier des Deutschen Architekturmuseums, das zur Zeit und sicher in den kommenden zwei Jahren grundsaniert wird, findet sich an der Henschelstraße, in einem Gebäudeteil der ehemaligen Neckermann Zentrale Frankfurt. Der Ausstellungsraum – aus ehemaligen Büroräumen gefügt – ist keine Raumkomposition à la Mathias Ungers; hier hat man pure Zweckflächen mit zweiseitigem Tageslicht. Daß man den Hintereingang demnächst durch einen „repräsentativeren“ Eingang vorne ersetzt, empfindet der Autor dieser Zeilen als inkonsequent. Aber möglicherweise ist das auch nur dem Brandschutz geschuldet. Mehr Bestand wagen, liebes DAM, ihr seid auf gutem Wege! Be. K.

www.dam-online.de
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