118 Geschosse: Merdeka. Gerechtigkeit?

Eigentlich berichten wir nicht über Projekte dieser Art. Doch wenn ein Hochhaus, das demnächst fertiggestellt sein wird, nachweislich das zweithöchste von Menschen nutzbare/zugängliche der Welt ist, lohnt doch ein Blick. Denn was solcherart Bauten über Denken, Wollen und Selbstverständnis unserer Kultur aussagen, ist hilfreich dafür, das andere Bauen zu verstehen, mit dem wir selbst tagtäglich konfrontiert sind.

Im Herzen der malayischen Hauptstadt Kuala Lumpur steht das „Merdeka118“, das anders als der „Tower 185“ von Mäckler Architekten in Frankfurt a. M. mit der Ziffer nicht seine Höhe in Metern anzeigen möchte, sondern die Geschosszahl. Hoch ist der Mega Tower tatsächlich 678,92 m, das sind immer noch 150 m weniger, als der Burj Khalifa in Dubai aufweist. Kuala Lumpur steht sowieso auf der Karte der höchsten Bauten an prominenter Stelle, so wurden 1998 die Petronas Towers ebendort zum höchsten Gebäude der Welt erklärt – damals mit nur 452 m Höhe, was heute nur noch für Platz 19 der Weltrangliste höchster Gebäude ausreicht.

Was bietet der Mega Tower, dessen Baubeginn 2015 war? Die höchste Aussichtsplattform in Südostasien (die höchste weltweit befindet sich in Dubai) und ein siebenstöckiges Shoppingparadies; das heißt im Augenblick „118 Mall“. 83 Geschosse für Büroflächen, 12 für ein Hotel, fünf Geschosse für Dauergäste (Hotelresidenzen). Dazu kommen Flächen für Spa und Haustechnik, Empfang und Hausverwaltung. Dreiviertel der Büroflächen beansprucht der Projektenwickler für sich, Permodalan Nasional Berhad (PNB).

Unterirdisch ist Platz für rund 8 500 Autos, ob dort auch Fahrräder abgestellt werden können, war nicht zu ermitteln. Gekostet hat der Turm rund 1,4 Mrd. €, geplant wurde er vom australischen Architekturbüro Fender Katsalidis. Das Gelände, auf dem der Turm Platz gefunden hat, ist Teil des Merdeka-Parks, der länger schon dem Automobilverkehr stückchenweise zum Opfer gefallen war. Hier findet sich zudem das noch vorhandene Merdeka-Stadion, in welchem 1957 die Unabhängigkeitserklärung der Föderation Malaya von Großbritannien verlesen wurde. Vom damaligen ersten Premierminister Tunku Abdul Rahman Putra Al-Haj (1903-1990), der, die rechte Hand in den Himmel streckend, dreimal „Merdeka!“ rief: Unabhängigkeit. Der Turm soll, so die Archi­tekt:innenen, diese Geste widerspiegeln, womit wir uns fragen, was denn gerecht sei an einer derartig gigantischen Baumasse, die zu errichten auf unser aller Kosten geht, vor allem auf Kosten derjenigen, die in ihrem Schatten werden leben müssen. Be. K.

www.merdeka118.com
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