Bauen 4.0 – Nachhaltiger Wohnbau im Halbstundentakt

Smarter, schneller, schonender soll der Wohnungsbau werden. Eine große Herausforderung mit vielen Facetten. Ein Blick nach Bochum zeigt, was modulares Bauen in der Fabrik mit vorgefertigten Raummodulen dazu beitragen kann und welche Rolle digitale Prozesse dabei spielen. Mit zusätzlichen Aspekten der Qualitätssicherung und Recyclingmaterialien gestaltet sich der Wohnungsneubau für Quartiere profitabel und nachhaltig.

Das EU-weit höchste Wohngebäude in Modulbauweise entsteht in Deutschlands fünftgrößter Universitätsstadt. 737 Apartments werden hier im Halbstundentakt zu einem Community-Campus für Studierende gefügt. Das zwölfgeschossige Wohngebäude ist Teil des Klimaschutzquartiers Seven-Stones, das einen maßgeblichen Beitrag zum Erreichen der Klimaschutzziele 2050 leisten soll.

Schneller zum Wohnungsbau


Geräuschlos schweben sie ein, die neuen Studierendenapartments an der Universitätsstraße. Alle 30 Minuten eine komplette Wohnung: 20 m2, bezugsfertig eingerichtet mit Küche und Bad. Mit einem raffinierten Stecksystem sind die Module nur über Zapfen miteinander verbunden. Durch den hohen Vorfertigungsgrad verkürzt sich die Dauer der Baustelle um bis zu 50 %. Hinzu kommt der Effekt der Gleichzeitigkeit. Während auf der Baustelle die Tiefgarage betoniert und die Erschließungstürme errichtet werden, können im Werk bereits die Module gefertigt werden. Rohbau und Ausbau finden gleichzeitig statt – nur an verschiedenen Orten. Jedes Apartment ist eine in sich abgeschlossene F 90-Einheit. Wände und Zwischendecke sind als Trockenbaukonstruktion ausgeführt, die Bäder vorgefertigte Nasszellen. Gleiches gilt für die schon im Werk aufgestellten Küchenzeilen.

Smarter bauen


Schon beim ersten Gespräch mit ArchitektInnen, ProjektentwicklerInnen und AuftraggeberInnen beginnt­ die digitale Prozesskette. MitarbeiterInnen erfassen die KundInnenwünsche am Tablet und entwickeln digitale Raumszenarien. Zahlreiche Varianten lassen sich als dreidimensionales Puzzle erstellen und anschaulich visualisieren. In Grundrisskonstellation und Fassadengestaltung ist kaum wahrnehmbar, dass alles auf definierbaren Modulen basiert. Erste individuelle Architekturentwürfe lassen sich konstruktiv und strukturell in hybriden Modulbau übersetzen. Großzügige, offene Raumzusammenhänge sind ebenso darstellbar wie kompakt gegliederte Einheiten. Mit der Digitalisierung serieller Module sind zugleich zahlreiche Daten hinterlegt, die eine frühe Richtpreiskalkulation ermöglichen. Sind die wesentlichen Rahmendaten erfasst und die grundsätzliche Konstellation definiert, erfolgt die weitere Bearbeitung in Revit als dreidimensionales BIM-Modell. Dieses dient der kollisionsfreien Detailplanung für Raumbildung, Konstruktion und technischen Ausbau. Gleichzeitig bildet es die Basis für die Produktion der Module. Die Vorfertigung im Modulwerk kann man sich vorstellen wie auf einer Werft: Witterungsunabhängig in einer großen Halle werden Stahlrahmen zum tragenden Gerüst gefügt. Schweißroboter verbinden die Stahlprofile, die zu 90 % aus Recyclingstahl bestehen. Die Fertigungsstraßen sind an ­moderne Produktionsverfahren in der Automobilindustrie angelehnt. Jedes Modul erhält einen QR-Code und ist jederzeit identifizierbar, die verbauten Materialien sind nachvollziehbar. An allen Stationen werden passgenau die benötigten Teile bereitgestellt. Auf diese Weise können Verschnitt und Abfälle ­reduziert werden. Trockenbauwände werden von Robotern gebaut. Auch Fenster werden bereits werkseitig montiert. Die in der Regel auf der Baustelle ausgeführte vorgehängte hinterlüftete Gesamtfassade ist vielfältig gestaltbar und lässt sich indivi­duell auf Standort und städtebauliche Gegebenheiten abstimmen.

