Aus Zwei mach Eins
Neues Gymnasium in Bochum

Das Neue Gymnasium an der Querenburger Straße
in Bochum-Wiemelhausen fand rasch und nahezu ein­hellig von Schülern, Lehrern und Eltern Akzeptanz. Dass dies so ist liegt nicht zuletzt an der erstaunlich variablen neuen Architektur, die in sehr kommunikativen Prozessen entwickelt und vermittelt wurde.

Nicht ein Weniger, wie oft sonst der Fall, sondern ein Mehr wollte die Kommune Bochum schaffen, weshalb man sich an den Empfehlungen der neuen Schulreformer wie etwa der Montags-Stiftungen orientierte und zugleich für das Projekt etwas mehr Budget als üblich – 31,6 Mio Euro für 13 435 m² BGF! – zur Verfügung stellte. Ziel: Ein neues Gymnasium, das Kommunikation und Teamarbeit mit variablen Raumangeboten fördert und darüber hinaus noch die ENEV 2009 um mindestens 25 % unterschreitet. Anstelle zweier baufällig gewordener Schulen sollte in Bochum-Wiemelhausen das Neue Gymnasium für 1 250 Schüler entstehen.

Das Raumkonzept

Anfang 2009 gewannen HASCHER JEHLE Architekten aus Berlin den Wettbewerb für die Schule. Ihr Konzept: Zwei trikonvexe, dreigeschossige Ringkörper, die ineinander greifen und mit unterschiedlichen Graden der Durchlässigkeit die bewegte Topographie des Ortes nahe des Geo­logischen Gartens erfahrbar machen. Ein Westring mit einem großen Atrium als multifunktionalem Entrée, der primär der Kommunikation dient, und ein Ostring um einen begrünten Hof, der teils einbündig, teils zweibündig mehr konzentriertes Arbeiten fördert und dafür alle Klassenräume aufnimmt.

Überwältigend ist der Eintritt in das Neue Gymnasium, in ein lichtes wie ebenso dynamisches Atrium, dessen Galerien und Treppenspindel sich beständig weiten und verengen, damit Zonen sehr unterschiedlicher Gruppenaktivitäten ermöglichen. Ein strahlend weißes Atrium, über dem sich eine Kuppel aus dreilagigen ETFE-Kissen mit bis zu 41 m Spannweite und 3 m Stichhöhe erstreckt, die den Raum dank einer kaum sichtbaren Bedruckung der äußeren Folie in ein sanftes Licht taucht.

Um das Atrium gruppieren sich im Erdgeschoss die Aula, Mensa und das Schülercafé, die sich jederzeit mit ihren gläsern transparenten und zugleich beweglichen Wänden dem Atrium zuschalten lassen, um dann auch Konzert- oder Theateraufführungen dienen zu können. Kleine Niveausprünge durch Podeste wie auch viele offene Galerien vor sanft geschwungenen Wänden, die sich zu Balkonen weiten, laden hier zwanglos Schüler und Lehrer zur Kommunikation ein. Über den Raum verteilte mobile schwarz-weiße „DoNuts“, luftgefüllte Sitzreifen, auf denen sich bis zu neun Schüler an einem runden Tisch gruppieren können, und die roten, zweisitzigen „PicNiks“, die zu langen Tischen zusammengeschoben werden können, erleichtern sehr sympathisch flexible Aneignungen des Raums für wechselnde Bedürfnisse.

In den Etagen darüber erstrecken sich die meisten Fachräume, das Selbstlernzentrum und der Lehrerbereich, während in der Schnitt­zone beider Gebäuderinge kleine Plätze den Übergang zu den Orten konzentrierten Lernens, zu den Klassenzimmern räumlich hervorheben und so die Orientierung leicht machen. Im Ostring gruppieren sich darunter im Erdgeschoss der Ganztagsbereich sowie der Musik- und Kunstunterricht, deren Aktivitäten bei Bedarf auch nach Außen verlagert werden können. Dank der freieren Geometrie der Schule mit gebogenen, fließenden Wänden zu den Galerien und radialen Trennwänden gleicht kaum ein Raum dem anderen, die für Frontal- oder Teamunterricht flexibel wie problemlos umgestaltbar sind, wozu auch deckenhängende Leitungen sowie viele neue elektronische Medien wie „interaktive Beamer“, „elektronische Schultafeln“, Laptops und Computerstationen beitragen. Nur hier und dort empfindet man leider eine gewisse Enge, die jedoch auf eine zu hohe Belegung der Schule zurückzuführen ist, in der statt der geplanten 1250 nun bis zu 1500 Schüler unterrichtet werden.

