Rezension: Auferstehungskirche zu Sailauf
Foto: Benedikt Kraft / DBZ
Das Buch ist, vom Format her, eher ein schmales. Schwarzer Leineneinband mit Prägedruck, weißer Titel: Kirche zu Sailauf. Kirche und Sailauf klingen interessant, erstere ist immer eine spannende Bauaufgabe, zweiteres ist dem Rezensenten unbekannt; klingt nach Land, Landschaft, irgendwo im Grünen.
Das schmale wie dennoch gehaltvolle Buch, dessen klassisch moderne Gestaltung wir dem Bücherfreund und -macher, Herausgeber und Architekturkritiker Wilhelm Opatz verdanken, erzählt die Geschichte von einem Kirchbau Anfang der 1970er-Jahre in eben dem besagten 3000 Seelen Ort Sailauf. Das liegt nordöstlich von Aschaffenburg im südlichen Spessart, hat ein paar Bäckereien, eine Pizzeria, eine Volksschule, eine Bank, Fahrschule, Zahnarzt und „Carmens Geschenke Box“. Also insgesamt alles, was ein Städtchen dieser Größe in dieser Zeit bieten sollte. Und natürlich gibt es ein Pfarramt mit Kirche. Letztere steht – wie es sich gehört – auf dem Kirchberg, mitten drin.
Ende der 1950er-Jahre hatte die stark gewachsene Gemeinde das Gefühl gehabt, die alte Gemeindekirche St. Vitus biete nicht mehr genug Platz für die sonntäglichen Gottesdienste, Mitte der 1960er-Jahre reifte der Plan, Sailauf einen Neubau zu spendieren. Grundvoraussetzung: die Gemeinde bringt die Hälfte der Baukosten mit. Also Spenden für die neue Kirche.
Der Plan ging durch viele Hände, über Höhen, durch Täler. Scheiterte und wurde, mit dem Wechsel des Pfarrers, noch einmal angegangen. Schließlich, nach Klärung der Standortfrage und Baukostenübernahme wurde die neue Kirche unterhalb der alten, größtenteils barocken Substanz ohne jeden Hingucker (architektonisch äußerlich, innenräumlich, Kirchenschmuck etc.) errichtet und 1971 feierlich der Gemeinde zum Feiern und Beten übergeben. Der Architekt Emil Mai war damals ein junger – wie auch der Pfarrer –, und obwohl er schon eine kleine Kirche gebaut hatte und in vergleichbaren Projekten Erfahrungen sammeln konnte, wurde die Auferstehungskirche in Sailauf etwas sehr eigenes, ein Statement in Beton. Mit dem Blick von Heute aus überrascht tatsächlich der brutalistische Bau, dessen innere, sehr karge Gestaltung, an viele Vorgängerbauten der Moderne anschließt und auch an deren teils sehr hohes Niveau.
Was nun die baulichen oder auch konstruktiven Finessen angeht, was das besondere Licht, die Raumgestaltung als ganze, das kann man in dem vorliegenden Buch in einer Art Chronik mit Themeneinschüben nachlesen. Hier wird die Entstehungsgeschichte des Projektes Neubau ausführlich über die Jahre geschildert, der Bau wird dokumentiert, die Protagonisten werden lebendig und: der Abriss der nicht einmal 40 Jahre alten Gemeindekirche. Die hatte sich wieder der alten Kirche auf dem Berg erinnert, sie instandgesetzt und zur neuen alten Kirche in Sailauf erklärt. Der Neubau?! Ja sicher, der war nun ebenfalls beschädigt, mangelhafte Pflege und mögliche Bauschäden einer sicherlich auch überfordernden Bauaufgabe hatten dem Neubau, insbesondere der Dachkonstruktion, zugesetzt. Die mit einem gewissen finanziellen Aufwand allerdings leicht reparierbar gewesen wäre.
Die Autoren des Kirchenbuchs machen nun etwas, das vermutlich richtig ist. Sie unterstellen. Unterstellen, dass der brutalistische Bau die Gemeinde auf Dauer überfordert hat. Dass, was nicht einmal in Großstädten auf unbedingte Gegenliebe stösst, wird in der Provinz noch einmal weniger verstanden. Von Gefallen, von Liebe zum Bau sei hier erst gar nicht gesprochen. Um ihre These von der fehlenden Gegenliebe zu untermauern, gehen die Autoren in die neuere Kirchenbaugeschichte und man geht gerne mit. Die Frage aber bleibt doch: Warum mussten sich die Sailaufer überhaupt einen Neubau bauen? Warum wurde nicht die Erweiterung der alten St.-Vitus-Kirche konsequent zuende gedacht? Wer hat sich hier am Ende durchgesetzt mit einem Entwurf, der jenseits der Alltäglichkeit, jenseits eines – vom Rezensenten allerdings unterstellten und nicht weiter ausgemalten – „Spessart-Geschmacks“ eine Weltläufigkeit besaß, die an die Besten im Kirchenbau herankommt, heißen sie nun Rudolf Schwarz, Emil Steffann, Gottfried Böhm oder gar Le Corbusier?
Und dann der Abriss 2009, in wenigen Tagen war von der Kirche nur noch ein Brunnen über, der vor der Kirche draußen stand und heute noch steht vor der auch in Google deutlich erkennbaren Leerstelle im Ort. Man darf vermuten, die Architektursprache habe tatsächlich die Sailaufer überfordert. So wurde beispielsweise im Innenraum nach gut einem Jahrzehnt ein riesiger Wandschmuck appliziert … Es half nichts. Das Wasser von oben half, das Angebot eines Investoren (Bauunternehmer), die Kirche umzunutzen, half nicht, es wurde seitens der Diözese Würzburg mit Bedingungen abgelehnt, die klar auf das eine zuliefen: den Abriss. Dass der Bürgermeister, Michael Dümig (SPD), damals gegen den Kauf der Kirche damit argumentierte, dass durch eine mögliche Aufteilung des Kirchenraumes in mehrere kleinere Einheiten „der Charme des Gebäudes“ verloren ginge, lässt einen sprachlos. Nun, die Kirche mit ihrem Charme – den sie niemals besessen hat – ist verschwunden, Peter Wohlwender und Wilhelm Opatz ist es zu verdanken, dass man sich an sie über die sehr persönliche Darstellungsweise länger wohl noch erinnern wird. Und damit beim nächsten Neubauvorhaben vielleicht nicht sofort zum Mond fliegen will sondern das, was man hat, zu schätzen weiß.
Unterstützt wurde die Publikation übrigens durch die Kulturstiftung Unterfranken in Kooperation mit dem Verein zur Erhaltung und Pflege der Kulturdenkmale im Landkreis Aschaffenburg e.V. Später, zu später Versuch, einen Fehler wiedergutzumachen. Be. K.
Peter Wohlwender (Hrsg.), Auferstehungskirche zu Sailauf. Verlag Dreiviertelhaus, Berlin 2019, 104 S., 25 €, ISBN 978-3-96242-901-0