Schonender Umgang mit Ressourcen

Die Vorteile des seriellen Bauens werden auch im Hinblick auf Nachhaltigkeit konsequent genutzt. Aufgrund der präzisen digitalen Planung ist eine effiziente Materialbeschaffung möglich. Über den digitalen Zwilling des Gesamtgebäudes und der individuellen Module lässt sich ressourcenschonend bestellen und bauen. Auch Verschnitt kann auf diese Weise erfasst und gegebenenfalls an anderer Stelle wieder eingesetzt werden. Schon heute sind 83 % der Produktionsabfälle recycelbar. Bis 2030 wird eine Nullprozent-Abfallquote angestrebt. Die Modulfabriken in den Niederlanden werden mit 100 % Ökostrom betrieben. Über die Plattform Ecochain erfolgt ein kontinuierliches Monitoring der CO2-Bilanzierung des Herstellungs- und Bauprozesses, um die Emissionen weiter zu reduzieren und für den in den Niederlanden mittlerweile benötigten Neubau-CO2-Nachweis zu dokumentieren. Eine besondere Chance liegt im Wiederverwertungspotenial der hybriden Module. Die cloudbasierte Erfassung aller Daten eines Moduls ermöglicht die digitale Begleitung während des gesamten Lebenszyklus: von Produktion, Transport und millimetergenauer Positionierung auf der Baustelle über Pflege, Wartung und Revision während der Nutzungsdauer bis zu Umnutzung oder Umbau, Rückbau und Recycling. Die komplette Dokumentation darüber, welches Modul wo eingesetzt und verfügbar ist, eröffnet ganz neue Dimensionen für die Kreislaufwirtschaft von Gebäuden. Cradle to Cradle ist bei Daiwa House Modular Europe seit Jahren ein gelebtes Prinzip. Hier gilt es in großem Maßstab: nicht nur für einzelne Produkte oder Werkstoffe, sondern für ganze Räume. Schon heute werden 80 % der Module wiederverwendet. Ähnlich wie mit Legosteinen lassen sich aus den einzelnen Elementen neue Konstellationen kreieren und neue Häuser für neue Anforderungen entwickeln. Für ganze Gebäude bietet der Hersteller eine Rücknahmegarantie. Denn jedes Modul hat einen Restwert – auch wenn es in seinem originären Einsatz im Gebäude nicht mehr benötigt wird.

Community Campus

In Deutschland ist dieses zirkuläre Konzept des Modulbauunternehmens Daiwa House Modular Europe noch weitgehend unbekannt. Der Bochumer Community Campus ist in seinen Dimensio­nen zwar einzigartig, aber längst kein Prototyp. Ebenso innovativ wie die Bauweise ist auch das neuartige Wohnkonzept für Studierende. Das neue Haus will mehr sein als ein herkömmliches Studentenwohnheim. Wie eine vertikale Stadt in der Stadt beinhaltet der Community Campus neben Fitness-Studio, Cafeteria, Lounge, Waschsalon, Kopier- und Druckservice auch Studienräume für die gemeinsame Arbeit. Ein Concierge arbeitet zugleich als Community Manager am guten Zusammenleben auf dem Campus. Und den Studierenden stehen 500 hauseigene Fahrräder für den kurzen Weg zur Uni zur Verfügung. Viele neue Ideen für Menschen mit unterschiedlichen Lebensentwürfen und für eine Ruhrmetropole, die sich seit dreißig Jahren im Strukturwandel befindet und dabei immer wieder neu erfindet.


+FAQ

Was kostet modulares Bauen?

Modulares Bauen ist eine ökologisch und ökonomisch sinnvolle Alternative zum herkömmlichen Bauen. Die Vorteile des seriellen Bauens werden auch im Hinblick auf Nachhaltigkeit konsequent genutzt. Aufgrund der präzisen digitalen Planung ist eine effiziente Materialbeschaffung möglich. Über den digitalen Zwilling des Gesamtgebäudes und der individuellen Module lässt sich ressourcenschonend bestellen und bauen.

Die Kosten für den Bau eines Hauses mit standardisierten Modulen sind im Vergleich zum Massivbau in etwa gleich. In beiden Fällen fallen Kosten für die Planung, das Grundstück und die technischen Anlagen an. Der größte Unterschied liegt in der Dauer des Bauprozesses. Während beim Massivbau mit einer Bauzeit von bis zu einem Jahr gerechnet werden muss, ist das Haus aus modularen Elementen bereits nach drei bis sechs Monaten bezugsfertig. Die MieterInnen oder StudentInnen können sich also schnell über einen Einzug in die Mietwohnungen oder die Studierendenwohnungen freuen.

Warum nachhaltiges Bauen?

Nachhaltiges Bauen ist nicht nur gut für die Umwelt, sondern auch für den Geldbeutel. Durch die serielle Produktion von Modulen lässt sich effizient und schonend mit Ressourcen umgehen, da die Module in einer Fabrik produziert werden und somit weniger Baustellenabfälle anfallen.

Über den digitalen Zwilling des Gebäudes und der einzelnen Module lassen sich Materialien beschaffen, Verschnitt vermeiden und Abfälle recyceln. Außerdem kann über das Monitoring der CO₂-Bilanzierung die Umweltbelastung weiter reduziert werden. Modulares Bauen ist also nicht nur ressourcenschonend, sondern auch umweltschonend – auch das spart Kosten. Für Immobilien spielt auch die Qualität der Wohnungen eine Rolle.

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