Raumakustik und Nachhaltigkeit

Neben dem Brandschutz, der weitgehend durch die Schaffung mehrerer Fluchtwege erfüllt werden konnte, war die Herstellung einer guten Raumakustik ein wichtiges Kriterium während der Planung der neuen Schule, die dezidiert Kommunikation fördern wollte. Für das architektonische Konzept von HASCHER JEHLE Architekten war sowohl ästhetisch als auch energetisch essentiell, dass Wände und Decken nicht völlig hinter den üblichen akustischen Verkleidungen verschwinden, dass die Architektur noch haptisch erfahrbar bleibt.

In enger Zusammenarbeit mit der Akustik versierten Ingenieurgesellschaft Brauns Straet­mans Partner aus Düsseldorf entwickelte man eine Konzeption, die gerade auch der Zielsetzung eines Energieverbrauchs von mindestens 25 % unter der ENEV 2009 gerecht werden konnte. Wozu man die ganze Gebäudemasse thermisch nutzen wollte neben einer hochgedämmten, hinterlüfteten Fassade und einer 27,8 kWp Photovoltaikanlage. Wofür man auch im Innern ganz auf Heizkörper verzichtete, statt dessen auf dezentrale ansteuerbare Lüftungseinheiten – je zwei pro Schulraum – mit Wärmetauschern setzte. Nur das Atrium wurde mit einer Fußbodenheizung ausgestattet. Letztlich konnte so die ENEV 2009 mit 106  kWh/m2a sogar nun um 27 % unterschritten werden.

Dafür entwickelten die Akustiker in experimentellen Prozessen auf Grundlage von DIN 18041 – Hörsamkeit in kleinen bis mittelgroßen Räumen – ein Konzept, das die Decken der Unterrichtsräume nur zu 50  % mit luft­umspülten Segeln akustisch optimierte. Da nur unbe­setzte Räume vorerst messbar machen, wurde von ihnen für den besetzten Zustand eine höhere Nachhallzeit um 0,2 s angenommen bzw. Endwerte für die Sekundarstufe I Tsoll ≥ 0,65 s oder die Sekundar­stufe II Tsoll ≥ 0,56 s Werte, die nicht zuletzt auch dank der speziellen Geometrie des Neuen Gymnasiums mit zumeist nicht planparallelen Trennwänden relativ leicht erreicht werden konnten. Nur hier und dort waren darüber hinaus akustisch optimierte Verkleidungen der Einbaumöbel erforderlich.

Beim Atrium verzichtete man hingegen bewusst auf einen akustischen Konzertstandard, wo sich die architektonische Wahl einer weitaus leichteren sowie kostengünstigeren ETFE-Kissenkuppel anstelle einer schallharten Glaskuppel als sehr vorteilhaft erwies. Aus der Erfahrung der Akustiker mit vergleichbaren Foliendächern konnte hier ein Schallabsorptionsgrad aw ≈ 0,20 im Frequenzbereich 125 Hz ≤ f ≤ 1 000 Hz in Anspruch genommen werden. Um hier ein Tsoll ≥ 1,2 bis 1,5 sek. zu erreichen, war letztlich auch aufgrund der freien Form des Atriums nur ein paar hochabsorbierende GK-Lochdecken unter den auskragenden Galerien notwendig. Problematische Sandwichelemente mit zweifelhaften Recycling-Qualitäten konnten damit bei dem Neuen Gymnasi­um vermieden werden, was der Nachhaltigkeit des Projekts zu Gute kam.

Mit seinem freien Raumfluss Innen wie Außen ist nun das Neue Gymnasium Bochum ein besonderer Ort des Lehrens, Lernens und Kommunizierens im 21. Jahrhundert. Zwei mar­kante Ringe schulischen Lebens, deren äußeres Erscheinungsbild mit den bunten Metallbändern ihrer hinterlüfteten Vorhangfassade darüber hinaus noch eine sehr sinnfällige Botschaft enthält. Nämlich den Artikel 1 der allgemeinen Erklärung der Menschenrechte von 1948: „Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren.“ In einem Ring steht der Satz in Deutsch als der Landessprache geschrieben, im Anderen in Englisch als Weltsprache und Latein als Sprache der Wissenschaft und Geschichte. Gemeinsam mit dem Düsseldorfer Künstler Ulrich Erben entwickelt, lädt so nun die Fassade zu Entdeckungen ein, deren farbiger Strichcode in Rot, Blau und Gelb sich kontinuierlich je nach Blickwinkel der Beobachter eher zu dominant Blau oder Rot verändert. Claus Käpplinger, Berlin

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Ausgabe 03/2013

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