Anders kochen. Baukulturgespräch
Was hat ein Kühlschrank mit dem Bauen zu tun? Eigentlich alles, also Grundsätzliches. „Form follows Verfügbarkeit“ war ein Punkt im Vortrag von Prof. Tim Rieniets am 17. Juni in Osnabrück, zweiter Vortrag in der Reihe „Baukulturgespräche“, die in diesem Jahr das Thema „Wohnen“ hat. Tim Rieniets, Professor am Institut für Entwerfen und Städtebau an der Leibniz Universität Hannover und auch schon mal Geschäftsführer der Landesinitiative StadtBauKultur NRW, zeigte sich in seinem Vortrag sichtlich unzufrieden mit der Tonalität und den Inhalten der aktuellen Wohnungsbaupolitik unseres Landes. Den Aufruf der Ministerin „Bauen, bauen, bauen!“ als Antreiber, den lahmenden Wohnungsneubau (400 000/a!) in Schwung zu bringen, hält er für wenig zielführend, gerade auch mit Blick auf die von der Bundesregierung propagierten und der EU gewollten Klimaziele.
Aber zurück zum Kühlschrank. Sie wollen etwas Gutes kochen für die Familie. Sie greifen zum Kochbuch, finden das Gewünschte, machen eine Einkaufsliste, kaufen, bereiten zu, fertig. Allerdings: Sie haben zuviel gekauft, Gewürze, die sie vielleicht nicht mehr brauchen, Reste einer Packung, die mehr enthielt als im Rezept notiert ist. Es geht aber auch anders. Sie schauen in den Kühlschrank – in dem hoffentlich etwas liegt – und nehmen das Vorhandene, um daraus etwas zu bauen, ein sehr eigenes, am Ende überraschend köstliches Gericht, über das noch lange gesprochen wird.
Die Analogie zum Bauen ist nicht schwer herzustellen, Tim Rieniets, der diese Geschichte eben unter dem Stichwort „Form follows Verfügbarkeit“ (Form follows availability) erzählte, öffnete hiermit – wie mit vielen weiteren Beispielen – den Blick für das Umbauen. Also das kreative Handeln im Bauen mit dem Bestand. Dass ihm insgesamt der soziale Aspekt beim Bauen fehlt, zog sich durch sämtliche Punkte seines Vortrags, den er mit „Wohnt ihr noch, oder lebt ihr schon zusammen?“ am Schluss noch einmal auf den Punkt brachte.
Dass vieles von dem, was in der politischen Bau-Welt kursiert und argumentativ zementiert scheint, häufig nicht stimmt, war seiner Vortragseröffnung zu entnehmen, die interessante, sehr einfache und damit auch entlarvende Zahlen brachte. So stellte er der in Dauerschleife progagierten Feststellung, wir hätten dringenden Wohnraumbedarf – der naturgegeben über Neubau zu befriedigen sei – die Zahl der kontinuierlich sinkenden Belegungsdichte von Wohneinheiten gegenüber: Seit 1990 sei diese von ca. 2,3 Personen auf 1,9 Personen gesunken. Parallel dazu liege die Wohnfläche bei alleinstehenden Über-65-Jährigen bei 85 m². Um nun den Wohnraumbedarf für alle zu befriedigen, müsste die Belegungsdichte je Wohneinheit in diesem Land um sage und schreibe 0,02 Personen erhöht werden. Ein theoretischer Wert, gewiss, der aber zeigt, dass wir andere Rezepte brauchen, um auf die „dramatische Wohnungsnot“ (BILD) in Deutschland wirkungsvoll nachhaltig antworten zu können. Mit einer neuen Ästhetik, mit neuem Geschichtsbewusstsein aber vor allem auch mit einem neuen Verantwortungsgefühl für das soziale Miteinander. Kühlschrank auf und schauen, was geht! Und es geht immer etwas. Be. K.